Festival:Das Paradies ist politisch

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Setzt sich mit seinem glasklaren Bariton für die Freiheit der unterdrückten Flandern ein - und stößt bei König Filippo II. (Oleksandr Pushniak, hinten) auf taube Ohren: Slawomir Kowalewski (links) als Rodrigo in der Premiere von Verdis Oper "Don Carlo" auf Gut Immling. (Foto: Nicole Richter)

Mit einem ambitionierten "Don Carlo" eröffnen die Festspiele Immling die Opernsaison im Chiemgau. Krankheitsbedingte Ausfälle werden bravourös gemeistert

Von Thomas Jordan

Wer in die Oper geht, kommt ins Paradies" lautet das Motto der diesjährigen Festspielsaison auf Gut Immling. Dass sich die Veranstalter rund um den Intendanten Ludwig Baumann für die Eröffnung Giuseppe Verdis Oper "Don Carlo" ausgesucht haben, belegt, was für eine komplizierte Sache das mit dem Paradies ist. Denn Verdis Grand Opéra ist alles andere als einfach. Sie ist ein Kraftakt für alle Beteiligten. Das liegt nicht nur an der enormen Länge des Stücks, die in Immling auf drei Stunden heruntergekürzt wurde und an Szenen wie dem Ketzergericht am Ende des zweiten Aktes, mit mehr als 60 Personen auf der Bühne. Es liegt auch daran, dass die Immlinger in der Vorbereitung gleich zwei Rückschläge hinnehmen mussten: Wegen Krankheit fiel die musikalische Leiterin Cornelia von Kerssenbrock als Dirigentin aus, kurzfristig sprang der Italiener Lorenzo Coladonato ein. Und zwei Tage vor der Premiere musste dann auch noch der mexikanische Tenor Héctor Lopéz den ebenfalls erkrankten Efe Kislali in der Titelpartie ersetzen. Um es gleich vorweg zu nehmen: All diese Schwierigkeiten meistern die Immlinger bravourös. Das liegt nicht zuletzt an dem klaren Fokus der Inszenierung: Die Geschichte des spanischen Thronfolgers Don Carlo, der aus verzweifelter Liebe zu seiner Stiefmutter Elisabetta zum Feind des Vaters, König Filippo II. wird, gerät hier zum politischen Kampf zwischen Macht und Vernunft, zur Frage danach, was politische Verantwortung bedeutet. Im Festspielhaus von Immling wird Verdis Grand Opéra zum tragischen Ringen des Einzelnen mit den Abgründen der Macht. Nirgends wird das deutlicher als in der atmosphärisch hochaufgeladenen Begegnung zwischen Filippo II. (Oleksandr Pushniak) und dem Großinquisitor (Gelu Dobrea) im dritten Akt. Während sich der greisenhafte Kirchenmann in seinem unerbittlichen Glauben an die Macht sogar aus dem Rollstuhl erhebt, sinkt die wuchtige Gestalt des Basses Oleksandr Pushniak in sich zusammen. Der König wird hier in seinem aschgrauen Kaftan zum Hausknecht der Inquisition, der dem Machterhalt seine Vernunft ebenso wie seine Freundschaft zu Rodrigo unterwirft.

Es ist eines der stärksten Bilder der überaus ambitionierten Inszenierung des Regisseurs Stefano Simone Pintor, die ebenso reduzierte wie eingängige Szenen schafft. Das liegt auch am äußerst gelungenen Bühnenbild. Es besteht aus einer einzigen grauen, eisbergartig aus der Bühne ragenden Projektionsfläche. Der Kampf zwischen Macht und Vernunft kann sich hier in immer neuen Variationen von Licht und Schatten entfalten, unterstützt von einem pfiffigen Farbkonzept, das schon mal den Text unterläuft. Héctor Lopéz als Don Carlo meistert dabei die langen, hoch geschriebenen Phrasen seiner Titelpartie mit der Lässigkeit des Routiniers, der erst zwei Tage zuvor erfahren hatte, einspringen zu müssen.

Der Fokus auf die politische Geschichte bleibt in Immling freilich nicht ohne Konsequenzen. So rückt die Liebesgeschichte zwischen Don Carlo und Elisabetta und damit auch die sängerische Leistung von Anna Patrys als Königin zu Unrecht über weite Strecken in den Hintergrund. Glänzen kann dafür Kate Allen, die ihre Prinzessin Eboli als Femme Fatale mit Augenklappe anlegt, um dann umso eindrucksvoller im dritten Akt in ihrer großen Arie "O don fatale" mit kraftvollem Mezzosopran von ihrer Läuterung zu berichten. Die Nordirin, die zum zweiten Mal in Immling auftritt, ist neben dem glasklaren Bariton Sławomir Kowalewski als Rodrigo die eigentliche Entdeckung der Inszenierung. Gerade in Massenszenen wie dem Autodafe hält dabei der Dirigent Lorenzo Coladonato Musik und Schauspiel mit viel Körpereinsatz zusammen, treibt das Orchester hier und da an und lässt doch den Sängern ihren Raum. Ganz am Ende gibt es auch einen Hinweis auf die Frage nach dem Paradies, wie er der Komplexität des Verdi'schen "Don Carlo" angemessen ist: Aus der größten Ungerechtigkeit der Mächtigen gegenüber den beiden großen Liebenden Don Carlo und Elisabetta erwächst in Gestalt des alten, weisen Kaisers ein Hoffnungsschimmer. In Pintors abgründiger Inszenierung ist die Hoffnung freilich nicht von dieser Welt.

Wie abgründig die Suche nach dem Paradies sein kann, zeigt sich auch im weiteren Programm der zweimonatigen Festspielsaison auf Gut Immling. In Carl Maria von Webers Oper "Der Freischütz", die am 14. Juli Premiere hat, lässt sich der Jägersbursche Max auf einen Pakt mit dem Teufel ein, um sein irdisches Liebesglück zu sichern. Dagegen steht in Giacomo Puccinis Meisterwerk "La bohème", am 30. Juni, das kleine, alltägliche Glück verarmter Künstler im Mittelpunkt.

Hinzu kommt mit der Waldbühne Immling ein neuer Spielort etwas unterhalb des Festivalgeländes: Dort finden Orchesteraufführungen wie die Vivaldi-Gala "Sounds of Nature" am 24. Juni statt. Vom abrupten Sturz aus dem Paradies berichtet dann Verena von Kerssenbrock am 1. August in ihrer Lesung aus den Feldpostbriefen ihres Ur-Großvaters, des Malers und Kriegsgegners Colombo Max.

© SZ vom 18.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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