Fernsehmuseum eröffnet:Flimmern, Lauschen, Sender suchen

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Ein vergessliches Wunder: In Berlin eröffnet das erste Fernsehmuseum Deutschlands. Und versucht fortan "den historischen und kulturellen Wert des audiovisuellen Erbes in der öffentlichen Wahrnehmung verankern."

LEIF KRAMP, STEPHAN ALEXANDER WEICHERT

Herbert Zimmermann jubelt wieder. Aus allen Kanälen tönt es: "Kopfball - abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen. Rahn schießt. Tooor! Tooor! Tooor! Tooor!"

Rauchende Politiker, das ja. Aber kein Geld für "Biene Maja" (Foto: Foto: ddp)

Im Jahr des weltgrößten Sportspektakels sollen medial zum Leben erweckte Reminiszenzen wie an das "Wunder von Bern" vom 4. Juli 1954 Hoffnungen machen auf einen erneuten deutschen WM-Sieg. Zimmermann war in Bern Radioreporter, doch sein berühmter Hörfunkkommentar wird heute fast immer mit den Fernsehbildern von damals illustriert: Der ursprüngliche Fernsehton der Moderatoren Bernhard Ernst (NWDR) und des Schweizers Jean-Pierre Gerwig ist nicht aufgezeichnet worden und für die Nachwelt verloren.

Der Verlust von Programmmaterial ist vielen Zuschauern heute unvorstellbar. Dennoch: In Deutschland ist das TV-Gedächtnis auch heute oft vergesslich. Es fehlt eine unabhängige Einrichtung, die Ausstrahlungen zuverlässig sichert.

Jetzt öffnet offiziell im Berliner Sony-Center am Potsdamer Platz das erste Fernsehmuseum Deutschlands, zur Soiree zuvor war als Festredner der Humorkünstler Loriot geladen worden.

Seit Anfang Mai schon ist in den Räumen eine Ausstellung über das Runde und das Eckige - "Tor! Fußball und Fernsehen" - zu sehen. Vor 20 Jahren startete die Initiative als AGRundfunk-Museum und wurde im Laufe der Jahre unter dem Namen Deutsche Mediathek ebenso berühmt wie berüchtigt.

Nach mehrmaligem Scheitern - fast immer aus finanziellen Gründen - wurde das Projekt zu einem traurigen Kapitel Rundfunkgeschichte. Ursprünglich geplant war eine Einrichtung, die Sendungen unabhängig vom Ausstrahlungstermin frei für jedermann zugänglich machen sollte - ein Ort der Reflexion über das Medium selbst. Doch galt der Gedanke an ein lückenloses nationales Archiv für Audiovision schnell als gigantomanisch - und wurde verworfen.

Das Fernsehmuseum hat ähnlich ambitionierte Ziele: Mit seinen Partnern, den Sendern, werde es "den historischen und kulturellen Wert des audiovisuellen Erbes in der öffentlichen Wahrnehmung verankern". Größte Finanziers der TV-Musealität sind die Bundesregierung (mit 855000 Euro pro Jahr), die Veolia Wasser GmbH (600000) sowie ARD (60000) und ZDF (40000). Auch bei privaten TV-Unternehmen wie NBC Universal wurde Geld gesammelt. Auf mehr als 1000 Quadratmetern wird über zwei Etagen ein audiovisueller Erlebnisrundgang geboten - von ersten Versuchen Ende des 19.Jahrhunderts über die Straßenfeger der sechziger und siebziger Jahre bis zu aktuellen Ereignissen wie dem 11. September 2001.

Auch Konferenzen sind geplant: Das Filmhaus im Sony-Center wird zu einem "House of Moving Images", teilt die Stiftung Deutsche Kinemathek mit, die Träger des Film- und zugleich des Fernsehmuseums ist. Die Gesamteinrichtung heißt nun "Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen".

Das Hauptproblem: Es fehlt eine Clearing-Stelle für die etwa 1200 audiovisuellen Mediensammlungen in Deutschland; viele wollen ihre Schätze nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Hier scheitert auch das neue Museum. Die Erstbestückung mit 500 Sendungen fällt im Vergleich zu früheren Planungen mager aus und wird wohl über historische Schlaglichter der Bewegtbild-Ära nicht hinausweisen. Der Jahresetat von zwei Millionen Euro reichte offenbar nicht für Ausschnitte des ersten Formel-1-Sieges von Michael Schumacher oder ein Wiedersehen mit der Biene Maja. Museumschef Peter Paul Kubitz zufolge wollten die Rechteinhaber hohe Summen. Kubitz: "Wir werden immer nur einen symbolischen Preis zahlen und am liebsten gar keinen." Man berücksichtige Privatsender genauso wie Öffentlich-Rechtliche.

Dabei beschränkt sich das Interesse an Archivalien nicht auf Serien- und Doku-Fans - Wissenschaftlern, Pädagogen, Journalisten und vielen anderen Berufsgruppen blieb bisher nur der Mitschnitt auf dem heimischen Videogerät.

Egal, ob Aufnahmen der Theaterproben von Gustaf Gründgens, ob das einzige Fernsehinterview mit Schriftsteller Arno Schmidt oder die Originalbilder vom Kniefall Willy Brandts 1970 in Warschau - wesentliche Teile unseres Fernsehgedächtnisses wurden bereits gelöscht: Aus Unachtsamkeit, zur "Frischbandgewinnung" oder wegen unbrauchbar gewordener Speicherträger. Die versehentliche Löschung von Material über den 11. September zeigte jüngst, dass sogar aktuelle Archivarchitektur nicht geschützt ist.

Die Gedächtnisforscherin Aleida Assmann schätzt, dass zwischen 1950 und 1987 die gleiche Menge an Archivgut entstand wie in den Jahren 500 bis 1950. Die Bestände werden, so ihre Prognose, bis 2020 erneut verdoppelt. Haarig ist zudem, dass der Wettlauf der Industrie um leistungsfähigere Technologien schlicht keine Standardisierung mehr zulässt. Zudem obliegt die Archivierung alleine den Sendern. Zwar hat ihnen der Gesetzgeber eine Aufbewahrungsfrist sämtlicher Programme auferlegt - doch eine gesetzliche Verankerung wie in Frankreich, wo Sender zur Programmabgabe verpflichtet sind, ist hierzulande noch undenkbar.

Umso mehr hat die geplante Datenbank des Museums eine medienpolitische Signalwirkung: Auf lange Sicht könnte sie sich zu einem Verweiszentrum aller Senderarchive entwickeln, das bundesweite Anfragen bündelt und der Verschlusspolitik bestehender Archive entgegenwirkt. Nun wird schrittweise, so will es Museumsleiter Kubitz, ein Fundus angelegt. Die Errichtung eines umfassenden Archivs mit Publikumszugang wird aber vorerst ein ähnliches Traumziel bleiben wie ein WM-Sieg im Juli.

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