Fassbindertage:Gewaltiger Stoff

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Seine Schauspieler hatte Fassbinder im Griff - wie hier Hanna Schygulla in seiner Inszenierung der "Bettleroper", die 1969 uraufgeführt wurde. (Foto: Ulrich Handl)

München feiert Rainer Werner Fassbinder mit großem Programm

Von STEFANIE SCHWETZ

Wie wäre es, wenn Rainer Werner Fassbinder heute noch in München leben würde? Das fragen sich Andrea Funk und Xenia Bühler oft. Die beiden Frauen sind die Initiatorinnen der Fassbindertage 2015 anlässlich des 70. Geburtstags des 1982 im Alter von 37 Jahren gestorbenen Autors, Schauspielers und Regisseurs. Das Filmmuseum ist darin eingebunden, das Residenztheater, die Kammerspiele, das Teamtheater - allesamt Institutionen, die Filme und Theaterproduktionen rund um den Jahrestag gebündelt und mit Lesungen, Vorträgen, Gesangseinlagen und Dokumentationen flankiert haben. Diese Verflechtungen sind bezeichnend für das Konzept, das Funk und Bühler ersonnen haben. Sie sahen sich als Impulsgeberinnen, die unterschiedlichen Beiträge zu Fassbinder zu vernetzen, damit ein Bild entstehe von diesem Mann und dessen Schaffen - jenem Bürger dieser Stadt, der "so persönlich und furchtlos wie sonst keiner in die Abgründe der menschlichen Seele zu blicken vermochte und dabei gleichzeitig das Wesen der BRD beschrieb".

Zudem wollen Bühler und Funk Fassbinder "in den öffentlichen Raum tragen" - mit Angeboten, die zeigen sollen, dass Fassbinder genau dort gelebt und gearbeitet hat: So hat sich zum Beispiel Christian Dechert von "Spurwechsel" einiges über Fassbinder angelesen, um unter dem Titel "Schlafen kann ich, wenn ich tot bin" Stadtführungen zu den Schauplätzen von Fassbinders Leben anzubieten. Und der Regisseur Martin Kindervater hat gemeinsam mit der Dramaturgin Antonia Tretter eine nächtliche Trambahnfahrt auf Fassbinders Spuren konzipiert.

Im Jahr 2009 hatte Andrea Funk schon einmal ein Fassbinder-Festival organisiert, das allerdings "eher was für Kenner" und aufs Rationaltheater begrenzt war, den Ort, wo Fassbinder Ingrid Caven seine Chansons vortragen ließ, während er selbst die Bar leer trank. Auch in diesem Jahr ist das Rationaltheater wieder dabei mit der Aufführung des Theaterstücks "Die unendliche Tiefe der Traurigkeit" über die Vorstellung, Fassbinder würde nach 33 Jahren plötzlich ins Leben zurückkehren.

Es ist ein grobmaschiges Netz, das die Initiatorinnen mit ihrer Fassbinder-Passion ausgeworfen haben. Ein Netz, in dem sich die Beteiligten thematisch verfangen haben, ohne ihre künstlerische Autonomie aufzugeben. So gerät jeder Programmpunkt, jeder Beitrag zu einem Akt der Würdigung dieses gleichermaßen verehrten wie umstrittenen Künstlers dieser Stadt.

Was aber verbindet Fassbinder mit München? Theater hat er überhaupt erst hier kennengelernt, hier hat er seine frühen Filme realisiert. "Gerade die ersten Filme der Sechzigerjahre, die in den Schwabinger Hinterhöfen spielen, erzählen viel über das München dieser Zeit", erklärt Andrea Funk. Diese beklemmende Kleinbürgerlichkeit in allen Lebensbereichen. Das ist auch Thema eines Abends im Teamtheater mit dem Filmkritiker Georg Seeßlen und dem Autor Markus Metz. Es geht um das Lokalkolorit, um das Kunstbairisch, das Fassbinder verwendet, als Sprache emotionaler Verkrüppelung und um das 1969 im Antitheater realisierte Fassbinder-Stück "Anarchie in Bayern".

Immer wieder sei bei Fassbinder dieser Zwiespalt zu beobachten zwischen Auflehnung und nicht aus seiner Haut können, erklärt Xenia Bühler. Allein das Familienmodell, das er für sich und seine Mitstreiter entworfen hat: diese Mischung aus Großfamilie und Hippiekommune. Dazu die bodenständige Vorliebe für Hausmannskost. Diese haben Funk und Bühler bei den "Satansbraten"-Tischgesellschaften mit Überraschungsgästen in Fassbinders Stammkneipe, der "Deutschen Eiche", zum Thema gemacht. Die Tischgesellschaften und das Geburtstagsfest "Geschenke für Fassbinder" im Innenhof von Fassbinders ehemaliger Wohnung (mit Uraufführung des Kurzfilms "Fassbinder in Lalaland - A real fake documentary" der Künstlerin Anna McCarthy und Ausschnitten aus "Fassbinder. Lieben ohne zu fordern" von Christian Braad Thomsen) sind die einzigen Veranstaltungen, die die Initiatorinnen selbst kuratieren.

Der in Bad Wörishofen geborene, in Augsburg und Köln aufgewachsene Fassbinder war geprägt vom politischen Konservatismus, vom katholischen Glauben und einer damit einhergehenden Enge, der auch seine Figuren ausgeliefert sind: der Amokläufer Herr R., die Petra von Kant und auch Fassbinder selbst. Es ist ein ambivalentes Verhältnis, das Fassbinder zu seiner Wahlheimat München hatte, so wie er es zu seinem Land hatte, der damals noch jungen Bundesrepublik, an der er sich gründlich rieb und gegenüber der er einen ganz eigenen kritischen Patriotismus prägte.

Andrea Funk sieht Fassbinder als einen Chronisten deutscher Geschichte, der eine "minutiöse Aufzeichnung von Krisenmomenten" geliefert hat: von "Effi Briest" bis zu "Deutschland im Herbst", dem Kooperationsfilm zur Schleyer-Entführung, dessen Fassbinder-Episode im Vorfeld der Terroristenfarce "Die dritte Generation" im Filmmuseum läuft.

Wie bei allen Jahrestagen stellt sich auch bei diesen Fassbindertagen die Frage: Was ist noch aktuell von all dem, was der Meister geschaffen hat? Erörtert wird das Thema im Teamtheater von Christian Wagner, Regisseur, Autor, Produzent und Professor an der Filmakademie Ludwigsburg, sowie dem Filmpublizisten und Dokumentarfilmer Robert Fischer.

Für junge Menschen von heute sei Fassbinder wegen der sperrigen Dialoge und der strengen Ästhetik erst mal anstrengend, glaubt Xenia Bühler. Es seien wohl vor allem die Themen, deretwegen er trotzdem immer noch relevant sei: das Andersartige, das Dasein von Außenseitern, das Leben in bestimmten Machtstrukturen und Abhängigkeitsverhältnissen - alles Dinge, die auch im Jahr 2015 Herausforderungen darstellen. "Ich suche Probleme, keine Lösungen" habe Fassbinder einmal gesagt, ergänzt Andrea Funk.

Und welche Rolle käme Fassbinder im heutigen München zu? Wie würde er auf die Forderungen nach kulturellem Raum reagieren, auf die Konzertsaaldebatte? Dazu fällt Andrea Funk und Xenia Bühler sofort ein Fassbinder-Zitat ein: "Ich werfe keine Bomben, ich mache Filme." Aber wie sollte dieser Mann mit seinem "Wahnsinnstempo" in der heutigen Gremien-Struktur, wo jeder endlos mitredet, noch Filme machen? Andrea Funk und Xenia Bühler wissen es nicht.

Fassbindertage bis 7. Juni, Programm unter www.fassbindertage.de

© SZ vom 07.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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