"Export A" von Lisa Kränzler:Kreischend durch den Äther

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Die Pubertät als eine Art bösartiges Gottesgericht: Lisa Kränzlers Romandebüt "Export A" ist brachial empfindsam. In Ansätzen fast schon ein kleines "Axolotl Roadkill", das sich hier abspielt. Ganz knapp vor Romanende wird dann sogar etwas passieren.

Florian Kessler

Ein kleiner, wilder Roman über das Highschooljahr einer Sechzehnjährigen in Kanada - bloß, dass weder Highschool noch Kanada dabei irgendeine Rolle spielen. Es geht allein um das Sechzehnsein, das macht schon genug Probleme. Im Debüt der 1983 geborenen Lisa Kränzler ist die Pubertät eine Art bösartiges Gottesgericht. Sie wütet in Körper und Geist, lässt keinen geraden Gedanken zu, verwandelt jede geordnete Erzählung in schutzloses Stammeln: "Der Himmel ist zu fern und ich bin zu klein. Mein erbärmlicher Körper stolpert dahin."

Auch sie wurde in Klagenfurt ausgezeichnet: Lisa Kränzler. (Foto: Privat)

Beim Klagenfurter Bachmannwettbewerb hat Lisa Kränzler kürzlich einen der wichtigeren Preise gewonnen. Sie stellte dort ein anderes Romanprojekt vor, das ebenfalls in aufgeputschter, quirlig-expressiver Sprache in Jugend und Kindheit bohrte. Überhaupt versuchten sich die Klagenfurter Kandidaten dieses Jahr ermüdend gerne an Kindheitsrückgriffen. Öfters standen sie dabei mit dem Rücken zu jeder Zeitdiagnose, privatisierten nostalgisch wie mit zugekniffenen Augen vor sich hin. Kränzler war da eine der wenigen Ausnahmen. In ihrem Auszug wurde kein Privatwohnzimmer persönlicher Reminiszenzen abgesteckt, sondern bewusst gespiegelt, was die Gesellschaft so alles in ihre Heranwachsenden hineinprojiziert.

Beim Bachmanntext funktionierte das recht reibungslos und war äußerst bewusst gestaltet. In Kränzlers zuvor entstandenem Sechzehnjährigen-Roman wirkt es intuitiver und viel grober aufs Papier gehauen. Angekommen im kanadischen Nirgendwo, gerät unsere Austauschschülerin in ein Wechselbad der Gefühle und Lebensstile. Sie wird zu fundamentalistischen Gottesdiensten mitgeschleift und hat, kein Witz, bereits auf Seite 23 ihre erste Glaubenskrise. Und sie zieht in eine Stoner-Wohngemeinschaft, in der die Haschpfeife und die Fuck-the-system-Phrasen um die Wette blubbern.

So viel Bibelbekanntschaft und humanistisches Elternhaus

Ganz knapp vor Romanende wird dann sogar etwas passieren. Die ersten 200 Seiten aber herrscht richtungsloseste Halbstarken-Verzweiflung. Coming-of-Age bedeutet hier, zu sich selber kommen wollen, und dazu franst die Romanform in nervös suchende, selbstquälerische Notizen aus, die bisweilen beben vor grobschönen, manchmal geradezu brachial empfindsamen Bildern: "Wenn ich also dalag, die Sinne geschärft, Poren und Stirn geöffnet, dann konnte ich ein Netz aus Gedanken bis hinauf in die Unendlichkeit weben."

Im Ton steckt dann oft so viel Bibelbekanntschaft und humanistisches Elternhaus, dass man davon auch gerne inhaltlich lesen würde. Leider darf man höchstens ganz am Rande. Es gibt keine Auseinandersetzung darüber, was diese Sechzehnjährige warum geprägt hat - und auch keinen Gedankenschimmer daran, warum sie nicht in die Provinzwelt ihrer neuen Buddies passen könnte.

Es gibt bloß diese grelle, häufig toll ausgemalte Verzweiflung. In Ansätzen fast schon ein kleines "Axolotl Roadkill", das sich hier abspielt, und damit einmal mehr in diesen Jahren wieder das Buch einer jungen Frau über eine junge Frau, die sich in panischer Schnappatmung nur noch um sich selbst dreht. Vielleicht steckt da ja mehr hysterische Zeitdiagnose drin, als uns lieb ist - folgendermaßen jedenfalls denken sich unsere Teenie-Mädchen bei Lisa Kränzler ihr zukünftiges Leben: "Angefüllt mit Lachlust werde ich sein, wie jetzt werde ich mich ausschütten vor Lachen. Eine Irre, die kreischend durch den Äther treibt."

Lisa Kränzler: Export A. Roman. Verbrecher Verlag, Berlin 2012. 265 Seiten, 21 Euro.

© SZ vom 24.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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