Falschmeldungen in Agenturen:Tickern die noch richtig?

Riesenstory, kleine Hürden: Wie zwei große Nachrichtenagenturen Quatsch über angebliches Behördenmobbing und einen gefälschten Anschlag verbreiteten.

Oliver Bilger und Marc Felix Serrao

Es gibt drei Sorten von Meldungen: spannende, langweilige und schräge. Die Übergänge sind fließend. Langweilig war zum Beispiel, was die dpa an diesem Mittwoch um 11.01 Uhr mitteilte: "Stundenlang Politik-TV am Super-Wahlsonntag."

Falschmeldungen in Agenturen: Selbsternannter Medienpolizist: Regisseur Jan Henrik Stahlberg brockte der dpa eine Falschmeldung ein.

Selbsternannter Medienpolizist: Regisseur Jan Henrik Stahlberg brockte der dpa eine Falschmeldung ein.

(Foto: Foto: Short Cut to Hollywood/Senator)

Wer hätte das gedacht. Langweilig, aber immerhin gaga war die ddp-Meldung von 12.22 Uhr: "Ex-Topmodel-Kandidatin Gina-Lisa Lohfink sucht Best Buddy". Journalisten, die täglich Agenturmeldungen nach Geschichten durchsuchen, sind es gewohnt, dass sehr vieles zwischen öde und gaga schwankt.

Anders war diese Meldung: "Bayerische Polizei trieb Gewaltopfer Christian S. in den Selbstmord / Erfolgreicher Erfinder von Behörden zu Tode gemobbt." So lautete der Titel einer ddp-Meldung, die Anfang September verschickt wurde. Oder die hier, eine Woche später von der dpa verbreitet: "In der kalifornischen Kleinstadt Bluewater soll es nach einem Bericht des örtlichen Senders vpk-tv zu einem Selbstmordanschlag gekommen sein." Die Fälle haben Gemeinsamkeiten. Sie waren spannend - und haben in manchen Redaktionen Journalisten veranlasst, weiter zu recherchieren. Und beides waren Falschmeldungen.

Die ddp-Geschichte, ein Gemisch aus Verschwörungstheorie und Privatdrama, war mangels Prüfung von einem bezahlten Dienstleistungs-Kanal der Agentur (ddp-direkt) zwischen die journalistischen Meldungen gerutscht. Um zusätzliches Geld zu verdienen, verschicken viele Agenturen neben normalen Nachrichten auch Auftragsmeldungen, etwa Presseerklärungen von Unternehmen. Sie sind aber normalerweise durch entsprechende Kürzel klar gekennzeichnet und von den Nachrichten zu unterscheiden, die eine Agentur selbst verbreitet.

Bei ddp allerdings lief die Mobbing-Meldung mit der Kennung "Pol" - Politik. Und die dpa-Geschichte aus dem Städtchen Bluewater war schlicht Humbug. Es gab keinen Anschlag, es gibt keinen Sender namens vpk-tv. Das Ganze war als irgendwie medienkritische Werbung für einen - schlechten - Kinofilm gedacht, der nun anläuft (siehe Feuilleton).

Zwei angesehene Nachrichtenagenturen und zwei Fehlfälle innerhalb weniger Tage - was war los mit den journalistischen Sicherungs-Systemen? Sind Agenturen auch nur ein großer Kanal, in dem jeder verbreiten kann, was er will?

Die Wege der beiden Geschichten sind etwas kompliziert, aber sie lassen sich doch ganz gut rekonstruieren. Ihren Anfang nahm die ddp-Meldung über das angebliche Mobbingopfer Christian S. bei einem Herrn namens Udo P., der sich selbst als Online-Journalist bezeichnet und angibt, S. gekannt zu haben. Folgte man der in der ddp-Meldung genannten Webadresse unter der ddp-Meldung, landete man auf einer knallbunten, völlig wirren und von P. selbst betriebenen Seite, auf der es auch um den Verkauf von Webdesigns mit Spiralmustern und Alienköpfen ging.

Die Meldung, aus der dann versehentlich eine ddp-Nachricht wurde, hatte P. mit Hilfe der Wiener "Nachrichtenagentur" Pressetext verschickt. Deren Geschäftsmodell ist es, auf Internetseiten und in Newslettern Pressemitteilungen von Kunden gleichwertig neben redaktionellen Meldungen zu präsentieren. Die Meldungen erreichen laut Pressetext bis zu 100 000 Empfänger - darunter ddp und Dow Jones.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie demnächst Falschmeldungen vorgebeugt werden soll.

Gute Prozeduren

Das Versenden von Mitteilungen funktioniere "wie bei Ebay oder Amazon", erklärt Wilfried Seywald, Marketingdirektor bei Pressetext - "vollautomatisch". Der Kunde müsse ein Konto einrichten und bezahlen, dann könne er Meldungen verschicken. Pressetext setze auf den "mündigen Kunden". Dennoch werde natürlich alles kontrolliert, auf "politische Parolen, pornographische Inhalte, aber auch unsinniges Geschreibsel".

Und wie kam P.'s Geschreibsel in Umlauf? Wegen der Tageszeit, heißt es in Wien. Der Text ging nach 21 Uhr rein - und wieder raus. Zu dieser Zeit sei der zuständige Mitarbeiter nicht online gewesen. Die Meldung sei daher nicht geprüft worden. Über Hürden, um so etwas zu verhindern, denke man nun nach.

Die Gaga-Meldung ging auch anderswo mühelos durch. ddp-Chefredakteur Joachim Widmann sagt: "Wir waren selbst erschrocken." Das Schwesterunternehmen ddp-direkt müsse "den gleichen Standard erfüllen, wie wir auch". Den Kollegen sei daran gelegen, einen "seriösen PR-Kanal" anzubieten. Deshalb dürfe es beispielsweise keine verfassungs-, ausländerfeindlichen oder andere kriminelle Inhalte geben."In diesem Fall hätte man nur auf die innere Plausibilität achten müssen, dann wäre gleich aufgefallen, dass die Meldung total verwirrend und krude ist", sagt Widmann. In Zukunft solle so etwas nicht mehr vorkommen. Das Procedere sei nun "optimiert" worden.

Der stellvertretende dpa-Chefredakteur Wolfgang Büchner schickte nach der Bluewater-Affäre zunächst eine Eilkorrektur, dann bat er seine Leute zur "Nachbearbeitung". Seitdem gibt es einen Sechs-Punkte-Plan für den Umgang mit exklusiven Informationen. So müssen künftig immer zwei Journalisten "zur Verifizierung von Informationen und Recherche" abgestellt werden. Büchner sagt, dass er den Fehler bedauere. Aber: "So ein Bluewater gibt es in jeder Redaktion." Dennoch: "Die sechs Punkte sind keine freiwillige Empfehlung, sondern eine Dienstanweisung." Falls so etwas wieder passiere, "wären auch personelle Konsequenzen denkbar".

Und der Aktualitätsdruck, der in Zeiten des Online-Journalismus höher ist denn je? Der sei nicht das Problem, meint der frühere Spiegel-Online-Mann Büchner: "Wir müssen nur durch gute Prozeduren sicherstellen, dass wir nicht auf irgendwelche Fallen reinfallen."

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