Fake-Doku über Joaquin Phoenix:Irrer zweijähriger Spuk

Alles gelogen: Der Hollywood-Star Joaquin Phoenix behauptete 18 Monate lang, dass er Rapper werden wolle. Doch das war nur ein Rollenspiel für einen vermeintlichen Dokumentarfilm. Einen Tag nach dessen Premiere ließ sein Regisseur das Ammenmärchen auffliegen. Der verzweifelte Versuch einer Satire auf die Verhältnisse.

Jens-Christian Rabe

Als "I'm Still Here" vor knapp einem Jahr in den USA anlief, gab es nicht wenige, die behaupteten, Joaquin Phoenix habe nie besser gespielt als in diesem Film.

Themendienst Kino: I'm Still Here

Was versteckt sich hinter dem Vollbart? Der Film "I'm Still Here" kommt am Donnerstag in die deutschen Kinos.

(Foto: dapd)

Er sei weder als römischer Kaiser in "Gladiator" eindrucksvoller gewesen noch als Johnny Cash in "Walk The Line", wofür er 2006 immerhin für den Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert wurde.

Einige Monate zuvor, im Mai 2010, hatte die Los Angeles Times von einem ersten Screening des Films berichtet, bei dem sich die geladenen Einkäufer noch nicht so sicher waren, was genau, oder vielmehr: ob überhaupt etwas gespielt werde. Einig seien sie sich nur darin gewesen, so die Zeitung, dass sie noch nie etwas Vergleichbares gesehen hätten.

Wenn "I'm Still Here" nun bei uns anläuft, dann kann man sich auf jeden Fall auch hierzulande im Kino davon überzeugen, dass etwas Vergleichbares wohl wirklich noch nicht zu sehen war. Aus der Frage allerdings, wie ernst es der Hollywood-Star mit seinem Ausstieg aus dem Film- und dem Einstieg ins Rap-Geschäft wirklich meinte, ist heute leider völlig die Luft raus.

Schon einen Tag nach dem Filmstart Mitte September 2010 bekannte Casey Affleck, der Regisseur und Mann von Phoenix' Schwester Summer, in der New York Times, dass die vermeintliche Dokumentation komplett erfunden gewesen sei.

Ein knappes Jahr später geht der Film deshalb natürlich überhaupt nicht mehr als die Pointe eines unterhaltsamen zweijährigen Versteckspiels durch, als die er einmal funktioniert hat.

Ein zweijähriger großer Spaß

Heute sieht man ein außergewöhnlich konsequentes filmisches Langzeit-Experiment, währenddessen der Hauptdarsteller nie aus der Rolle fiel und nichts anderes tat, das jedoch sein Ende unterschlägt. Vom Geständnis Afflecks und dem Auftritt seines Stars in der Late-Night-Show von David Letterman wenige Tage später, in dem einem großen Fernsehpublikum erklärt wurde, dass der irre zweijährige Spuk nur ein großer Spaß gewesen sei - von all dem erfährt man im Film im August 2011 nichts. Es dürfte volle Absicht sein.

Einen echten Gefallen haben die Macher ihrer Sache damit trotzdem nicht getan. "I'm Still Here" muss jetzt Ansprüchen genügen, mit denen bei der Produktion nie gerechnet wurde. Einerseits. Andererseits würde es wohl auch nicht allzu weit führen, im Nachhinein aus einem gefakten Dokumentarfilm die Dokumentation eines gefakten Dokumentarfilms zu machen.

Ohne den Thrill der Ungewissheit über die Echtheit der Aufnahmen stolperte man so oder so dauernd über die Konstruktionsmängel. Abgesehen nämlich von der schamlosen Selbstaufgabe von Joaquin Phoenix, der sich als fetter, verwahrloster und extrem lausiger Rapper sehenswert schlechtgelaunt durch den Film nuschelt, gab es offenbar nicht genügend gute Szenen, mit denen der erklärte Anspruch hätte eingelöst werden können, etwas Augenöffnendes über das verzwickte Verhältnis von Stars, Medien und Publikum zu erzählen.

Mit anderen Worten: Der Film ist voller Szenen mit Drogen, Exkrementen und Genitalien. Mehrfach ist das entblößte Geschlechtsteil des persönlichen Assistenten zu sehen, Phoenix lässt sich mit einer Schere notdürftig einzelne Haare auf dem Rücken schneiden, er kotzt, schnupft Kokain, kifft, vergnügt sich mit nackten Callgirls und muss sich nach einem wüsten Streit im Schlaf auf den Kopf defäkieren lassen.

Berühmte Rapper fielen nicht drauf rein

Die sehr zeitgemäße Logik der Eskalation, der diese Ereignisse folgen, kann aber nicht verhindern, dass der Versuch des Hollywood-Stars, als Rapper groß rauszukommen, auf Dauer fast weniger verzweifelt wirkt, als der Versuch des Films, eine schonungslose Satire auf die Verhältnisse zu sein. Und Phoenix' Versuche zu rappen sind schon sehr verzweifelt. Der legendäre Hip-Hop-Produzent Dr. Dre gewährt ihm nicht einmal eine Audienz.

Der ebenfalls nicht eingeweihte Sean Combs alias P.Diddy, der schon eine gute Weile nicht mehr durch musikalische Geniestreiche aufgefallen ist, lädt Phoenix am Ende immerhin in sein Studio ein, kündigt die Zusammenarbeit allerdings sofort fassungslos, aber formvollendet auf, nachdem ihm die ersten Demo-Tapes vorgespielt worden sind: "Ich glaube, dass jeder alles tun kann, wenn er es wirklich in sich trägt." Den besten Gag liefert David Letterman, der 2009 den Möchtegern-Rapper Phoenix in seiner Show mit den Worten entlässt: "Joaquin, tut mir leid, dass du heute Abend nicht kommen konntest."

Vielleicht muss man den Film aber auch ganz anders lesen. Viel mehr als mit den Medien und ihrer blinden Ruhmsucht spielt "I'm Still Here" mit einer Sehnsucht, die man die Illusion der Eigentlichkeit nennen könnte: "Alles, was man tun könne", sagt der schratige Phoenix am Anfang des Films, sei, "etwas für sich zu tun, es zu lieben und zu hoffen, dass es die anderen auch lieben werden."

Diese Vorstellung trägt fast jeder moderne Mensch mit sich herum. Es ist der tröstende Glaube, ein besserer Mensch zu sein, wenn man nur sein könnte, was man am liebsten sein würde; wenn man nicht tun müsste, was man tun muss. Wenn "I'm Still Here" recht hat, dann ist die Wahrheit: Man wäre kein bisschen besser und sähe dabei auch noch ziemlich schlecht aus. Außerdem würden alle nur darauf warten, dass der Spuk endlich vorbei ist. Ein desillusionierenderer Film wird so bald nicht gedreht werden.

In eigener Sache: Anders als in diesem Artikel ursprünglich dargestellt, war Joaquin Phoenix 2006 lediglich für den Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert. Die Auszeichnung erhielt aber nicht er, sondern Philip Seymour Hoffman für seine Rolle in "Capote".

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