Faust-Festival München:Gretchen, mir graut vor dir

Die Ausstellung "Du bist Faust", zugleich das Zentrum eines großen Festivals, geht allen möglichen und unmöglichen Wirkungen von Goethes Drama in der Kunst nach.

Von Harald Eggebrecht

Es ist verführerisch, in den großen Zitatentopf zu greifen, den Johann Wolfgang Goethes zweiteiliges "Faust"-Drama bereithält, um den Parcours dieser originell gedachten, durchaus attraktiv inszenierten, doch nicht alle ihre Ambitionen erfüllenden Ausstellung zu beschreiben. Genau das sollte man sich aber verkneifen.

Die Idee der Ausstellung, die in der Münchner Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung gezeigt und von einem großen Festival begleitet wird, ist es, nicht nur die Nachwirkungen von Goethes Stück in allen Künsten im 19. Jahrhundert zu zeigen, sondern auch ihre weitere Verwandlung im 20. Jahrhundert und bis heute. Wobei Letzteres nur ansatzweise umgesetzt ist: Zwei Bilder von Sigmar Polke und Anselm Kiefer, eine Plastik von Marc Quinn können die Klischeeflut der älteren Bilder kaum kontern. Allerdings beweisen einzelne Blätter von Theodore Gericault, Eugene Delacroix, Käthe Kollwitz oder Dante Gabriel Rossetti schon, dass es doch härtere, genauere, expressivere Sichtweisen auf das Drama gegeben hat.

Es ist keine exklusive Präsentation zum Thema Faust in der bildenden Kunst, auch wenn ein Großteil der Exponate aus Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen besteht. Vielmehr ist eine Art Crossover-Choreografie angestrebt, sagt Thorsten Valk von der Klassik Stiftung Weimar, eine Choreografie, die der Wirkung von Faust und Faust-Motiven auch auf Komponisten von Liedern und Opern, etwa Franz Schubert und Charles Gounod, Filmemacher wie Friedrich Wilhelm Murnau, Fotografen wie Robert Mapplethorpe und Modedesigner wie Karl Lagerfeld bis hin zu wohlfeileren Objekten wie Motivpostkarten und ähnlichem nachtanzt. Es fehlen nicht Hinweise auf Faust in den Comics, sei es das Heft der "Illustrierten Klassiker" oder sei es die Verentenhausung des Fauststoffs in Gestalt des Donald-Duck-Clans.

Du bist Faust, Kunsthalle München

Der Fotograf Robert Mapplethorpe hat sich hier selbst porträtiert - als Mephisto.

(Foto: Robert Mapplethorpe Foundation)

Der Weg der Schau folgt insgesamt dem Goethe'schen Drama, ist insofern bewusst theatral aufgebaut, damit man sich letztlich selbst als Faust, Gretchen oder gar Mephisto fühlen kann. Die Kapitel werden durch Vorhänge abgetrennt, beim Abschnitt Gounod und seine "Faust"-Oper betritt man gleichsam durch die Kulissen wie die Sänger die Bühne und blickt in den Zuschauerraum der Pariser Oper.

Auf die historischen Vorstufen einzugehen, also auf das Volksbuch des Johann Spieß von 1587 und die erste literarisch bedeutsame Dramatisierung durch Christopher Marlowe in seiner "The Tragical History of Doctor Faustus", wurde aus Begrenzungsgründen verzichtet. Da es bis ins tiefere Mittelalter zurück "Faust"-Spuren gibt, wäre man sonst allzusehr in kulturhistorisches Terrain geraten.

Der schlagfertige Mephisto - in dieser Rolle kann man eigentlich nur glänzen

Also begrüßt mit dem Vorspiel im Himmel gleich der Mephisto aller Mephistos, Gustaf Gründgens, den Besucher, immer noch bestechend in der Schärfe seiner Artikulation. Der Film nach der berühmten Inszenierung des Hamburger Schauspielhauses entstand 1960. Daneben sitzt ein herrlich ausgearbeiter nackter marmorner Mephisto, in nachdenklicher Pose das bebartete spitze Kinn auf die gefalteten Hände überm angezogenen Knie gestützt. Geschaffen hat diesen eleganten bösen Geist Mark Antokolski 1883, eine Leihgabe aus St. Petersburg. Die Attraktivität des Zynikers Mephisto in all seinem pointierten Witz, seiner Schlagfertigkeit und seiner brutal realistischen Angriffslust, lockte nicht nur Faust, sondern jeden Schauspieler. In dieser Rolle kann man eigentlich nur glänzen. Dementsprechend zeigen viele der Mephisto-Darstellungen, etwa die des Genremalers Eduard von Grützner, auch Schauspielerporträts, zu welcher mimischen Gerissenheit, welcher körperlichen Eleganz die Darsteller fähig waren. Aber auch in Bronze wirkt Mephisto immer tänzerischer, erotisch attraktiver als der stets sinnierende, nie lachende, immer mit umwölkter Stirn posierende Faust - der suchende Wissenschaftler, den der Teufel so leicht verführen kann mit der Aussicht auf die physische Eroberung der unschuldigen Margarete.

Was die europäische Genremalerei im 19. Jahrhundert an Unschuldsmienen, niedergeschlagenen Augen, madonnenhafter Keuschheit bis hin zur völligen Entpersönlichung für Gretchen in die Rahmen malte, ist in seiner konsequenten Idealisierung eines "reinen" weiblichen Wesens so staunenswert, wie es heute biedermännisch blass, ja, fad und klischeehaft wirkt. Bei Goethe ist Gretchen trotz aller Unberührtheit doch ein neugieriges, um manche kesse Antwort nie verlegenes junges Mädchen mit unmittelbar sinnlicher Ausstrahlung. Doch ein Louis Ammy Blanc malte 1837 seine "Kirchgängerin" vor dem Torso des noch nicht vollendeten Kölner Doms dermaßen wohlfrisiert mit Haube und einer solchen frommen Ergebenheit im elfenbeinartig glatten Jungmädchengesicht, dass nichts konkret Menschliches mehr übrig bleibt. Dieses Bild erlangte Ikonenstatus, ob in Marmor oder Bronze, ob auf anderen Gemälden, immer wirkt Gretchen fast schon dem Irdischen entrückt.

Der Faust-Stoff brachte existentielle Kunst hervor - und fröhlichen Kitsch

Nur auf den Postkarten hat man es, bei fröhlichem Kitsch und mancher lächerlichen Kostümierung, doch mit Menschen zu tun. Dass sich diese Gretchen dann oft allzu kokett geben, verstohlene Blicke werfen und sogar im Kerker sehr dekorativ leiden, hat eine eigene Komik. Bei den diversen Bildern der Walpurgisnacht scheinen manche Maler wie besonders der Spanier Luis Ricardo Falero sich dann freudig von Madonnenreinheit und Keuschheit zu befreien und malen lustvoll dralle Pariser Vorstadtmädchen als nackte Hexenkamarilla in die Luft überm Blocksberg.

Grandios dagegen zwei Gretchen-Sequenzen aus Murnaus epochalem Faust-Film von 1926, der sich ausdrücklich nicht auf Goethe bezieht. Wie Camilla Horn ihre Verwirrung zwischen Spinnrad und verführerischem Schmuck zeigt oder in tiefster Verzweiflung als "Gefallene", von der Gemeinschaft der Kirchgänger ausgeschlossen, zusammenbricht, das bleibt sofort im Gedächtnis.

Einen der gelungensten Räume der Ausstellung bietet ein Biedermeierkabinett mit Hammerklavier. Hier kann man per Kopfhörer Vertonungen von zentralen Gedichten wie dem "König in Thule" oder "Meine Ruh ist hin" hören, vom Goethe-Freund Carl Friedrich Zelter bis zum jungen Richard Wagner und zu Hugo Wolff. Während Wagner noch gar nicht wusste, was er wollte bei seiner Version des Spinnliedes, trifft einen Schuberts in der Tat einzigartige Fassung, weil hier Gretchens furchtbare Eingeschlossenheit ins drohende Unglück unausweichlich Musik wird.

Mit Klängen aus Gounods Oper betritt man jenen Raum, der "der Tragödie Zweiter Teil" gewidmet ist. Im Gegensatz zur Rezeption des Ersten Teils wird der Zweite Teil vor allem Auslöser für große Illustrationszyklen, weil "Faust II" von vornherein mehr als Lesedrama verstanden wird. Doch die Serien, die Max Slevogt und Max Beckmann zu Faust II erfinden, sind allein den Besuch wert. Bei Slevogt wird daraus ein Reich der Lüfte, so zart, schwebend und beweglich umrahmen seine Lithografien von 1927 Goethes Texte, während Max Beckmann in seinen Zeichnungen von 1943/44 unmissverständlich auch die eigene Künstlerexistenz mit einzeichnet.

Du bist Faust. Hypo-Kunsthalle, München, bis 29. Juli 2018. Katalog (Prestel Verlag): 29 Euro. Info: www.kunsthalle-muc.de. Außerdem bietet das fünfmonatige, bis 29. Juli gehende Faust-Festival München über 500 Veranstaltungen zu allen möglichen Faust-Spielarten: Aufführungen von der Oper (Arrigo Boitos "Mefistofele" im Nationaltheater, 29. April) über viele Sorten des Theaters vom Puppenspiel bis zum Kabarett. Dazu Konzerte, Liederabende, Lesungen, Vorträge und weitere Ausstellungen. Info: https://faust.muenchen.de

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