Festival:Unaufgeregt gut

Die Tage Alter Musik begeistern in Regensburg

Von Andreas Meixner, Regensburg

Dass die Tage Alter Musik in Regensburg beginnen, ist im Straßenbild der Altstadtgassen immer leicht zu erkennen. Entweder klemmt das riesige Programmheft unter den Armen der Passanten oder es lugt aus Rucksäcken und Tragetaschen hervor. Jeder hat mit diesem Ding aus 100 Seiten geballter Information zu kämpfen, knickt und faltet es, bis es sich nur noch mit Mühe blättern lässt. Ihre Besitzer sprechen viele Sprachen, aus ganz Europa reisen sie in die alte Donaustadt. Seit 34 Jahren sind die vielen Kirchen und historische Räume Schauplatz eines Festivals, dass bis heute erfrischend hemdsärmelig daherkommt. Wer schicke Stehtische und Prosecco vor den Veranstaltungsorten sucht, wird vergebens Ausschau halten. Ein paar Klapptische müssen reichen, um den Kartenverkauf und den CD-Stand zu organisieren. Die Liedtexte werden in den Kopierer gelegt, zusammengeklammert und an den Eingängen verteilt. Fertig, mehr braucht es nicht.

Ludwig Hartmann, Stephan Schmid und Paul Holzgartner, die Macher des Festivals, radeln in Jeans und T-Shirt durch die Gassen, ein Sakko oder gar ein Anzug wären unpraktisch und hinderlich. Die vier Konzerttage sind genauso unaufgeregt und entspannt, für die Atmosphäre sorgen allein die Musik und die authentischen Orte, wie sie es in dieser Dichte nur Regensburg haben dürfte. Mendelssohns Lobgesang eröffnet am Freitagabend den diesjährigen Reigen von 17 Konzerten. Die Regensburger Domspatzen und Concerto Köln unter der Leitung von Domkapellmeister Roland Büchner schaffen eine schlanke, aber schlagkräftige Interpretation, leidenschaftlich und homogen im Zusammenwirken von Chor und Orchester. Dass Bach nicht nur in seinem eigenen Fundus Arien oder ganze Werke für andere Zwecke umarbeitete, sondern bei Bedarf auch Musik geschätzter Zeitgenossen in sein Repertoire aufnahm und modifizierte, zeigt das Konzert des Barockorchesters La Folia und des Vokalensembles Polyharmonique - sogar eine Messe von Palestrina findet sich darunter. Allerdings hat das Programm mit fast zweieinhalb Stunden seine Längen, und so eilt die Menge danach schnellstens in das Nachtkonzert zur nahegelegenen Schottenkirche, wo das Tenebrae Consort wartet. Motetten und die Missa pro defunctis von Victoria fluten dort die Sinne, völlig überirdisch entrückt entweicht die Polyphonie und Gregorianik aus den sechs Frauen und vier Männern unter der Leitung von Nigel Short.

Einem ganz anderen Zauber erliegt man am Sonntag in der Minoritenkirche, wo die französische Formation "La Camera delle Lacrime" den Pilgerstrom des späten Mittelalters in das katalanische Kloster Montserrat halbszenisch nachzeichnet. Eine Vermengung von Psalmenversen, Chorälen sowie profanen Wechselgesängen und Refrains bilden die Grundlage einer seltsamen Mischung mystischer Klänge und religiöser Inbrunst, die nicht selten osmanisch anmutet. Der Frontmann und Leiter Bruno Bonhoure zieht als exaltierter Sänger und Percussionist alle Aufmerksamkeit auf sich, animiert das Publikum zum Mitsingen und Tanzen. "Vox Luminis" war vor wenigen Jahren schon einmal zu Gast, begeisterte damals mit den musikalischen Exequien von Heinrich Schütz. Die Motetten von Johann Sebastian Bach gelingen den Sängern aus Belgien in der Emmeramskirche technisch überlegen, enttäuschen aber mit einer gehetzten, dynamisch kaum differenzierten Herangehensweise, die der vielschichtigen Motettenkunst Bachs kaum gerecht wird.

Wenn der Begriff der Jam-Session in Bezug auf die alte Musik erlaubt ist, dann ist genau das im Leeren Beutel mit den Barokksolistene aus Norwegen zu erleben. Nicht die historische Aufführungspraxis ist das Ziel, sondern eine überdrehte Party mit der Musik von Henry Purcell. Angeführt vom Geiger Bjarte Eike improvisiert und mixt man Purcells Musik mit Anleihen aus der Folkmusik, garniert mit Elementen des Straßentheaters jener Zeit. Mit der prachtvollen Musik von Jan Dismas Zelenka beeindruckt das Ensemble Inégal und die Prague Baroque Soloists in einer wohltuend großen Besetzung und setzen unter großem Beifall den Schlusspunkt am Montagabend.

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