Festival:Wie klingt privat?

Münchner Biennale Wir aus Glas

"Wir aus Glas" heißt die Eröffnungspremiere am Samstag.

(Foto: Eike Walkenhorst)

Die Musiktheaterbiennale beginnt

Von Egbert Tholl, München/Feldafing

Manchmal braucht es gar nicht viel, um einen Ort völlig neu, fremd, anders wirken zu lassen. Normalerweise empfindet man die Villa Waldberta in Feldafing als das, was sie ist: idyllisches Dichterrefugium hoch über dem Starnberger See mit Blick auf selbigen. Nun wurde man von einem Bus am Starnberger Fernbahnhof abgeholt, auf der Fahrt auf ein Etwas vorbereitet, das einem rätselhaft bleibt, schließlich vor der Waldberta ausgeladen. Dann schreitet man zur Villa hinan, im Park tröten Hornisten, stehen dabei im Wasser künstlicher Teiche, vom Balkon der Villa dort oben grüßt einer mit freundlicher Strenge, was zur ganzen Atmosphäre passt, als wäre die Waldberta die Villa Hügel in Essen und man nähme an einer geheimen Präsentation von irgendetwas machtvoll Industriellem teil. Stimmt auch, denn drinnen gibt es dann tatsächlich eine Art Präsentation, gesungen von der faszinierenden und fabelhaft schön ausstaffierten Marie-Sophie Pollak und dem unternehmungslustigen Felix Schwandtke, mit Projektion und allem, was dazugehört. Irgendwie geht es darum, dass die "Königlichen Membranwerke" - so heißt auch der ganze ausgedehnte Vorgang - Sprache und Sprechen zerlegen, analysieren, kollektivieren und in ein Speichermedium einspeisen, das der Starnberger See ist.

Nein, nein, nein, das oben Beschriebene empfindet hier niemand als völlig durchgeknallten Wahnsinn, eher, falls man sich überhaupt wundert, als sanfte Schrägheit, wie sie einem bei der Münchner Musiktheaterbiennale begegnen kann. Zumindest, seit Daniel Ott und Manos Tsangaris diese leiten. Das tun sie seit 2016, die Ausgabe des Festivals, die diesen Samstag beginnt, ist also ihre zweite.

15 Uraufführungen werden dann vom 2. bis zum 12. Juni gezeigt, und dass man nun schon die Villa Waldberta und die "Königlichen Membranwerke" besuchen konnte, liegt daran, dass Ott und Tsangaris bei allen Aufführungen, die an ungewöhnlichen Orten stattfinden und eine erhöhte Aktivität der Zuschauer verlangen, Probedurchläufe mit Testpublikum durchführen lassen. Die beiden sind tiefentspannte Kümmerer, die nach Ende der mehrstündigen Performance auch sehr viel zu reden haben mit den beiden Komponisten Miika Hyytiäinen und Nicolas Kuhn und auch der Textdichterin Babylonia Constantinides. Ein wenig anders werden die "Königlichen Membranwerke" also ausschauen, wenn sie am 5. Juni Premiere haben, im Kern werden sie gleich bleiben, aber vielleicht ein bisschen funktionstüchtiger sein. Die Aufführung ist ein enormer logistischer Aufwand. Nach der Villa Waldberta geht es wieder zum Bus, man muss hinunter zum See, der ja schließlich das kollektive Sprechreservoir ist. Auf dem Weg zum Bus ein sensationeller Wegweiser, der dort immer ist und zum "Siemens Global Leadership Center Feldafing" weist.

Am Steg von Possenhofen wartet schon ein Dampfer, auf der Busfahrt dort hin erklärt Caroline Ebner per Video weitere Details zum NOS genannten Sprachspeicher. Am See selbst gerät man in ein Idyll inklusive inszeniertem Widerstand (Transparente verkünden "FCK NOS" oder "Nein zu Nos"), man kommt am verschlossenen Gasthaus Fischmeister vorbei (nicht der von Ambach!); guckt man durchs Fenster, sieht man drinnen auf der Fensterbank eine Zeitung vom 16. September 2015. Seitdem hat offenbar keiner das Wirtshaus aufgesperrt; das gehört zwar nicht zur Performance, aber ohne diese hätte man das nie entdeckt. Auf dem Schiff selbst, das hinüber nach Leoni und zurück fährt, dann die Kulmination der Idee, viel Gesang (Martina Koppelstetter steigt zu), Videoprojektion, Hörner schallen, Tuba dröhnt, ein Akkordeon drängt sich dazwischen, und auf Deck stiehlt das Abendrot der Performance fast die Schau. Aber vielleicht ist das auch inszeniert.

Die Musiktheaterbiennale, gegründet von Hans Werner Henze und nach diesem geleitet von Peter Ruzicka, suchte lange nach neuen, repertoire- und durchsetzungsfähigen Werken und brachte auch einige davon heraus, "Pnima" etwa oder "Bremer Freiheit". Vor zwei Jahren krempelten Ott und Tsangaris das völlig um und feierten mit Inbrunst den Moment der Aufführung. Heute sagen sie, bei ihrer ersten Ausgabe mehr Freiheit erlaubt zu haben, als sie dieses Jahr zulassen. Es ging ihnen um größtmögliche Diversität, um die Vielfalt der Gattungen, um einen sehr weiten Begriff von Musiktheater. Vielleicht muss man erst einmal ein bisschen übers Ziel hinausschießen, um das Neue zu behaupten. Das Neue bedeute nicht, dass sie, so Ott, ausschlössen, die bei ihrer zweiten Biennale gezeigten Aufführungen könnten repertoirefähig sein - selbst Werke von 2016 wurden inzwischen in anderen Kontexten nachgespielt. Tatsächlich, so Tsangaris, seien drei Viertel der Werke traditionell notiert, könnten ohne Probleme nachgespielt werden, seien nicht an ein einmaliges performatives Ereignis gebunden - im Zweifelsfall braucht man halt ein passendes Schiff.

2016 wählten die beiden als Motto "O. m.U.", also Original mit Untertiteln, was alles sein konnte. Dieses Jahr ist das Thema "Privatsache", und das ist ernst zu nehmen. In den vergangenen Jahren veranstalteten Ott und Tsangaris Plattformen, in Deutschland oder auch mit Hilfe der Goethe-Institute in fernen Ländern. Dort fanden sich Komponisten, Regisseure, Textdichter, manche wurden von den beiden Leitern sanft verkuppelt. In der Form genössen die Künstler immer noch große Freiheit - Tsangaris: "Jede Arbeit stellt ihre eigene Kohärenzfrage." Aber ans Thema müssen sich die Künstler halten, es soll fürs Publikum einen Ansatz von Vergleichbarkeit völlig heterogener Arbeiten schaffen; manche winkten ab und arbeiten nun schon an der Biennale 2020.

Ganz klassisch (klassisch?) sei zum Beispiel das Eröffnungsstück "Wir aus Glas" von Yasutaki Inamori (Musik) und Gerhild Steinbuch (Text): Ein Komponist vertont einen bestehenden Text, das Ergebnis kommt in der Muffathalle heraus. Ähnlich auch "Alles klappt" von Ondřej Adámek unter Beteiligung von Residenztheater und Theaterakademie. Adámeks Instrumentalmusik ist schon an sich avanciertes, umwerfendes Klangtheater. Am 6. Juni klappt's dann richtig.

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