Feminismus:Unerhörte Reden

Die englische Historikerin Mary Beard über das Schweigen und die Stimme der Macht von der Antike bis in die Gegenwart. Ihr Manifest "Frauen & Macht" ist ein wunderbar zugespitzter feministischer Text. Ermutigend und trotzdem nicht frei von Humor.

Von Susan Vahabzadeh

Den Unterschied zwischen Frauen und Männern kann man hören; selbst einem fremden Menschen am Telefon ordnen wir ein Geschlecht zu und irren uns dabei nur ganz selten. Was bedeutet die Zuordnung über das Reden für öffentliche Debatten und die Frage, welche Stimmen in ihnen Gewicht haben? Sagen wir mal so: Es ist möglich, zu erklären, wo wir stehen auf dem Weg zur Gleichberechtigung. Mary Beard tut es in "Frauen & Macht" anhand einer kleinen Geschichte des Schweigens. Mary Beard ist Althistorikerin und lehrt in Cambridge, also holt sie weit aus - bis dahin, wo die Überlieferung anfängt. Penelope fährt in der Odyssee der eigene Sohn über den Mund, römische Historiker nörgelten, wenn Damen vor Gericht zogen und dort ihre Sache selbst verteidigten, nur die tiefe Stimme der Männer galt als Stimme der Vernunft.

Das mag alles lange her sein - und doch, behauptet Beard, fällt der lange Schatten der Antike bis in die Gegenwart - weil unsere kulturellen Stereotypen, unter anderem, aus den antiken Mythen stammen, der Geschichte. Die Antike ist kein Korsett, aber unsere Kultur, unsere Kunst, sind eine fortlaufende Entwicklung, die mit ihr zu tun hat. Man kann das schon an den Beispielen sehen, die Beard wählt, um ihr Manifest anschaulicher zu machen: von der griechischen Vasenmalerei zur Odyssee über Shakespeares "Titus Andronicus", wo Lavinia die Zunge herausgeschnitten wird, bis zu Picassos Zeichnung von Philomelas Vergewaltigung durch König Tereus, der ihr die Zunge herausschneidet, damit sie ihn nicht verraten kann. Hatten Frauen Macht, waren sie in der Antike oft monströs. Und jetzt? Eines der beliebten Motive im letzten US-Wahlkampf war, auf der rechten Seite zumindest, Trump als Perseus, der den abgeschlagenen Kopf der Medusa Hillary Clinton hochhält.

Feminismus: Mary Beard: Frauen & Macht. Ein Manifest. Aus dem Englischen von Ursula Blank-Sangmeister und Janet Schüffel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018. 110 Seiten, 12 Euro. E-Book 9,99 Euro.

Mary Beard: Frauen & Macht. Ein Manifest. Aus dem Englischen von Ursula Blank-Sangmeister und Janet Schüffel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018. 110 Seiten, 12 Euro. E-Book 9,99 Euro.

"Frauen & Macht" ist ein wunderbar zugespitzter, feministischer Text, scharfzüngig und nicht frei von Humor, obwohl der Mary Beard längst hätte abhanden kommen können, wenn es denn um die neuen Online-Methoden geht, Frauen mundtot zu machen, Mary Beard ist selbst ein Ziel solcher Versuche. Zu den Besonderheiten dieses Manifests gehört es, dass man immer zwischen den Zeilen lesen kann, dass Mary Beard die Antike mit Zuneigung, jedenfalls ohne jeden Groll analysiert; es geht ja nicht darum, die Vergangenheit zu ändern, sondern sie zu verstehen. So zieht sie also Parallelen in ihrem zwei Kapitel umfassenden Manifest, von den historischen oder literarischen Figuren hin zu den Machthaberinnen von heute, Angela Merkel und Teresa May, und welchen Regeln sie noch heute unterworfen werden. Margaret Thatcher, schreibt Beard, nahm Sprechunterricht, um tiefer zu klingen. Wenn wir unsere Sprache, unsere Bilder untersuchen: Dann sind immer noch all die Züge, die als weiblich gelten, das Gegenteil von autoritär. Wer an der Macht ist, muss sich an das Regelwerk der Männer halten, es gibt keine Tradition des weiblichen Führungsstils - weil es ja nicht mal eine Tradition der öffentlichen Teilhabe gibt.

Die weibliche Tradition ist eine ganz andere: Die öffentliche Rede, argumentiert Beard, war für Frauen, wenn überhaupt, nur als Märtyrerin möglich. Aus diesem Blickwinkel sehen die Ursprünge der MeToo-Debatte, obwohl "Frauen & Macht" schon im Herbst in England erschienen ist, noch einmal ganz besonders nach Ausdruck unserer Kultur aus: Auch Harvey Weinstein hatte seine Opfer zum Schweigen gebracht, unter Druck gesetzt, damit sie ja den Mund hielten. Es ist ganz gut, diese Parallele bei der Lektüre im Hinterkopf zu behalten - sie ist der Beweis, dass Mary Beards These nicht so weit hergeholt ist, wie es einem vorkommt. Und am Ende wird auch der Verlauf von MeToo geprägt von sehr alten Verhaltens- und Reaktionsmustern. MeToo ist, überwiegend, öffentliches Lamentieren über Unrecht - das entspricht also genau jener Form von Diskurs , die den Frauen immer schon zugestanden wurde: Schau, man hat mir Weh getan!

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Buch stellt der Verlag auf seiner Homepage zur Verfügung.

Das klingt fast ein bisschen böse, aber dieses Manifest ist trotzdem ermutigend. Beard behauptet nicht, ein Rezept zu haben, wie man die Welt verändert, aber sie ist sich sicher, dass ein wenig Radikalität im Denken dafür gebraucht würde: Wir müssten, fordert sie, Autorität neu definieren - und vielleicht mehr Fragen stellen an das, was wir so daherreden. Wenn ein Parlament über Kinderbetreuung debattiert, debattiert es dann ein Frauenproblem? Die Antike mag frauenfeindlich gewesen sein, aber es gab mehr Sinn für feine Nuancen. Bei allem Sprechverbot, mein Mary Beard, war damals eines klar: Die Rhetorik und die Verführung sind nahe Verwandte. Und fast alles lässt sich umgehen - Philomela beispielsweise verlegte sich auf Handarbeit. Sie webte ein Bild in ein Gewand, das Tereus verriet. Über die Zuweisung, was die Attribute der Macht sind, sollte man noch einmal neu verhandeln.

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