Extremismus:Räuber, Amokläufer, Terrorist

Extremismus: Peter R. Neumann: Der Terror ist unter uns. Dschihadismus und Radikalisierung in Europa. Ullstein-Buch- verlage, Berlin 2016. 304 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 16,99 Euro.

Peter R. Neumann: Der Terror ist unter uns. Dschihadismus und Radikalisierung in Europa. Ullstein-Buch- verlage, Berlin 2016. 304 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 16,99 Euro.

Peter R. Neumann versucht sich an einer Erklärung des Dschihadismus. Dabei gerät ihm einiges durcheinander.

Von Tomas Avenarius

Wenn flaumbärtige Dschihadisten sich in französischen Metropolen in die Luft sprengen und einsame Wölfe in deutschen Kleinstädten messerstechen oder die Axt schwingen, droht ein Nachspiel in Person des Terrorexperten. Der zählt, im Gegensatz zum Fassmacher oder Zeitungsredakteur, zu einer Berufsgruppe, die eine Zukunft hat. Und das, obwohl die in den Tagesnachrichten zugeschalteten Terrorexperten meist nur in gewichtiger Rede zusammenfassen, was Nachrichtensprecher und Reporter davor in schlichten Worten gesagt haben.

Es gibt dennoch Fachleute, bei denen Zuhören oder Lesen ein Gewinn ist. Peter R. Neumann, der am Londoner King's College als Professor für Sicherheitsstudien forscht, gehört eigentlich dazu. Der Leiter eines renommierten "Zentrums für Radikalisierung und Terrorismus" hat etwas zu sagen, weshalb Journalisten ihn häufig befragen.

Neumann hat jetzt ein Buch veröffentlicht, das laut Titel "Der Terror ist unter uns" die Phänomene "Dschihadismus und Radikalisierung in Europa" verständlich machen will. Das tut es, irgendwie. Aber leider in einer epischen Breite, die den Leser mehr Zeit kostet als nötig. Das Werk ist, Neumann erklärt es im Vorwort, auf der Grundlage seiner in den vergangenen Jahren gehaltenen Vorlesungen entstanden. So liest es sich auch: Zu vollständig, zu akademisch und vor allem mit wenig Vertrauen in das eigene Urteil.

Auch sonst überzeugt das Buch nicht. Es beginnt mit einem Exkurs über die "Shankill-Schlächter", eine nordirische Terrorbande aus den 70er-Jahren(!). Haben sich Autor und Lektor beim Titel (eben "Dschihadismus und Radikalisierung in Europa") vertan? Oder setzen sie darauf, dass Dschihadismus im Buchladen oder in der virtuellen Amazon-Welt natürlich besser zieht als etwa "Allgemeines Lehrbuch über die Natur des Terrors im späten 20 und frühen 21. Jahrhundert?"

Die protestantischen Shankill-Schlächter hatten Katholiken entführt und auf bestialische Art ums Leben gebracht. Umso merkwürdiger Neumanns Schlussfolgerung: "Als die Gruppe Islamischer Staat im Sommer 2014 damit begann, westlichen Geiseln vor laufender Kamera die Köpfe abzuschneiden, dachte ich sofort zurück an (. . .) die Shankill-Schlächter."

Jihadi John erinnert den Autor merkwürdigerweise an die nordirischen Shankill-Schlächter

Jihadi John, der sich und den Islamischen Staat mit seinen Kopf-ab-Videos aus Syrien auf grausig-trashige Weise bekannt gemacht hat, soll mit irischen Terroristen vergleichbar sein, die Geisel des globalen Dschihads mit einem letztendlich überschaubaren nationalistisch-religiösen Konflikt am Nordwest-Zipfel Europas? Anschließend führt der Autor einen britischen Veganer an, der für eine "Tierbefreiungsfront" 2006 den Lieferanten eines Tierversuchlabors in die Luft sprengen wollte und schlägt von dort den Bogen zum schwedischen Rassenspinner und Massenmörder Breivik. Schließlich sind sie alle radikalisiert worden, setzten auf Gewalt. Das ist, als ob einer den Auftragsmörder mit dem Amokläufer und den Bankräuber mit dem Erbschleicher vergleicht, alle haben viel kriminelle Energie.

Neumann holt auf 250 Seiten aus, bemüht Politikwissenschaft, Soziologie und Psychologie. Nachdem er einzelne, zu einem Teil reichlich bekannte Terrorfiguren vorgestellt hat, widmet er sich den "Bausteinen" der Radikalisierung: Vom Lebenslauf, dem Umfeld aus Familie und Freunden, dem Ausmaß gescheiterter Integration, den "Ideen", sprich Ideologien, und der Gewaltaffinität bis hin zu Phänomen einer Art dschihadistischer Jugendrevolte. Er betont, fair genug, dass sein Gebiet keine exakte Wissenschaft ist, dass alle diese Facetten weder für sich noch alle zusammen das Phänomen umfassend erklären.

Aber wer mit einem Buch zu einem aktuellen Thema antritt, sollte seine selbst aufgeworfenen Fragen griffiger beantworten können. Das Werk mag für Studenten im Grundstudium Terror und Sicherheit nützlich sein. Wer aber verstehen will, warum es zu den Schlächtereien im Bataclan-Club in Paris, auf der Corniche in Nizza und am Flughafen in Brüssel kommen konnte, wird enttäuscht. Um die Faszination des militanten Islam zu erklären, bedarf es kaum des Verweises auf die Shankill-Schlächter oder einen bombenden Veganer. Der Weg ist zu weit vom belgischen Molenbeek in einen Hühnerstall in der Nähe von Oxford.

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