Film:Ach, früher

In dem finnischen Film "Kaffee mit Milch und Stress" hadert ein alter Bauer mit der Gegenwart. Man versteht sein Jammern gut, und doch ist es reaktionär.

Von Philipp Bovermann

So irre cool ist es auch nicht, jung zu sein. Ständig glaubt man, irgendetwas zu verpassen, man hat jeden Tag Termine, schlechte Haut und hört dämliche Musik. "Kaffee mit Milch und Stress" hingegen beginnt mit einem Bild der Wehmut: Ein alter Mann steht auf einem Acker. Die neblige Kälte scheint irgendwann auch in sein Herz gekrochen zu sein, aber er hackt weiter. "Es hat mich traurig gemacht, dass sich die Zeiten geändert haben", hören wir ihn aus dem Off sagen. "Früher war's nicht so schlecht wie heute."

Der alte Bauer schaut gern die Nachrichten, jeden Tag zum Glockenschlag um halb neun. Von den Neuigkeiten früherer Tage sind ihm allerdings nur noch die Sportmeldungen geblieben. Archivbilder der Olympischen Spiele (welches Jahr noch gleich?) tauchen in ihm auf. Er erinnert sich an die Athleten, die damals "aus Eisen" waren und kein Doping nötig hatten, an die Frauen, die nach Roggen rochen, an den Duft von Hefegebäck in der Küche. "Sogar in der Bank wurde ofenfrischer Hefezopf angeboten. Da wusste man, dass das Geld sicher war."

Film: „Früher war’s nicht so schlecht wie heute.“ Sagt der alte Bauer. Wie gut versteht man ihn, und wie reaktionär ist es doch?

„Früher war’s nicht so schlecht wie heute.“ Sagt der alte Bauer. Wie gut versteht man ihn, und wie reaktionär ist es doch?

(Foto: NFP)

Manchmal braucht es Szenen wie diese, die so unverblümt und eindringlich an bestimmte Gefühle appellieren, damit man sich über deren Existenz überhaupt erst einmal klar wird: Das Gefühl, alt zu sein, zum Beispiel, auch wenn man es eigentlich noch gar nicht ist. Die Hysterie der Gegenwart nicht mehr ertragen zu wollen, all den nervigen Unsinn, der einem ständig als tolle Sensation oder als Weltuntergang vor die Füße gekippt wird. Wie gern würde man, wie dieser greise Bauer, nur noch störrisch vor sich hin motzen, anstatt zuzuhören, wenn einem jemand was erzählt! So müde und so traurig macht einen das alles. Als er die Kartoffeln in den Keller trägt, dabei stürzt und der Arzt ihm eine Physiotherapie verschreibt, sagt der Alte: "Die Jugend ist es, die eine Therapie braucht."

Er lässt sich dann aber doch humpelnd in die Stadt schicken und darf dort seiner Schwiegertochter, einer SUV-fahrenden Businessfrau, auf die Nerven gehen. "Helfen", so nennt er es, und zwar mit guten Ratschlägen: Die Dachrinne muss der Mann im Haus vom Laub befreien, "einen Keller muss man haben", Radio genügt, um sich mit Informationen zu versorgen, ein Holzofen, das ist was Anständiges. Manchmal klingt er wie einer der jungen Menschen in den Großstädten heute, die müde an der Moderne geworden sind: "Hoch lebe die Selbstversorgung", sagt er, und dass man ein Tier, wenn man es essen will, auch töten können muss.

Der Alte sucht in der Stadt nach Kaffee, aber er kriegt keinen, denn hier trinken die Leute nur Latte Macchiato und Mate-Tee. Diesen hier titelgebenden Running Gag gab es schon mal: In Jan Ole Gersters "Oh Boy". Da ist im hippen Berlin auch ständig der Kaffee alle, oder schwäbische Baristas wollen dem jungen Protagonisten doppelt geröstete Modeplörre andrehen, die er sich nicht leisten kann.

Die Schlüsselszene findet in der Wohnung einer alten Frau statt. Sie bittet ihn, in einem Massagesessel Platz zu nehmen. Erst zögert er, doch dann entspannt sich etwas in ihm. Man begreift, dass auch er ein alter Mann ist, wie so viele junge Männer heute, die sich das Vergangene, das Ursprüngliche zurückwünschen, einen normalen Filterkaffee ohne Sojamilch.

"Kaffee mit Milch und Stress" enthüllt, wie verflucht reaktionär leider diese Tendenz bisweilen ist. Frauen am Steuer? "Das gibt nur Blechschäden und einen Bericht in der Lokalzeitung!" Deshalb geht einem dieser Film auch zunehmend auf den Geist - wie alte, verbohrte Säcke es nun mal tun, wenn man das, was sie so rausblasen, irgendwann beim besten Willen auch nicht mehr lustig findet.

Doch zum Schluss kehrt der alte Bauer auf seinen Hof zurück, zumindest in seiner Fantasie. Seine Frau ist da, sie stehen sich auf dem Acker gegenüber, er mit der Hacke in der Hand. Es beginnt gewissermaßen ein Film im Film. Auch das Kino ist ja eine Maschine, die Bilder aus der Zeit herauslöst, um sie für die verträumte Betrachtung zu retten. Die Lust daran ist ein melancholisches Unterfangen. Ein Leben lang wartet man darauf, dass die Vergangenheit endlich anfängt. Und wenn es dann endlich soweit ist, wenn die eigene Existenz wie ein Film an einem vorüberzieht, ist es bereits zu spät.

Kaffee mit Milch und Stress, Finnland 2014 - Regie: Dome Karukoski. Buch: Karukoski, Tuomas Kyrö, Pekko Pesonen. Kamera: Pini Hellstedt. Schnitt: Harri Ylönen. Musik: Hilmar Örn Hilmarsson. Mit: Antti Litja, Petra Frey, Mari Perankoski. Verleih: NFP, 103 Minuten.

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