Fernsehen:Scheitern auf Fränkisch

Ein durchgeknallter Unternehmer möchte in "Positive Sinking" Prominente durch München kutschieren. In seiner neuen Webserie probiert sich der BR weiter in dem Erfolg versprechenden Format aus

Von Christiane Lutz

"Sind Sie VIP? Oder wollen einer werden? Dann bin ich der richtige Mann für Sie. Und das hier die richtige Limousine", sagt ein etwas ungewaschen aussehender Typ mit Schnauzbart, während er aus einer Limousine aussteigt und auf die wacklige Kamera zu geht. Pathetische Musik scheppert, als er weiterspricht: "Neun Meter Dynamit, achtfach bereift, 240 PS, Flügeltüren." Oder besser: "Flücheldüren", denn der Typ ist Franke. Angelo Sommerfeld, ein Möchtegern-Unternehmer mit brillanter Geschäftsidee: einem Shuttle-Service für VIPs. Das ist der Kern der Webserie "Positive Sinking", die zurzeit im Internet zu sehen ist und von 14. Oktober an auch im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlt wird.

Eine Webserie, das ist zunächst einfach ein Serienformat, das fürs Netz konzipiert und produziert ist. Die Folgen sind meist kürzer als in einer klassischen Fernsehserie und verbreiten sich über Streamingkanäle wie Youtube. Sender wie der Bayerische Rundfunk oder auch ProSieben koproduzieren Webserien und bieten diese sowohl im Internet als auch im Fernsehen an. Es gibt an Webserien alles, von Dokumentationen und Kochsendungen bis hin zu Dramen und Komödien.

Positive Sinking

Das Büro von Angelo Sommerfeld (Martin Maria Eschenbach), der einen Shuttle-Service für VIPs betreibt, liegt auf dem Dach seiner Wohnung.

(Foto: BR)

Klar, dass da auch noch Platz für eine fränkische Webserie ist. Mit "Positive Sinking", geschrieben und koproduziert von Thomas Heinemann, will der BR sich an einem klassischen Comedy-Format versuchen. In zwölf knapp vierminütigen Episoden begleitet der Zuschauer Angelo Sommerfelds dilettantische Versuche, sich in der Münchner VIP-Shuttle-Service-Branche zu etablieren. Er cruist mit der Limousine zur Agentur für Arbeit, bezirzt ziemlich ungelenk die junge Nachbarin und schlummert während seiner Bürozeiten auf dem Dach, unter dem sein Bruder ihn vorübergehend wohnen lässt. Die Promis bleiben Angelos Shuttleservice fern zwar fern, doch er ist überzeugt: "Lieber erfolgreich scheitern, als gar kein Erfolg".

Die Serie funktioniert, weil Schauspieler Martin Maria Eschenbach, 38, gebürtiger Würzburger, mit Angelo Sommerfeld eine starke Figur schafft. Sommerfeld, ein Typ hart an der Grenze zum Freak, ist zwar ein nerviger Nichtsnutz mit Hyperaktivitätsstörung, gleichzeitig aber urkomisch. Die Komik entsteht nicht zuletzt durch Sommerfelds Sprache, einem kugelrunden Fränkisch, dem nicht nur Dialektfetischisten etwas abgewinnen können.

"Eine Webserie ist insbesondere für eine netzaffine Community konzipiert, die nicht mehr zu einer vorgegebenen Zeit vor dem Fernseher sitzt, sondern ihre Serie sehen will, wann und wo sie gerade Zeit dafür hat", sagt Thomas Sessner, der verantwortliche Redakteur des BR . Das könne im Zug sein, an der Bushaltestelle, vorm Schlafengehen. Auf dem Handy oder am Monitor. Sessner sieht die Öffentlich-rechtlichen in der Pflicht, allen Beitragszahlern ein entsprechendes Angebot zu machen. Deswegen sei der BR sehr interessiert an neuen Formaten. Der Sender hatte zuletzt "Mann/Frau" gezeigt, eine von Christian Ulmen produzierte Webserie. Darin geht es in fünfminütigen Clips um das Paarungsverhalten junger Großstädter. Die Serie überzeugt durch ihre realistischen Charaktere und zackige Erzählweise. Eine Qualität der Webserie, wie Thomas Sessner findet: "Die Webserie kommt sehr schnell auf den Punkt, die Dialoge müssen kurz und treffend sein." Das biete kurzweilige Unterhaltung. Aber nicht nur. Die dokumentarische Webserie "Start up Bavaria" beispielsweise, ebenfalls ein Projekt des BR, begleitet sechs Unternehmensgründer dabei, wie sie ihr Produkt auf den Markt zu bringen versuchen. Weniger geglückt ist der Webserien-Versuch des Schauspielerpaars Bettina Zimmermann und Kai Wiesinger. Deren eigene, von ProSieben produzierte Serie "Der Lack ist ab" versinkt in Geschlechterklischees und Plattitüden um ein Ehepaar um die 40, gleichzeitig Eltern pubertierender Kinder. Dennoch: Das Erzähltempo und der komprimierte dramaturgische Aufbau funktionieren auch da.

Eine Serie allerdings einfach ins Netz zu werfen, ist natürlich nicht genug. Der BR hat bei "Positive Sinking" aufwendiges Marketing betrieben: Seit Anfang des Jahres schon spukt die Figur Angelo Sommerfeld durch soziale Netzwerke, es existiert sogar eine (grauenvoll anzusehende) Website für seinen Shuttleservice. Zuletzt war Sommerfeld regelmäßiger Anrufer bei Bayern 3, wo er mit Geschichten über sein Unternehmen nervte. Es ist natürlich klug, eine Figur lange vor dem Start der Serie zu etablieren, das potenzielle Publikum an sie zu gewöhnen und neugierig zu machen.

"Die Webserie hat in Deutschland noch nicht die breite Masse erreicht", sagt Sessner. Das liege daran, dass das Format für viele Internetnutzer noch ungewohnt ist. Dazu kommt die teilweise schlechte Netzabdeckung in vielen ländlichen Gebieten. Ein Stream, der ständig abbricht, bereitet keinem Zuschauer Freude. "Positive Sinking" aber ist in der Szene jetzt schon ein Erfolg: Die Serie ist beim "Miami Web Festival" nominiert, Martin Maria Eschenbach könnte beim Rio Web Festival den Preis als bester Hauptdarsteller einer Webserie bekommen. Und die nächsten zwölf Folgen "Positive Sinking" sind bereits geplant.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: