Festival:Friedhofsglänzen

Festival: Trucker-Idylle, beschworen in "Je m'appelle hmmm . . ."

Trucker-Idylle, beschworen in "Je m'appelle hmmm . . ."

(Foto: Festival)

Ein roter Zauberlaster, die thailändische Provinz und der Vater der deutschen Avantgarde: Zum zehnten Mal beginnt in München das Filmfestival Underdox.

Von Fritz Göttler

Zwei kleine Nägel, in den Boden getrieben im Hinterhof des Malers Antonio Lopez. Man muss seine Füße millimetergenau an ihnen platzieren, dann hat man den Blick, den der Maler auf seinem Bild auf der Staffelei festhalten will - einen Quittenbaum, mit zartgrünen Blättern, in seiner traumhaften Zeitlosigkeit, im Spiel und Widerspiel mit der Luft und dem Licht und dem Wind. Mit "El sol del membrillo/Das Licht des Quittenbaums" von Victor Erice geht das Münchner Underdox Festival zurück ins Jahr 1992, eine kleine Studie über die Kunst, ihre Dauer, ihre Präzision.

Auch das Underdox, das dieses Jahr zum zehnten Mal stattfindet - im Filmmuseum, im Werkstattkino und auch im Theatiner -, schlägt mit seinem Programm Nägel ein, die eine Position markieren im Wust der Wahrnehmungskanäle heute. Die Filme, die die Festivalmacher Dunja Bialas und Bernd Brehmer auswählen, verstehen sich nicht thematisch, vom Objekt her, sondern reflektieren immer auch die eigene Perspektive, die Geschichte und die Kinogeschichte allemal: "The Forbidden Room", ein neues Wahnsinnsabenteuer von Guy Maddin, diesmal mit Charlotte Rampling und Udo Kier. "Ce gigantesque retournement de la terre", eine neue topografische Erforschungstour von Claire Angelini, die diesmal die (Schau-)Plätze aufsucht, die Jean Grémillon in seinem Frankreichsbefreiungsfilm "Le 6 juin à l'aube" filmte. Wilhelm Hein, der Vater der deutschen Avantgarde, zeigt eine Nacht lang sein Lebenswerk "You killed the Undergroundfilm or The Real Meaning of Kunst bleibt . . . bleibt . . .": sechs Stunden, drei Projektoren, Musik live eingespielt.

Aus Frankreich kommt eines der schönsten neuen Roadmovies, "Je m'appelle hmmm . . .", der erste lange Film von Agnès Troublé aka agnès b., sie ist Modemacherin und Designerin, ist im Park von Versailles aufgewachsen und stellt gern Kunst aus. Für "Hmmm" hat sie selbst eine der Kameras geführt, es ist die Geschichte einer zarten, unberührbaren Beziehung zwischen einem Fernfahrer aus Schottland und einem Mädchen, das fortlief, nachdem sein Vater es sexuell missbrauchte. Der rote Zauberlaster verlässt die Fernstraßen und verliert sich auf dem Lande. Ich sah diese Route wie eine Notenzeile, sagt Agnès, auf die ich meine Noten setzte.

Underdox ist Kino der geschlossenen Räume, aber nicht im Rückzug, sondern so, dass von ihnen aus sich die Welt neu erschließt. Die des "Cemetery of Splendour" etwa, im neuen Film von Apichatpong Weerasethakul. Die thailändische Provinz als Friedhof, Klinik, Zauberwald, aber überall ist der Druck von draußen zu spüren, der Militärregierung. "Man ist in einem Zustand, wo man nicht weiß, ob man schläft oder wach ist. Aber man möchte es wirklich wissen, möchte aufwachen." Ein Rückzug aufs Land auch im Eröffnungsfilm "Der Geldkomplex" von Juan Rodrigáñez. Der Roman von Fanny Gräfin zu Reventlow, 1916, ins heutige Spanien verlegt, Sommerfrischen-Bohème, zu den Klängen des Liedes von der Golondrina. "Es gibt gewiß nichts Faderes", heißt es im Buch, "als seine eigene Leidensgeschichte zu erzählen, und ich erzähle im ganzen lieber Freudengeschichten."

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