Film "Remember":Im Dunkel der Erinnerung

Ein alter Mann macht sich auf die Suche nach einem Nazi-Verbrecher. Der alte Mann (Christopher Plummer) ist dement und vergisst immer wieder sein Vorhaben. Ein ungewöhnlicher Thriller von Atom Egoyan, "Remember".

Von Anke Sterneborg

Jedes Mal, wenn Zev die Augen aufschlägt, ruft er nach seiner Frau Ruth. Dass sie nach langer Krankheit nun im Altersheim gestorben ist, vergisst der Neunzigjährige immer wieder. Auch an das Versprechen, das sein Freund Max ihm abgerungen hat, kann er sich nicht erinnern - dass er nach Ablauf der sieben Tage der jüdischen Trauerzeit losziehen soll, um den Auschwitz-Kommandanten zur Rechenschaft zu ziehen, der ihr Leben zerstört hat und der irgendwo in Nordamerika unter falschem Namen lebt.

Erinnerung kann hartnäckig und grimmig sein in diesem Film, zwischen der Oberfläche des gegenwärtigen Moments und der Tiefe der Vergangenheit. Max ist zu gebrechlich, um als Rächer in die Welt zu ziehen, und Zev zu vergesslich, um sich an sein Ziel zu erinnern, also müssen die beiden Männer sich zusammentun, um die Defizite des Alters auszugleichen. So stattet Max den Freund mit einem dicken Brief mit Geldscheinen und minutiösen Instruktionen aus, die wie eine Fernsteuerung funktionieren. Damit begibt sich Zev auf eine merkwürdige Schnitzeljagd von Kanada nach Ohio, Idaho und Kalifornien - Max hat den Namen herausgesucht, unter dem der gesuchte heute lebt, Rudy Kurlander, aber es gibt vier verschiedene Männer, die ihn tragen, so fängt Zev an, sie aufzusuchen. Eine bittere Ironie - ein Mann, der keine Kontrolle über die Gegenwart hat, forscht nach Spuren einer mehr als siebzig Jahre zurückliegenden Vergangenheit.

Film Remember

Auf der Suche nach der Wahrheit: Bruno Ganz (links), Christopher Plummer.

(Foto: Tiberius Film)

Ein alter Wahrhheitssucher, mit verlorenen Blicken

Die Suche nach verborgenen Wahrheiten war von jeher der Motor der Filme von Atom Egoyan, sie kreisen obsessiv um private und historische Lügen und Geheimnisse, vom Kindesmissbrauch in "The Sweet Hereafter" bis zum Genozid an den Armeniern in "Ararat". Jetzt liefert ihm das Drehbuchdebüt von Benjamin August eine böse Intrige um den Massenmord an den Juden. In betont einfachen Bildern, ganz ohne Rückblenden, verzahnt er das intime Schicksal der Demenz mit dem Drama der historischen Verdrängung, setzt die Sehnsucht nach Erinnerung in ein Spannungsverhältnis zur Gnade des Vergessens.

Einige große alte Männer des Kinos tauchen in diesem düsteren Roadmovie auf, Bruno Ganz und Jürgen Prochnow, und vor allem Martin Landau als Max und Christopher Plummer als Zev. Mit seinem tief berührenden Spiel gelingt es ihm, einen Film zu erden, der bisweilen schwer an der Skizzenhaftigkeit der einzelnen Begegnungen trägt - zum Beispiel im Clinch mit dem Redneck-Sohn eines der Verdächtigen, der mit aggressivem Schäferhund und Nazi-Memorabilia im Keller zur Karikatur wird. Zum zweiten Mal nach "Ararat" spielt Plummer für Egoyan den Wahrheitssucher, mit verlorenem Blick und brüchigen Bewegungen tastet er sich, von der Gegenwart überfordert, durch den Nebel der Erinnerung. Er ist auf einer Reise ins dunkle Innere seiner eigenen Geschichte - die entfernt daran erinnert, wie Guy Pearce in Christopher Nolans "Memento" die Puzzlestücke seiner Existenz gegen das Vergessen verteidigte.

Remember, Kanada/Deutschland 2015 - Regie: Atom Egoyan. Buch: Benjamin August. Kamera: Paul Sarossy. Musik: Mychael Danna. Mit: Christopher Plummer, Martin Landau, Dean Norris, Bruno Ganz, Jürgen Prochnow. Tiberius Film, 95 Minuten.

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