Festival:Ich bau' mir die Welt

Fahrenheit 451

Puppe mit Aura: Laura Eichten in Bradburys "Fahrenheit 451".

(Foto: Björn Klein)

Theater aus Hamburg und Stuttgart bei "Radikal jung"

Von Egbert Tholl

Der Abend ist reine Poesie und das Schönste, was bisher in diesem Jahr bei "Radikal jung" zu sehen war. Er heißt "Bilder deiner großen Liebe", wie der letzte Roman von Wolfgang Herrndorf, den dieser nicht mehr vollenden konnte. Herrndorf hat mit "Tschick" das deutsche Theater erobert, auch "Bilder deiner großen Liebe" wurde seit März 2015 an diversen Häusern inszeniert. Vielleicht aber nie so schön - eine kühne Behauptung in Unkenntnis der anderen Aufführungen - wie von Marie Rosa Tietjen am Hamburger Thalia-Theater in dessen winziger Bühne an der Gaussstraße. Wobei das so wahrscheinlich gar nicht stimmt, denn auf der Bühne steht ganz allein Birte Schnöink, mit der Tietjen den Abend erfunden hat. Also waren sie es vermutlich zusammen, aber eine muss halt oben stehen und die andere sagt, wie es ausschaut, so dass man sich vielleicht Tietjen als Alter Ego von Herrndorf denken kann und Schnöink als Alter Ego von Tietjen. Tietjen ist selber Schauspielerin, am Schauspiel Zürich zum Beispiel war sie oft bei René Pollesch dabei, was stets fabelhaft gut passte, so dass man nun a priori auf die Idee hätte kommen können, sie erarbeite mit Schnöink Herrndorfs Text im Pollesch-Stil. Ist aber ganz anders.

Anfangs richtet sich Birte Schnöink die Bühne her, auf der es gar nicht so viel herzurichten gibt, aber das Wenige macht sie mit sanfter Genauigkeit. Dazu läuft "Oh Lord, please don't let me be misunderstood" in einer wehen Version, Schnöink lächelt die Gitarre an, die da rumsteht und die sie ganz am Ende dieses Bühnengedichts spielen wird, "I'm a survivor". Ihre Figur ist ja wirklich eine Überlebende, obwohl es für dieses Überleben an sich nicht zum Besten steht. Isa, die auch kurz in "Tschick" auftaucht, was für diesen Abend aber irrelevant ist, flieht aus einer Anstalt und läuft barfuß durchs Leben. Im Roman. Schnöink trägt praktische Schuhe, denn sie muss auch ein bisschen turnen und Räder schlagen, wie ein kleiner Junge.

Die Isa kann die Sonne mit dem Daumennagel verschieben und einem Weberknecht auf ihrer Schulter gut zureden, aber sie weiß schon auch, dass manches in ihrem Kopf nicht so ist, wie sich die meisten Menschen das Innere eines Mädchenkopfes vorstellen. Einmal kriegt sie einen der Schübe, die ihr keine Ruhe lassen, da zieht Schnöink den hellen Cowboyhut ab und setzt einen schwarzen auf, was aber ganz und gar nichts an der Wahrheit ihrer zauberhaften, der Welt und dem Leben frohgemut gegenüberstehenden Haltung ändert. Isas Welt ist ein Lächeln. Dieses Lächeln ist fragil, anrührend und zart.

Wilke Weermann, Student an der baden-württembergischen Theaterakademie, baute am Schauspiel Stuttgart auch eine Welt. Aber die hat keine Poesie, sondern ist randvoll mit allem, was ein Einserschüler sich derzeit so auf dem Theater zusammensucht. Vielleicht hat Weermann gar nichts von Susanne Kennedy oder Ersan Mondtag gesehen, aber sein "Fahrenheit 451" erinnert in seiner puppenhaften Eigentümlichkeit daran. Dazu verordnet er dem Zuschauer ein emsiges Hantieren mit Kopfhörern, die mal ein Geheimnis bergen, meist nicht, und überhaupt vergisst man ob der vielen Ideen und technischen Spielereien bald vollkommen, worum es im Kern geht. Inhalt? Überbewertet!

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