Evolutionslehre:Der große Plan

In den USA tobt ein Krieg um die Evolutionslehre. Ausgerechnet in der Hightech-Supermacht laufen die Grundlagen moderner Naturwissenschaft nun ernsthaft Gefahr, mit Abstimmungen und Gerichtsurteilen aus Schulen und Köpfen verbannt zu werden.

Von Patrick Illinger

Seine Verwaltungsaufgaben soll Erzbischof James Ussher eher halbherzig verfolgt haben.

Zu sehr drückte ein unstillbarer Wissensdurst gepaart mit Sammelwut das 1581 geborene Oberhaupt der nordirischen Provinz Armagh. Diesem Umstand verdankt das altehrwürdige Trinity College in Dublin heute immerhin eine große Zahl wertvoller Bände.

So richtig in Fahrt kam Ussher allerdings, wenn es um Zahlen und Daten ging. Akribisch überführte der Kirchenmann zeitlebens Texte des Alten Testaments in Kalenderangaben.

Seiner präzisen Analyse der Genesis ist zum Beispiel der exakte Starttermin der Schöpfung zu verdanken: am 23. Oktober 4004 v. Chr. ging Gott ans Werk, ein Sonntagmittag.

Wenige Tage später, am 10. November des selben Jahres mussten Adam and Eva das Paradies räumen. Bis Noahs Arche auf dem Gipfel des Ararat anlandete, vergingen dann ein paar Jahrtausende:

Das soll an einem Mittwoch, dem 5. Mai 1491 v. Chr., passiert sein.

Nun möchte man meinen, dass Usshers mittelalterliche Zahlenspiele nach einigen Jahrhunderten der Aufklärung und Naturwissenschaft bestenfalls noch als Füllstoff für Party-Small-Talk taugen.

Doch mitnichten: Vor allem in den USA ist die Begeisterung für Usshers heillose Verwechslung von Heilslehre und Zahlenkunde seit Jahrzehnten ungebrochen.

In weiten Teilen der amerikanischen Bevölkerung gehört der Kreationismus, das Leugnen von Urknall, Evolutionstheorie und Geophysik zu Gunsten einer platten Bibelexegese zum Weltbild.

Ausgerechnet in der Hightech-Supermacht USA laufen die Grundlagen moderner Naturwissenschaft nun ernsthaft Gefahr, mit Abstimmungen und Gerichtsurteilen aus Schulen und Köpfen verbannt zu werden.

Das Design vom Dasein

So wie bereits im vergangenen Jahr, war auch heuer das Phänomen der seit einigen Jahren aufblühenden "Intelligent Design"-Bewegung (ID) ein zentrales Thema der AAAS-Konferenz, immerhin das größte interdisziplinäre Treffen amerikanischer Wissenschaftler.

Mit diesem Begriff umschreiben die Anhänger des ID nichts weiter als eine im gebürsteten Anzug daherkommende Form des Kreationismus. Es ist eine - ironischerweise im Darwinschen Sinne - mutierte, den juristischen Gegebenheiten der USA angepasste Theorie.

Anders als die radikalen Vertreter des Kreationismus, gestehen die Erfinder des "Intelligent Design" zu, dass das Universum mehrere Milliarden Jahre alt ist und biologische Arten im Laufe der Zeit aussterben - und neue entstehen.

Doch, so die zentrale These der ID-Denker, dahinter stecke niemals ein Zufall, sondern ein großer Plan, eine Art Blaupause des Lebens. Zu komplex seien die biologischen Organismen, allen voran der Mensch, als dass der Zufall sie hätte erschaffen können.

Diese Version des Kreationismus mit Tarnkappe soll nach dem Willen seiner Anhänger Bestandteil der Lehrpläne amerikanischer Schulen werden.

Der Nährboden in der Bevölkerung ist offenbar gut. Umfragen der vergangenen Jahre zeigen, dass sich knapp die Hälfte der Amerikaner zum Kreationismus bekennt.

Fast ein Viertel der College-Absolventen glaubten 1999 daran, dass Gott den Menschen innerhalb der vergangenen 10 000 Jahre in seiner heutigen Gestalt erschaffen habe.

1987 aus dem Unterricht verbannt

Tom DeLay, der Mehrheitsführer der Republikaner im amerikanischen Abgeordnetenhaus, beschuldigte nach dem Schülermassaker von Littleton das Ausbildungssystem der USA, in dem gelehrt werde, "dass Menschen nichts als bessere Affen sind, die sich aus irgendeiner Urschleimsuppe entwickelt haben".

Nur weil es offenkundig um religiöses Gedankengut geht, verbannte das oberste amerikanische Gericht im Jahr 1987 den Kreationismus aus dem Biologieunterricht.

Um derlei Rückschläge zu vermeiden, geben sich die Anhänger des "Intelligent Design" nun alle Mühe, Begriffe wie "Schöpfer" und "Gott" zu kaschieren.

Mit Erfolg: Vor zwei Wochen änderte die Schulbehörde des Bundesstaates Georgia nur auf massiven Druck hin eine Beschlussvorlage, wonach nicht nur der Begriff "Evolution" aus dem Unterricht gestrichen werden sollte, sondern auch wesentliche Fakten der Geologie - wie zum Beispiel das Alter der Erde oder Erkenntnisse über Plattentektonik.

In Ohio, wo vor zwei Jahren die Evolutionsgegner bei einer Abstimmung knapp unterlagen, beschloss der oberste Schulausschuss des Staates mit 13 zu vier Stimmen, ein evolutionskritisches Kapitel in den Lehrplan aufzunehmen.

Dort finden sich unter anderem Verweise auf einschlägige Internetseiten über "Intelligent Design". In Michigan bemühen sich einflussreiche Beamte, Kreationismus und Bibelstudien im Unterricht einzuführen.

Aus Montana wird über Schlägereien auf dem Schulgelände berichtet. Ein Gesetzentwurf in Missouri sieht vor, ab 2006 Lehrer zu feuern, die Evolution und "Intelligent Design" im Unterricht nicht gleichwertig behandeln.

Dauernd und überall

Wissenschaftler aus allen Teilen der USA stehen dem Phänomen fassungslos gegenüber wie einer resistenten Virusepidemie. "Es ist unerbittlich", erzählt Randy Moore, Biologieprofessor der Universität von Minnesota in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science.

"Es taucht dauernd und überall auf, und es geht nicht mehr weg." Hochschullehrer hätten keine Ahnung, was in Klassenzimmern vorgeht, warnt Moore.

Tatsächlich ist es den Neo-Kreationisten auf bedrückende Weise gelungen, den Begriff der Evolution in der breiten Öffentlichkeit mit einem antichristlichen Hautgout zu belegen.

Anerkannte Forscher berichten von Problemen mit dem eigenen Bekanntenkreis, wenn es um das Thema Evolution geht.

Die Idee, dass Menschen und Affen in gewisser Weise verwandt sind, ist offenbar auch gebildeten Menschen des 21.Jahrhunderts zuwider.

Beharrlich berufen sich die Gegner der Evolutionslehre in ihrem Feldzug gegen die "etablierte" Wissenschaft auf ur-amerikanische Werte wie die freie Meinungsäußerung und Fairness.

Mit pseudo-wissenschaftlichen Argumenten und massiver finanzieller Unterstützung aus fundamental-christlichen Kreisen, erzeugen sie gezielt das Bild einer moralischen Resistance im Kampf gegen die ideologische und vor allem gottlose Übermacht der "anerkannten" Wissenschaft.

Dass die ID-Anhänger sich in Wahrheit sektiererisch vor wissenschaftlichen Diskursen drücken und noch nie Erkenntnisse in einer unabhängigen Publikation veröffentlicht haben, stört offenbar große Teile der amerikanischen Bevölkerung wenig.

Längst ist nicht mehr klar, wer in diesem Kampf David und wer Goliath ist.

Mit dabei: Bush jun.

Wie sehr Wissenschaftler bereits mit dem Rücken zur Wand stehen, zeigte sich auch während der diesjährigen AAAS-Konferenz in Seattle.

Dort wurden nicht nur historische und juristische Zusammenhänge der "Intelligent Design"-Bewegung diskutiert, sondern auch konkrete Ratschläge für die Argumentation geliefert.

Dabei verlassen sich amerikanische Wissenschaftler längst nicht mehr auf die Macht der Vernunft.

"Hinten anstellen!", nennt John Staver von der Universität Kansas den Schlachtruf. Niemand solle sich mit nackten Behauptungen an den mühsamen wissenschaftlichen Arbeitsmethoden und den Prinzipien von Empirie und Theorie vorbeidrängeln können. Oder ganz pragmatisch:

Am besten wende man sich an die örtlichen Geschäftsleute und Industriebosse, erzählt ein Physik-Professor. "Wenn die hören, dass ihre Kinder ohne vernünftigen Wissenschaftsunterricht in Harvard keine Chance haben, knicken sie schnell ein."

Doch der Streit ist längst an einem Punkt, an dem Gerichte darüber befinden, was gute Wissenschaft ist, und was nicht. Damit ist die eigentliche Katastrophe bereits geschehen: Wissenschaft ist zur Ansichtssache verkommen.

Womöglich wird das Alter der Erde ja noch in diesem Jahr ein wichtiges Thema beim Kampf um das Präsidentenamt. George W. Bush unterstützt jedenfalls offen die Forderung, Kreationismus gleichwertig neben der Evolutionstheorie an den Schulen zu lehren. Offenbar besteht kein Zweifel, dass diese Haltung Wählerstimmen bringt.

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