Festival "Videobrasil":Irgendwie anders

Festival "Videobrasil": Ayrson Heráclito: Melodramatische Klänge und Perlenketten.

Ayrson Heráclito: Melodramatische Klänge und Perlenketten.

(Foto: Ayrson Heráclito)

Wer erahnen will, nach welchen Ausdrucksmöglichkeiten die Kunst-Avantgarde der südlichen Megacities sucht, der ist bei "Videobrasil" in São Paulo richtig. Was auf diesem Festival für Videokunst zu sehen ist, hebt sich wohltuend vom Starrummel westlicher Großveranstaltungen ab. Manches ist kitschig oder banal, doch das macht nichts.

Von Kia Vahland

Viele der Besucher, die jetzt zum WM-Jahr nach Brasilien aufbrechen, werden das Land auf den ersten Blick als sehr europäisch empfinden, nur wärmer und mancherorts zeitgenössischer: In São Paulo orientiert man sich nicht an Kirchen und alten Palästen, sondern an Ausfallstraßen und den Bauten der Nachkriegszeit.

Unter ihnen ragen Museen heraus wie das von Lina Bo Bardi entworfene Museu de Arte de São Paulo (Masp) und die Ausstellungshäuser des Parque do Ibirapuera, den der Landschaftsarchitekt Burle Marx und dem Baumeister Oscar Niemeyer angelegt haben. Das aber ist aus Sicht der Paulistas, wie sich die Stadtbewohner nennen, pures 20. Jahrhundert und damit: richtig alt.

Längst ist die Kunstszene einen Schritt weiter. Große Festivals etablieren die Stadt als Metropole des Südens, in scharfer Abgrenzung zu New York, Berlin und London.

Im jährlichen Wechsel mit der Kunstbiennale, der zweitältesten Biennale der Welt, ist Videobrasil zu sehen, ein Festival für Videokunst der Südhalbkugel. Es findet gerade zum 30. Mal statt, getragen vom Serviço Social da Comércio (SESC), der brasilianischen Händlervereinigung. Sie unterhält einige der größten Kulturzentren des Landes, so auch SESC Pompéia, eine umgebaute Ölfässer-Fabrik, in der man für wenig Geld Sport machen, Schachspielen, die Bibliothek nutzen oder eben eine Ausstellung mit Videokunst anschauen kann.

Jenseits westlicher Großveranstaltungen

Was in der Schau fehlt: die Stars, die man überall sieht. Keine Arbeit von Matthew Barney ist dabei und auch keine der vielen Documenta-Künstler aus aller Welt, die regelmäßig auf westlichen Großveranstaltungen auftauchen. Was die Kuratorin Solange Farkas stattdessen ausgewählt hat, ist weder spektakulär noch politisch überkorrekt, dafür manchmal poetisch, manchmal nachdenklich und oft wohltuend fremd.

Der Brasilianer Ayrson Heráclito spielt mit den afrobrasilianischen Riten: weiß gekleidete schwarze Frauen feiern zu melodramatischen Klängen ein nicht weiter erklärtes Ritual in einem Tempel. Ihre Perlenketten korrespondieren mit einem Schwarm Tauben, der auf einer parallelen Leinwand eine Flussinsel belagert, als würden diese Frauen mit der Kraft ihrer Gebete die Natur in Gang halten. Das ist religiöser gedacht als vieles im Westen, Kunst und Magie gehen plötzlich wieder zusammen.

Im ewigen Neuanfang

Festival "Videobrasil": Tatewaki Nios Arbeit "Nio Escultura do Inconsciente": Blaubehangen zurück im täglichen Leben.

Tatewaki Nios Arbeit "Nio Escultura do Inconsciente": Blaubehangen zurück im täglichen Leben.

(Foto: Tatewaki Nio)

Tatewaki Nio führt das Publikum mit seinen Baustellenfotos zurück ins tägliche Leben, das mal blaubehangen, mal als dunkelgelbes Abrisshaus gar nicht mehr so trist daherkommt in seinem ewigen Neuanfang.

Die meisten Künstler des Festivals streifen durch Städte. Sie öffnen Türen zu Studentenwohnheimen und Migrantenwohnungen und lassen sich Träume und Familiengeschichten berichten wie Sherman Ong aus Malaysia; sie spielen slapstickartig die Sorge von Polizisten einer Diktatur um öffentliche Ruhe nach wie Carlos Guzma'n aus Kolumbien; sie begeben sich wie Olivia McGilchrist aus Jamaica in verschwitzte Tanzbuden.

Festival "Videobrasil": Streifzug durch die Städte: Olivia McGilchrist landet für "Elation" in einer verschwitzten Tanzbude.

Streifzug durch die Städte: Olivia McGilchrist landet für "Elation" in einer verschwitzten Tanzbude.

(Foto: Olivia McGilchrist)

Oder sie feiern wie Maya Watanabe aus Peru die Sinnlosigkeit des Daseins mit schwarzgekleideten Darstellern auf dem Dach eines nicht gerade heimeligen modernistischen Wohnhauses.

Festival "Videobrasil": Feier für die Sinnlosigkeit des Daseins: Maya Watanabe und ihre Arbeit "El Contorno".

Feier für die Sinnlosigkeit des Daseins: Maya Watanabe und ihre Arbeit "El Contorno".

(Foto: Maya Watanabe)

Irgendwie kommt einem das alles bekannt vor und ist doch anders. Viele der Arbeiten lassen ahnen, wie in den südlichen Megacitys der Welt gerade eine sehr heterogene Avantgarde nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten sucht. Einige finden sich erst einmal im Kitsch wieder, andere in der Banalität, aber das macht nichts.

Die Geschichten, die sie schon erzählen und noch erzählen werden, haben formal wie inhaltlich nichts mit den ewig gleichen Soaps zu tun, die Fernsehen, Kino und manchmal auch der globale Kunstbetrieb einem ansonsten für das Leben verkaufen.

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