Film:Madames bestes Krokodilchen

Eine Frau mit Panzer: "Agnieszka" von Tomasz Emil Rudzik ist ein gelungenes Filmdebüt - über eine Domina.

Von Karoline Meta Beisel

Knarzend öffnet sich das schwere Tor, draußen liegt noch Schnee. Fünf Jahre war Agnieszka unschuldig im Gefängnis. Jetzt darf sie raus, aber nicht mal ihr Bruder freut sich, als sie ihn von der Schule abholen will. Auf Agnieszka hat ihr ganzes Leben niemand gewartet, das versteht der Zuschauer schnell. Aber wie fängt man nach so einer Zeit wieder mit dem Leben an? Erst mal die Reset-Taste gedrückt, nichts wie weg. Agnieszka landet in München, wo die Vögel schon zwitschern, bei der geheimnisvollen ehemaligen Ballettdiva "Madame". Die erkennt schnell, was die 30-Jährige am besten kann: Zuschlagen. Agnieszka bekommt in Madames Escort-Service einen Job als Domina, oder, wie Agnieszka es nennt: "Ich trete Männern in die Eier."

Klingt ein bisschen nach "50 Shades of Grey". Genau wie die Hauptfigur Anastasia aus dem kürzlich verfilmten US-Bestseller bekommt es auch Agnieszka mit Männern im Anzug und dem Spiel um sexuelle Unterwerfung zu tun. Aber das war's auch schon mit den Parallelen. Der US-Film ist bombastischer Kino-Schmonz, "Agniezska" ein nüchternes, fast dokumentarisch anmutendes Sozialdrama. Anastasia sucht die Liebe, Agnieszka braucht Geld. Für die Liebe müsste sie jemanden an sich heranlassen. Aber genau das will auf keinen Fall: Bloß niemandem mehr trauen.

Film Agnieszka

Sie lässt niemanden an sich heran: Agnieska (Karolina Gorczyca).

"Agnieszka" ist das gelungene Kino-Debüt des jungen deutsch-polnischen Regisseurs Tomasz Emil Rudzik. Im Grunde eine kleine Geschichte über eine junge Frau, die es nicht besonders gut hatte im Leben und sich jetzt irgendwie so durchwurschtelt. Die polnische Hauptdarstellerin Karolina Gorczyca trägt den Film mit einfachen, aber wirksamen Mitteln: indem sie ihre Agnieszka mit allem verschließt, was sie hat. Das lange Haar versteckt sie unter einer dunklen Mütze, eine Bomberjacke trägt sie wie einen Panzer, die Arme eng am Körper, in den Taschen ganz sicher Fäuste. Die Mine ausdruckslos, sie beobachtet nur.

Ihre abweisende Härte macht die Männer verrückt, deshalb ist sie als Domina so erfolgreich

Die Kamera (Sorin Dragoi) ist ebenso ruhig; sie sieht, was Agnieszka sieht: die breiten Straßen vor dem Autofenster und Madames unangenehm enge Wohnung, eingesperrte Hunde und Vögel, die am Himmel kreisen. Aber dann kehrt sie immer wieder zurück zu Agnieszka, bleibt dicht bei ihr, bei ihrem Gesicht und ihrem Schutzpanzer, der Jacke und der Mütze. In ihrem Job als Domina macht genau diese abweisende Härte die Männer verrückt - Agnieszka wird bald zu Madames bestem "Krokodilchen". Die Gewalt selbst sieht man nicht: Man versteht ja auch so, was passiert. Nach den Hausbesuchen bei ihren Kunden versteckt sich Agnieszka in einem anonymen Wohnblock vor der Welt, in einer Gegend, die nicht viel anders aussieht als die, die sie in Polen hinter sich gelassen hat. So viel zur Flucht vor dem alten Leben.

Die Idee zu seinem Film hatte Rudzik, als er für seine Abschlussarbeit an der Münchner Filmhochschule in genau so einem riesigen Wohnblock recherchierte und dort genau so eine verschlossene Studentin traf, die ihr Studium als Domina finanzierte. Auch klar, dass der größte Reiz für den Filmemacher - und den Zuschauer - darin liegt, hinter diese Mauern zu blicken: die der Menschen nämlich.

Im Film gelingt das dem erst 16-jährigen und noch beinahe ganz unverdorbenen Manuel (Lorenzo Nedis). Im Bus steckt er Agnieszka seinen Fahrschein zu - um selbst als Schwarzfahrer aufzufliegen. Er ist hartnäckig, rennt ihr auch dann noch hinterher, als er von ihrem Job erfährt. Und so entwickelt sich zwischen den beiden eine Freundschaft, vielleicht sogar so etwas wie Liebe. Manuel jedenfalls ist beeindruckt von der Frau, in deren Härte er nur die Selbstständigkeit sieht, die er noch lange nicht hat, und die Bierflaschen mit ihren Zähnen öffnen kann.

Klar, dass sich damit für Agnieszka alles ändert. Der Panzer öffnet sich, das Leben kann hinein - aber eben auch wieder hinaus. Madame (wunderbar herrisch: Hildegard Schmahl) hängt an ihrem Krokodilchen, weil durchaus nicht nur die Kunden sie so lieben. Sie lockt Agnieszka in eine Falle. Und draußen vor der Tür steht Manuel und wartet.

Agnieska, Deutschland 2014 - Regie, Buch: Tomasz Emil Rudzik. Kamera: Sorin Dragoi. Schnitt: Alina Teodorescu. Musik: Florian Riedl, Martin Kolb. Mit: Karolina Gorczyca, Hildegard Schmahl, Lorenzo Nedis Walcher, Jörg Witte, Rafal Garniecki. Verleih: Alpha Medienkontor, 98 Minuten.

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