Fall Gurlitt:"Ohne Wenn und Aber"

Einigung nach einem schwierigen Jahr: Das Kunstmuseum Bern nimmt das Erbe an, das der Sohn des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt ihm vermacht hat. Nun beginnt der komplizierte Prozess der Rückgaben.

Von Jörg Häntzschel

Als Kulturstaatsministerin Monika Grütters, der bayerische Justizminister Winfried Bausback und der Präsident des Stiftungsrats des Berner Kunstmuseums, Christoph Schäublin, am Montagvormittag in Berlin den weiteren "Umgang mit dem Nachlass von Cornelius Gurlitt" besiegelten, gab es Lächeln nur auf halbmast und "Vorfreude" "nur verhalten", so Schäublin. Selten sind Berufsoptimisten wie diesen in 45 Minuten so viele Variationen des Worts "Schwierigkeiten" eingefallen. Und als am Ende vor den Fahnen von Europa, Deutschland, der Schweiz und Bayern das Gruppenfoto fällig war, gerieten die Beteiligten auf dem Podium ins Stolpern. Wie schon oft in den vergangenen Monaten, seit bekannt wurde, dass Cornelius Gurlitt sein gesamtes Erbe von rund 1500 Kunstwerken dem kleinen Schweizer Museum vermacht hatte.

Die Kurzversion der Pressekonferenz lässt sich in einem Satz wiedergeben: Das Berner Museum nimmt das Erbe an. Die längere Version, die jene mühsam über ein rechtliches Vakuum gezimmerte Brücke beschreibt, die von der wegen eines angeblichen Steuerdelikts in München beschlagnahmten Sammlung nach Bern führt, ist erheblich komplizierter.

Alle Werke unter Raubkunstverdacht sollen der Taskforce überlassen werden

Das Museum, so die Vereinbarung, unterstellt alle 499 Werke, die laut Grütters unter Raubkunstverdacht stehen, der Taskforce "Schwabinger Kunstfund". Diese bekommt nun Zeit bis Ende 2015, um ihre ursprünglich auf ein Jahr beschränkte Arbeit abzuschließen. Werke, die von der Taskforce als Raubkunst identifiziert werden, sollen "ohne Wenn und Aber" (Grütters) an die Nachfahren der ursprünglichen Eigentümer restituiert werden. Auch Werke mit Raubkunstverdacht aus dem Salzburger Haus Gurlitts, die zurzeit noch in einem Kunstlager in Wien liegen, sollen der Taskforce zur Untersuchung überlassen werden. Mit eigenen Provenienzexperten soll das Berner Museum in den nächsten drei Monaten entscheiden, welche dies sein werden. Alle Kosten für die Arbeit der Taskforce übernimmt derweil die Bundesrepublik. Besonders hart gerungen wurde, das ließ Grütters durchblicken, um die 477 Werke der sogenannten entarteten Kunst, die Cornelius Gurlitts Vater Hildebrand im Ausland gegen Devisen verkaufen sollte, oft aber selbst behielt. Bern wird diese Werke übernehmen, doch es will "Wünschen" nach Leihgaben von den damals geplünderten Museen in Deutschland, Österreich und Polen "entsprechen".

Dauerleihgaben sind damit aber offenbar nicht gemeint. Die Vereinbarung kommt der in den vergangenen Monaten immer heftigeren Kritik an der Geheimnistuerei der Taskforce zumindest ein Stück entgegen: Noch am Montag wurden einige Geschäftsbücher Hildebrand Gurlitts mit geschwärzten Namen auf der Website lostart.de eingestellt, um eventuellen früheren Eigentümern ihre eigenen Nachforschungen zu erleichtern. Raubkunst, für die es bislang keine Anspruchsteller gibt, soll in Deutschland öffentlich ausgestellt und bei lostart.de gezeigt werden. Auch damit will man Berechtigten helfen, ihr mutmaßliches Eigentum zu finden.

Doch Schäublin hatte durchaus recht, als er sagte, dass es für "Triumphgefühle" keinen Grund gebe. Zwar verkündete Grütters einen weiteren Raubkunstfund - Carl Spitzwegs "Das musizierende Paar", das der jüdische Sammler Henri Hinrichsen, der 1942 in Auschwitz ermordet wurde, zuvor unter Zwang verkauft hatte. Doch es ist, knapp ein Jahr nachdem die Taskforce ihre Arbeit aufgenommen hat, erst das dritte Werk, dessen Restitution nun möglich ist. Wie bei den anderen beiden, "Sitzende Frau" von Henri Matisse und "Zwei Reiter am Strand" von Max Liebermann, gab es auch bei dem Spitzweg schon zuvor keine Zweifel an dem Befund.

Wie die Taskforce bei diesem Tempo in 13 Monaten Hunderte weitere Verdachtsfälle von Raubkunst klären will, dazu sagte Grütters ebenso wenig wie zu der hohen Zahl der Raubkunstwerke: Kenner der Gurlitt'schen Sammlung sprachen bisher immer von Raubkunstfällen im unteren zweistelligen Bereich. Die Leiterin der Taskforce, Ingeborg Berggreen-Merkel, war zu der Pressekonferenz nicht erschienen.

Immerhin scheint den Restitutionen nun tatsächlich nichts mehr im Wege zu stehen. Es müssten, so Grütters, nur noch einige "Formalien" geklärten werden. Man kann den Betroffenen - den Nachfahren des Sammlers Paul Rosenberg, die seit Jahren um den Matisse kämpfen, dem New Yorker Anwalt David Toren, der den Liebermann nun allein entgegennehmen muss, weil sein 93-jähriger Bruder vor einem halben Jahr gestorben ist, und der ebenfalls in den USA lebenden Martha Hinrichsen, deren Großvater in Leipzig den noch heute bestehenden Musikverlag CF Peters gründete - nur wünschen, dass über diesen Formalien nicht erneut Monate vergehen.

Die jetzige Vereinbarung ist erst der Anfang einer Lösung

Und auch nicht über der jüngsten Komplikation des Falls: Schäublin betonte zwar, dass die von Teilen der Familie Gurlitt um die 85-jährige Cousine Uta Werner betriebene Prüfung des Testaments "kein ausschlaggebender Faktor" für die Entscheidung des Museums sein durfte. Doch verschweigen ließ sie sich dennoch nicht. Bis die Gerichte über das Testament Gurlitts entschieden haben, muss Gurlitts Nachlasspfleger Stephan Brock seine Hand auf das Erbe halten. Die drei Raubkunst-Bilder könnten schnell restituiert werden, sofern sich die Cousine dazu bereit erklärt, so Brock zur SZ. Auf den Rest muss das Museum wohl noch länger warten. Alle Kosten, die dem Schweizer Museum beim Rechtsstreit mit den übergangenen deutschen Erben entstehen, übernimmt die Bundesrepublik.

Man stehe im Fall Gurlitt "nicht am Ende, sondern am Anfang eines langen Weges" , so meinte Schäublin in demonstrativer Demut. Das gilt umso mehr für die erst mit der Causa Gurlitt in Gang gekommene Debatte um den Umgang mit der deutschen Raubkunst. Bausback wies zu Recht darauf hin, dass man mit der mühsam ausgehandelten Vereinbarung nur diesen einen Fall gelöst habe: "Was geschieht, wenn morgen der nächste Kunstfund auftaucht? . . . Und wenn derjenige . . . nicht so verantwortungsbewusst ist, wie das Kunstmuseum Bern - und sich gegenüber den Herausgabeverlangen von Opfern des nationalsozialistischen Terrors einfach kalt lächelnd auf Verjährung beruft?" Einmal mehr warb er für sein seit Anfang des Jahres in den Gremien liegendes "Kulturgut-Rückgewähr-Gesetz", das eine Lösung für das Verjährungsproblem bei Raubkunst bieten soll. Und auch Grütters wollte übermäßige Erleichterung nicht zulassen: "Wir können unsere Geschichte nicht rückabwickeln", meinte sei. Ein Satz, mit dem das ganze Verfahren gut beschrieben ist.

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