Film:Knopfland

Die Verfilmung eines der beliebtesten deutschen Kinderbücher muss gegen Bildwelten bestehen, die seit Langem gefestigt sind. Dass sie gelingt, ist fast so abenteuerlich wie eine Reise nach Mandala.

Von Tatjana Michel

Eigentlich hätte der Film "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" ganz anders aussehen sollen. Als der Produzent Christian Becker 2001 zum ersten Mal mit dem Gedanken spielte, die Buchvorlage in einen Film zu verwandeln, plante er einen großen, internationalen Blockbuster. Kevin James, der Schauspieler von "King of Queens", war als Lukas im Gespräch. Ein Investor wollte Shirley MacLaine als Besetzung für den Drachen Frau Mahlzahn. Doch Christian Becker hatte es mit der Geschichte von Michael Ende nicht leicht im Ausland. Die Investoren konnten sich nicht für ein Abenteuer erwärmen, das von einem dunkelhäutigen Jungen handelt, der mit einem dicken Lokomotivführer samt seiner Lok Emma in die Welt zieht. Auch die märchenhaften Elemente der Reise, die Kindeskinder, die von Generation zu Generation immer kleiner werden, oder der Scheinriese, der zwar in der Entfernung riesig aussieht, aber, aus der Nähe betrachtet, normalgroß ist, erschienen als wunderliche Fälle einer spezifisch deutschen Fantasie.

Bis der Film schließlich in seiner Heimat ankam und der Dreh im August 2016 starten konnte, mussten viele weitere Probleme überwunden werden. Es kostete vier Jahre, die Erbengemeinschaft zu überzeugen. Mehrere Produktionsfirmen engagierten sich, um anschließend wieder abzuspringen, genauso wie einige Regisseure, bevor die Wahl auf Dennis Gansel fiel. Dieser hatte eigentlich nur ausgeholfen, um einen Testdreh in Australien durchzuführen, bevor er wenig später die gesamte filmische Verantwortung übernahm.

Wenn nun am Osterwochenende "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" in den deutschen Kinos startet, wiegt diese Verantwortung schwer. Die Produktion ist mit 25 Millionen Euro der teuerste deutsche Kinderfilm, der je gedreht wurde. Man hofft, die Zahl der Kinogänger durch diverse Attraktionen zu steigern. Die Filmkulissen sind im Filmpark Babelsberg zu bewundern, und der Europapark Rust wartet mit einer eigenen Jim-Knopf-Lokomotive auf.

Mit dem Findelkind entsteht ein sehr modernes Problem: die Überbevölkerung

Michael Endes Buch ist seit seiner Veröffentlichung in den Fünfzigern ein Klassiker deutscher Kinder- und Jugendliteratur und eigentlich ein Entwicklungsroman. Darin wird das Findelkind Jim mit der Post in das kleine Königreich Lummerland geliefert, eine Insel in einem weiten Meer. Die vier Bewohner des Reiches - König Alfons, der Viertel-vor-Zwölfte, Frau Waas, Herr Ärmel und Lukas, der Lokomotivführer - nehmen sich liebevoll des Jungen an. Doch je größer Jim wird, umso enger wird es auf dem Eiland mit zwei Bergen. Deswegen soll die Lokomotive Emma weichen, weswegen sich Lukas und schließlich auch Jim entscheiden, die Insel zu verlassen. Auf ihrer Suche nach einer neuen Heimat durchqueren die drei Abenteurer die zauberhaftesten Welten, begegnen den ungewöhnlichsten Kreaturen und retten eine ebenso schöne wie kluge Prinzessin.

Michael Ende - "Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer"

Ein dunkelhäutiger Knabe, ein dicker, verrußter Lokomotivführer und die Liebe zu einer Maschine, die sich als mütterliches Wesen erweist: Lauter Allegorien.

(Foto: Warner Bros.)

Diese Geschichte ist nicht nur durch das Buch, sondern auch durch Hörspielfassungen, Zeichentrickfilme sowie vor allem durch eine Inszenierung der Augsburger Puppenkiste in das Gedächtnis der Deutschen eingegangen. Ob einem als Erstes die Marionetten, die auf Plastikfolienmeeren segeln und durch Pappmaché-Landschaften wandern, in den Sinn kommen, oder ob man lesend eine eigene Vorstellung von Lummerland entwarf: Dennis Gansel muss mit seiner Verfilmung gegen Bildwelten bestehen, die sich über Jahrzehnte festigen konnten.

Durch eine Neuauflage des Stoffes ergeben sich jedoch auch Möglichkeiten. Michael Endes Jim Knopf ist, nach heutigen moralischen Maßstäben betrachtet, keine unproblematische Gestalt. Der dunkelhäutige und dicklippige Junge kann weder lesen noch schreiben. Er will es auch gar nicht lernen und wird von Herrn Ärmel als Neger eingeführt. Hier walten vergangene Klischees, von denen sich die Verfilmung deutlich distanziert. Darüber hinaus erfährt die Geschichte des Jungen ohne klare Herkunft, der sein neues Zuhause verlässt, weil durch ihn die Angst vor einer Überbevölkerung wächst, eine Aktualität, die sich Michael Ende nicht besser hätte ausmalen können. Das gilt auch für die Botschaft, dass diese Problematik am Ende überwunden werden kann und ein gemeinsames Miteinander ohne Schwierigkeiten möglich ist.

Der Indianer, der Inuk und der kleine Bayer: lauter wohlbekannte Klischees

Es gelingt dem Film jedoch nicht, den Anspruch auf Aktualisierung durchzuhalten. Als es Jim und Lukas auf ihrer Reise in das Land Mandala verschlägt, treffen sie dort auf Asiaten, die dank aufgeschminkten Mandelaugen, langen dünnen Bärten und kunstvoll aufgetürmten Frisuren ein Stereotyp bedienen. Als die Reisegruppe Prinzessin Li Si aus den Fängen des Drachen Frau Mahlzahn befreit und eine Horde gekidnappter Kinder gleich mit, trifft man ebenfalls auf eine Ansammlung nationaler Klischees. Ob Inuk, Indianer, holländisches Mädchen oder bayerischer Bub: Eine so deutliche Markierung des Herkunftslands ist eine bewusste Entscheidung. Zwar haben Christian Becker und Dennis Gansel immer wieder betont, so nah wie möglich am Original bleiben zu wollen. Trotzdem hätte eine Anpassung an heutige Standards das Erbe Endes weiter aufgewertet.

In Solomon Gordon haben die Filmemacher jedoch einen Jim Knopf gefunden, der keine Zweifel an der Richtigkeit der Besetzung aufkommen lässt. Zum Zeitpunkt des Drehs war Gordon gerade einmal elf Jahre alt, verkörpert die Abenteuerlust und Unbekümmertheit der Buchvorlage jedoch perfekt und überzeugt darüber hinaus durch sein Spiel. Wie die restlichen Kinder des Casts wurde er in England entdeckt. Dort werden Schauspieler traditionell früher ausgebildet. Das führte zwar dazu, dass die Kinder in der deutschen Version synchronisiert werden mussten. Allerdings muss man schon sehr genau hinsehen und vor allem hinhören, um die Synchronisierung im Film zu erkennen.

Darüber hinaus wartet der Film ausschließlich mit deutschen Schauspielern auf. Henning Baum spielt mit schwarz gefärbtem Bart und Dauerwelle den nun eher muskulösen als dicklichen Lukas. Annette Frier, Christoph Maria Herbst und Uwe Ochsenknecht spielen die liebenswürdigen und schrulligen Bewohner von Lummerland Frau Waas, Herr Ärmel und König Alfons.

Diese bewegen sich durch einen Film, der das Produkt von Studiobauten in Kombination mit visuellen Effekten ist. Sieht man beispielsweise Lummerland aus der Ferne, kann man die Fortschritte der digitalen Technik im Film bewundern. Die Wohnhäuser, das Geschäft von Frau Waas, das Schloss oder Emmas Eisenbahnnetz bestehen jedoch aus liebevoll ausgestalteten Kulissen, die in den Bavaria und Babelsberger Filmstudios geschaffen wurden. Einige der surrealistischen Gedankenbauten Endes wie der Tausend-Wunder-Wald oder die Drachenstadt Kummerland machen deutlich, was man mit 8,5 Millionen Euro machen kann, wenn es um die Herstellung von Bildern sagenhafter Länder gehen soll. Man hätte befürchten können, dass solche Fantastereien auf Kosten der Geschichte gehen. Doch dergleichen geschieht hier nicht: Sie erweitern das Register einer längst klassisch gewordenen Fabel.

Die neueste Version von "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" wird sich an der bekanntesten Verfilmung eines anderen Buches von Michael Ende - der "Unendlichen Geschichte" - messen lassen müssen. Ein nicht ganz einfaches Erbe. Doch wenn man das Kino verlässt, hallen die traumgleichen Welten nach und hinterlassen ein kleines Lied auf den Lippen: "Eine Insel mit zwei Bergen und dem tiefen weiten Meer ..."

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