Film:Der Männer-Versteher

Sein Name macht die wildesten Zuhältertypen lammfromm: Wie der Regie-Pirat Klaus Lemke in Hamburg einen Liebesfilm dreht.

Oliver Fuchs

Nur vollendete Kunstwerke werden bekannt. Sie gelangen ins Museum, auf die Bühne oder in den Buchhandel. Dabei kann es erkenntnisreich sein, die Kulturschaffenden in ihren Schreibkammern, Ateliers oder am Drehort zu besuchen: bei der Arbeit. In dieser Folge treffen wir den Filmemacher Klaus Lemke.

Klaus Lemke, dpa

Klaus Lemke, der Outlaw des deutschen Kinos.

(Foto: Foto: dpa)

Eine platinblonde Frau lässt sich von einem Typen gegen eine Hauswand drücken, das heißt nehmen, das heißt, nun ja, ficken. Im Hintergrund läuft Fußball, das Eröffnungsspiel der WM, Deutschland gegen Costa Rica.

Dass ihr Machen und Stoßen und Stöhnen von einer Gruppe Deutschlandfans unter großem Hallo zur Kenntnis genommen wird - Stichwort ,,Public Viewing'' - fällt den beiden erst gar nicht auf. Selbstvergessener, seliger Sex. Am Ende winkt die Frau lachend zu den Deutschland-Hüten hinüber. Sie reißt den Arm in die Luft: Juhu.

Was kann danach noch kommen? Nichts, oder? Höchstens: noch eine Sexszene. Derselbe Mann an der derselben Wand mit einer anderen Frau. Wieder läuft Fußball. Alles geht verdammt schnell. Kick & Rush.

Die Ultrabrutalschöne

Zwei Höhepunkte, ach was: Explosionen, und der Film hat noch gar nicht angefangen! Erst später wird eingeblendet: ,,Finale - Film von Klaus Lemke''. Und noch später - mitten in der dritten Sexszene - wird zum ersten Mal geredet.

,,Passiert heut' noch was?'', sagt eine ultrabrutalschöne Frau zu dem Mann im Muskel-Shirt, mit dem sie eben Hand in Hand eine Bar verlassen hat. Jetzt liegen die beiden im Bett, und es passiert für ihren Geschmack: zu wenig.

,,Passiert heut' noch was?'' Sieht nicht so aus. Die Ultrabrutalschöne zieht sich wieder an und geht ins Zimmer des Mitbewohners. Der kann immerhin Gitarre spielen. Als er sie sieht, legt er die Gitarre beiseite. Er knöpft die Hose auf, sie streift ihr Kleid ab, los geht's.

Damit kein falscher Eindruck aufkommt: Der Film, der hier gedreht wird, ist ein Liebesfilm. Juli 2006, Hamburg. Klaus Lemke tigert in seinem Hotelzimmer herum und wiederholt mantragleich das, was er den ,,Kurzinhalt'' nennt.

Er schwenkt einen Zettel, auf dem steht: ,,Die bittersüße Love-Story zwischen einer 26-jährigen Schauspielerin am Anfang ihrer Karriere und einem 21-jährigen Callgirl am Ende ihrer Ehe''. An der Wand hängen noch mehr Zettel, ein Gekrakel mit Kringeln und Pfeilen, vieles ist durchgestrichen: Sowieso lernt Sowieso kennen, Sowieso fickt Sowieso ... Und immer so weiter.

Weil Lemkes Filme sein wollen wie das Leben, wächst so eine Graphik schnell ins Unendliche. Irgendwo lernt immer jemand jemanden kennen. Lemke muss das Chaos bändigen und irgendwann in einen ,,Kurzinhalt'' zwingen. Mit dem Leben Schritt halten? Da wird man ja verrückt.

,,Finale'' sollte vor kurzem noch ,,Süße Gier'' heißen und an der deutsch-polnischen Grenze spielen. Auch ein Scheidungsdrama war mal anvisiert. So wie Lemke überhaupt erst mal nichts ausschließt, dreht, verwirft, neu anfängt. Ob am Ende ein Film entsteht, ist ungewiss. ,,Wir haben vier Wochen WM gedreht, dann wussten wir nicht weiter'', sagt Lemke und setzt Kaffee auf. Es klingt nicht dramatisch, aber ernst.

Lemke zündet sich eine Zigarette an. Man sieht ihn öfter rauchen als nichtrauchen, immer aber in Jeans, weißem T-Shirt, Schiebermütze, seinem Allwetter-Ganzjahres-Ensemble. Lemke, der für Filme wie ,,Arabische Nächte'' in den Siebzigern gefeiert wurde, ist inzwischen zu einem Helden des Underground geworden.

Jetzt dreht er in Hamburg, wieder mal. ,,Ich bin ein Pirat'', sagt er, ,,ich raube die Stadt aus''. Die Stadt Hamburg lässt sich gern von ihm ausrauben. Wenn er hier ohne Drehgenehmigung in eine Kiez-Bar reinmarschiert und holterdipolter losfilmt, kommt es zwar vor, dass der Betreiber dem Regisseur an die Gurgel geht.

Der Männer-Versteher

Doch dann braucht nur einer ,,Lemke'' zu sagen, und plötzlich wird auch der wildeste Zuhältertyp lammfromm und bettelt um ein Autogramm: Klaus Lemke, DER Klaus Lemke? In Hamburg hat Lemke 1971 ,,Rocker'' gedreht, sein Meisterwerk. ,,Rocker'' läuft beinah jede Woche in irgendeinem Hamburger Kino, und nicht wenige Hamburger können den Film lippensynchron mitsprechen.

Und jetzt also ,,Finale''. Die WM ist vorbei, aber draußen tobt weiter der Sommer. Ein einziger Ausnahmezustand, dieser Sommer. Ein Tag dauert 50 Stunden. Der Himmel ist blauer als sonst, das Gras grüner. Die Luft vibriert. Gültig beschreiben lässt sich das kaum - aber vielleicht filmen? Eine halbe Stunde Rohschnitt ist fertig.

Lemke sitzt im Vorführraum, lauernd wie ein hungriger Leopard. Die Dreharbeiten laufen so ab: Tagsüber wird gefilmt, abends das gerade entstandene Material gesichtet, geprüft, für geil befunden oder weggeworfen. Lemke fragt die Schauspieler: Was seht ihr da eigentlich? Das vergleicht er mit dem, was er sieht.

Oder denkt, dass er sieht. Und daraus entsteht der nächste Drehtag. Was sehe ich da eigentlich? Film ist ein grausames Medium: Was man nicht sieht, existiert nicht. Da kann man sich noch so schöne ,,Kurzinhalte'' ausdenken. Lemkes bisher letzter Film zum Beispiel, ,,Undercover Ibiza'', war eher ein Denk- als ein Seh-Film.

An der Last seines Kurzinhaltes hatte er schwer zu tragen. Bei ,,Finale'' jedoch ereignen sich die Dinge wie auf magische Weise von selbst. Die ersten 30 Minuten sind bittersüß und ergreifend, dabei ist die Liebesgeschichte noch gar nicht drin.

Aber der Sommer ist drin, die WM, das Flirren. Gültig beschreiben lässt sich der Film genauso wenig wie der Sommer. Nein, anders: Der Film ist so schön, dass man ihn gar nicht zudecken will mit Text.

Eine Pause wäre gut. Aber Lemkes straffe Tagesplanung sieht jetzt Interviews vor. Alles ist durchorganisiert, wie beim Pressetag von Universal Pictures, wenn der neue Spielberg-Film weltexklusiv gezeigt wird und Robert de Niro, Scarlett Johansson und Sharon Stone sich den Fragen von New York Times und Corriere della Sera stellen. De Niro, Johansson und Stone - das sind hier Timo Jacobs, Saralisa Volm und Anneke Schwabe. Und die Weltpresse, nun ja...

Los jetzt, Action, Cowboy!

Timo Jacobs: coole Sau mit elastischem Gang, bereits in Lemkes ,,3 Minuten Heroes'' sowie ,,Undercover Ibiza'' dabei - warum ist der eigentlich nicht längst ein Top-Star?

Dass mit dem deutschen Kino etwas nicht stimmt, erkennt man daran, dass immer Heino Ferch die Hauptrolle spielt - und nicht Timo Jacobs. Sei's drum. In ,,Finale'' spielt er überzeugend einen Mann, der ein Schatten seiner selbst ist, gramgebeugt. Er lässt sich gerade scheiden von Saralisa - oder sie sich von ihm? Jedenfalls ist Saralisa die Ultrabrutalschöne, die mit dem Muskel-Shirt-Mann abzieht, aber dann lieber mit dessen Mitbewohner Sex hat.

Wer wäre da nicht gramgebeugt?

Saralisa ist eine Über-Frau. Wer sie sieht, glaubt wieder an Deutschland.Die Männer jedoch sind alle Flitzpiepen, Schwachmaten, Vollversager. Sie drucksen rum, sagen dauernd ,,eigentlich''.

Saralisas baldiger Ex-Mann zum Beispiel richtet sich die Haare, während Deutschland gegen Argentinien beim Elfmeterschießen hinten liegt. Saralisa bleibt also nichts anderes übrig, als sich in eine Frau zu verlieben.

Hier kommt Anneke ins Spiel, die ,,26-jährige Schauspielerin am Anfang ihrer Karriere'', gespielt von Anneke, einer 26-jährigen Schauspielerin am Anfang ihrer Karriere, zierlich, klug, gerissen, selbstsicher, Anneke also ist die einzige Person, die es mit Saralisa aufnehmen kann.

Im Interview sagt Anneke den schönen Satz: ,,Authentisch sein ist das Schwerste überhaupt - toll, wenn's dann doch mal klappt.''Die Liebesszenen zwischen diesen Wahnsinnsfrauen - das ist vielleicht Lemkes Art, dem deutschen Mann, diesem verängstigten Krisenwesen, zuzurufen: du erbärmlicher Jammerlappen!

Lemke druckst nie rum, stellt keine Fragen, der Aussagesatz ist sein bevorzugter Sprechmodus: ,,Los jetzt, Action, Cowboy.'' Seine Stimme klingt dabei wie die von Robert Mitchum.

Los jetzt, Action, Cowboy: Auf die Frage, ob's möglich wäre, bei den Dreharbeiten dabei zu sein, hat Lemke geantwortet, dass er noch nie jemanden beim Dreh hat zuschauen lassen, in 40 Jahren nicht. Dann hat er eine Weile nichts von sich hören lassen. Dann hat er Ja gesagt.

Wir fahren also in Saralisas Wohnung, wo eine Telefon-Liebesgeflüster-Szene gedreht werden soll. Alles sehr intim. Außer Saralisa und Lemke sind dabei: ein Tonmann und ein Kameramann. Gedreht wird mit einer kleinen Digitalkamera. Während des Drehs, sagt Lemke, gelten folgende Regeln: kein Alkohol, keine Drogen, kein Sex im Team.

Lemke hasst Unpünktlichkeit. Und: ,,Bloß nicht zu familiär werden. Die Schauspieler sollen denken, der Lemke is'n Arschloch. Die sollen sich auch nicht dauernd gegenseitig versichern, dass der Film super wird. Mir ist es lieber, wenn sie Angst haben, dass der Film ein Desaster wird.''

Saralisa zieht ein rotes Kleid an, geht auf Zehenspitzen durch ihre Wohnung. Das Telefon klingelt. Anneke ist dran. ,,Hallo Süße, wo bist du?'' ,,Auf Zehenspitzen in meiner kleinen Wohnung, die schon ganz ...'' Lemke schüttelt den Kopf. So gehe das gar nicht. Zu mädchenhaft. Noch mal.

,,Hallo Süße, wo bist du?'' ,,Auf Zehenspitzen in meiner kleinen Wohnung, die schon ganz böse ist, weil ich ...'' Lemke schüttelt den Kopf. Nein, nein, du spielst nicht. Du schaust dir selbst beim Spielen zu. Noch mal.

,,Hallo Süße, wo bist du?'' ,,Auf Zehenspitzen in meiner kleinen Wohnung, die schon ganz böse ist, weil ich sie so oft allein lasse.'' Lemke schüttelt den Kopf. Ihm passt die ganze Richtung nicht, Tonlage, Stimmung, alles falsch.

Für den laienhaften Beobachter sieht es okay aus, klingt es okay. Aber der Beobachter ist ja gerade das Problem. Der Stimmungskiller. Solange der anwesend ist, bleibt die Intimität weg. Lemke sagt, Schluss für heute, wir gehen in eine Bar.

Authentisch sein ist das Schwerste überhaupt. Wenn's klappt: toll. Wenn nicht: trotzdem toll. Passiert heut' noch was?

Am 8. November erscheint der Band ,,Inside Lemke'', herausgegeben von Brigitte Werneburg, mit Beiträgen von Dominik Graf, Iris Berben, Fatih Akin u.a. (Verlag Schnitt, Köln).

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