Festival:Bio-Kost im Großstadt-Dschungel

Tollwood Cirque Eloize

Das Miteinander im Kampf gegen die Vereinsamung nimmt im Stück „iD“ unterschiedliche Formen und Bilder an. Beamer verwandeln den Hintergrund unter anderem in Häuserzeilen und Skylines.

(Foto: Patrick Lazic)

Mit seiner neuen Produktion "iD" eröffnet der kanadische Cirque Eloize das Winter-Tollwood. In dem Stück geht es um die Anonymität in den Mega-Citys - im Zelt auf der Theresienwiese geht es immer auch um das begleitende Gourmet-Menü

Von Oliver Hochkeppel

Aller guten Dinge sind drei. Zum dritten Mal in Folge eröffnete eine Produktion des kanadischen Cirque Eloize das Winter-Tollwood. Die Festival-Familie mit dem gewohnt markanten Anteil an Kleinkunst- und Musikerprominenz versammelte sich zu "iD" (und einem Vier-Gänge-Bio-Menü) im "Grand Chapiteaux"-Zelt. Einer Show, dessen Titel laut dem etwas überkandidelten Pressetext "für das Individuum im Großstadt-Dschungel, für die Suche nach einem Zufluchtsort und für das Miteinander im Kampf gegen die Anonymität der Mega-Citys" stehen sollte. Die Messlatte war hoch, hatte die Compagnie doch im vergangenen Jahr mit ihrem heiteren, tänzerisch, musikalisch wie artistisch restlos überzeugenden Wildwest-Stück "Saloon" eine der besten Produktionen überhaupt auf die Bühne gezaubert, seit der Cirque Nouveau daran ging, klassische mit modernen Zirkuselementen multistilistisch und multimedial zu einer neuen Unterhaltungsform zu verschmelzen.

Auch "iD" ließ sich gut an. Zu hartem Industrial-Sound entwickelte sich eine rasante, dann mit "Zeitlupe" abgestoppte Straßenszene. Aus den Begegnungen der Akteure ergeben sich die einzelnen Nummern, von denen die eine oder andere tatsächlich ein bisschen an die "Westside Story" erinnerte. Dazu verwandelten Beamer den mehrere Stockwerke hohen Hintergrund wie von geisterhaften Malerhänden nach Bedarf in eine Häuserzeile, eine Skyline oder ein Industriegelände, und auch die eigens komponierte, mal elektronische, mal hart rockende, mal auch chillende Musik verlieh den Szenen einen Rahmen, durch den die Artistik nie zum Selbstzweck wurde. Natürlich war wieder spektakulär, was die Akteure da zu bieten hatten - von der (im Gegensatz zu den auf diesem Niveau sonst stets kindlichen Gummikörpern etwa beim chinesischen Staatszirkus) groß gewachsenen Schlangenfrau über den durchs ganze Zelt heizenden, meterhohe Hindernisse bewältigenden Trialbiker bis zum grandiosen "Rope Skipping", bei dem alle Artisten bis hin zum Rollerblader und BMX-Radler durch die Seile sprangen. Auch die Ball-Jonglage gegen Boden, Glasfenster und schiefe Ebenen hat man so noch nie gesehen.

Dass diese kommerziell erfolgreichste Produktion des Cirque Eloize am Ende dann doch etwas gegen die Sternstunde vom vergangenen Jahr abfiel, hatte mehrere Gründe. Einmal, weil im Vergleich zur Live-Musik von "Saloon" die Konservenmusik von "iD" ihren Charme nicht bis zum Schluss bewahren konnte. Etwas geschmäcklerisch konnte man auch einwenden, dass die mit Breakdance und Streetart bemühte "Aktualität" lange nicht so modern war wie das humorvolle und intelligente Spiel mit den Western-Klischees. Nichts ist eben so alt wie die Avantgarde und die Jugendkultur von gestern. Nicht zuletzt hatte "iD" sein Pulver im ersten Teil ein bisschen verschossen. Waren bis dahin auch die Solisten in eine überzeugende Ensemble-Choreografie eingebunden, folgten nach der Pause gleich drei reine Duo-Nummern hintereinander. Die thematische Klammer des Großstadt-Getriebes ließ so stark nach. Bis verblüffende Trampolin-Stunts wieder ein großes Finale bescherten (noch bis 22. Dezember).

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