Festspiel-Werkstatt:Das Größte im Kleinformat

In der Reithalle laufen vier experimentelle Produktionen für neues Musiktheater. Staatsopernintendant Nikolaus Bachler sieht darin auch Inspirationen für die Opernregie der Zukunft.

Von Rita Argauer

Die Erneuerung läuft über die Verkleinerung. Denn eine Oper in dem ihr eigenen Riesen-Format zu inszenieren, das kann sich kein Künstler der Off-Szene leisten, wenn er nicht von einem großen Haus dafür engagiert wurde. Doch gerade dort, in der Szene, die noch nicht so sehr gebunden ist an große Häuser mit ihren noch größeren Konventionen, dort liegen die vielleicht interessantesten Vorschläge, wie die Opernregie für die zukünftige Generation aussehen könnte.

Denn in der Off-Szene gibt es eine Menge Künstler, die gerne Musiktheater machen wollen. Damit das passieren kann, wird in der Regel die Oper, dieses größte und auch größenwahnsinnigste Format des Theaterbetriebs, eben eingedampft. Etwa vom Berliner Ensemble "Hauen und Stechen", das nun für die Werkstatt der Münchner Opernfestspiele die Produktion "Zeig mir deine Wunder" geschaffen hat.

"Hauen und Stechen", die man eigentlich gar nicht als Ensemble bezeichnen sollte, weil sie sich selbst als Kollektiv verstehen, kennen sich aus im Miniaturformat. Die beiden Gründerinnen Franziska Kronfoth und Julia Lwowski haben im Anschluss an ihr Studium der Opernregie an der Berliner Musikhochschule Hanns Eisler in Berlin im Keller einer Galerie angefangen, die großen Opern der Musikgeschichte ins ganz Kleine herunter zu brechen. Denn dieser Raum sei so klein gewesen, dass ein regelrechtes "Hauen und Stechen" der Zuschauer um die Einlasskarten von Nöten gewesen wäre. So erinnert sich zumindest Franziska Kronfoth. Julia Lwowski widerspricht da, der Name sei schon vor den Galerie-Aufführungen da gewesen. So ganz genau weiß man das nicht mehr und es ist vielleicht auch egal, denn die beiden Anfang 30-Jährigen hauen und stechen eben auch gehörig in den konventionellen Opernbetrieb. Mittlerweile inszenieren sie zwar hauptsächlich für die doch größeren Berliner Sophiesæle, das Prinzip der konsequenten Zerlegung eines Opernstoffs in seine Kleinteile und der anschließenden Zusammensetzung in neuem Format haben sie allerdings beibehalten.

Für Intendant Nikolaus Bachler ist die Werkstatt eine "Frischzellenkur für das Haus"

"So richtig geplant ist das nicht, ich habe mir nicht gedacht, ich muss den Opernstoff zwangsläufig zerstückeln", erklärt Lwowski jedoch. Außerdem hätte sie schon Lust, einmal für die Salzburger Festspiele in richtig großem Stil zu inszenieren. Doch auch ein solches Projekt dürfte bei ihr anders aussehen als das Standardprinzip, das in der Opernregie von New York bis München sonst recht einheitlich angewandt wird.

Festspiel-Werkstatt: Oper in Miniatur sieht man im Bühnenmodell zur halbszenischen Aufführung von „Vanitas“. Fotos: Bayerische Staatsoper, Julia Lwowski

Oper in Miniatur sieht man im Bühnenmodell zur halbszenischen Aufführung von „Vanitas“. Fotos: Bayerische Staatsoper, Julia Lwowski

Das sieht sogar Nikolaus Bachler, Intendant der Bayerischen Staatsoper, so: "Die Ästhetiken müssen sich weiterentwickeln, damit eine Fortsetzung in die Zukunft möglich ist", erklärt er. Für ihn ist die Festspiel-Werkstatt auch so etwas wie eine "Frischzellenkur für das Haus". "An diesem Haus arbeitet man immer mit den großen Formen", doch für ein so großes und internationales Haus sei es nötig, mit so etwas wie der Werkstatt die "Lebendigkeit und die Zeitgenossenschaft" zu erproben.

Über "Hauen und Stechen" ist Bachler dabei ganz glücklich. Denn die Kohärenz, die die Berliner Künstler zum Spielzeit-Motto "Zeig mir Deine Wunde" geschaffen haben, zeigt, dass auch in der Arbeit im Kleinen eine Verbundenheit zum Großen herrscht. Das Motto verzweigt sich bei "Hauen und Stechen" weiter, aus der Wunde werden in der Werkstatt die Wunder und aus dem "Parsifal" wird Rimsky-Korsakows "Snegurotschka". Aus diesem "Schneeflöckchen" wollen "Hauen und Stechen" mit einem kleinen Musikerensemble, Sängern und Schauspielern die Oper multidisziplinär und vor allem für Zuschauer verschiedener Altersklassen zugänglich und erfahrbar machen. Denn darin sind sich die Künstler der Off-Szene und Staatsintendant Bachler einig: Solche neuen Formen sprechen ein andere Publikum an und sorgen dafür, dass Musiktheater auch in Zukunft ein Publikum hat.

Auch die Perspektive einer Generation, die schon etwas erlebt hat, wird sichtbar

Parallel zu den großen Inszenierungen und Premieren der Festspiele bietet die Festspiel-Werkstatt Blicke in die Zukunft der Opernregie. Dass das Münchener Publikum dafür erstaunlich offen ist, zeigte sich zuletzt auch am regen Interesse an der vergangenen Münchener Biennale für Neues Musiktheater. Doch auch an der Bayerischen Staatsoper bemerkt man ein wachsendes Interesse an den Werkstattproduktionen, wie Staatsintendant Nikolaus Bachler bestätigt: "Die Werkstattproduktionen wurden zuletzt vom Publikum immer stärker wahrgenommen."

Festspiel-Werkstatt: Das Kollektiv „Hauen und Stechen“ arbeitet auch mit Videos, die im Vorfeld gedreht wurden.

Das Kollektiv „Hauen und Stechen“ arbeitet auch mit Videos, die im Vorfeld gedreht wurden.

Dass dieses Neudenken von Ästhetik und Konvention nicht immer ausschließlich durch die junge Generation geschehen muss, zeigt sich in den weiteren Werkstattproduktionen. So gab etwa die Staatsoper mit "Die Vorübergehenden" ein Werk bei Nikolaus Brass in Arbeit. Der 1949 geborene Komponist ist in der freien Szene in München hoch etabliert, ist Vorsitzender der "Münchner Gesellschaft für Neue Musik" und entspringt ästhetisch noch der abstrakten Avantgarde des späten 20. Jahrhunderts. Nun hat er ein Stück für sieben Solisten, zwölfstimmigen Chor und Kammerorchester geschrieben, aus der Perspektive eines Mannes, über den Erinnerungen an längst vergessene Geschehnisse hereinbrechen. Die Perspektive einer Generation also, die schon etwas erlebt hat, die aber durch Brass eine neue Ästhetik erfahren kann.

Hinzu kommt mit Salvatore Sciarrinos "Vanitas" die Aufführung des Werks eines Künstlers aus der gleichen Generation wie Brass, das irgendwo zwischen Mini-Oper und Kammerkantate angesiedelt ist und sich ebenfalls mit der Verkleinerung der Oper auseinandersetzt. In "Match!" vermischen sich dann die Generationen der Musik-Erneuerer. Mauricio Kagels "Match für drei Spieler" trifft auf Benjamin Brittens Suite für Violoncello Nr. 3 und "Stellar Remnants" der 1983 geborenen Komponisten Ellen Reids als europäische Erstaufführung.

Festspiel-Werkstatt: Szene des Kollektivs "Hauen und Stechen".

Szene des Kollektivs "Hauen und Stechen".

(Foto: Marino Solokhov)

Zeig mir deine Wunder, Di./Mi./Fr., 26./27./29. Juni, und So., 1. Juli, 19.30 Uhr, Die Vorübergehenden, Fr./So./Mo./Sa., 13./15./16./21., Juli, 20.30 Uhr, Vanitas, Do./Fr., 19./20. Juli, 21 Uhr, Match!, Do./Fr., 5./6. Juli, 21 Uhr, Reithalle, Heßstraße 132

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