Europa und das Ende einer Ära:Erwarten wir Dankbarkeit?

Sorgen um Demokratie und Kapitalismus treffen auf Abstiegsängste, wenn sich Bestseller und der Akademientag die Frage stellen: "Endet das europäische Zeitalter?" Wenn ja, was wäre daran so furchtbar?

Jens Bisky

Es gibt Fragen, auf die man am liebsten mit einem entschlossenen Schulterzucken antworten würde, und diese gehört ohne Zweifel dazu: "Endet das europäische Zeitalter?" Sie klingt mal larmoyant, mal alarmistisch, und in ihr wird allzu viel vermengt: Da treffen Sorgen um Demokratie und Kapitalismus auf Abstiegsängste und den Wunsch, mehr über die ungewisse Zukunft zu wissen, als man wissen kann.

Fünf Jahre EU-Erweiterung  - Fahne

Die europäische Vorherrschaft hinterließ neben dem Christentum die säkularen Traditionen der Aufklärung.

(Foto: dpa)

Aber das Sujet ist reizvoll, verspricht ein unterhaltsames Geschichtspanorama voller Grusel, reich an Beschwörungen der eigenen Vortrefflichkeit und den Wonnen des Bescheidwissens. Man kennt die Melange spätestens seit Oswald Spenglers "Der Untergang des Abendlandes".

Zurzeit bewirtschaften die Historiker Ian Morris mit "Wer regiert die Welt? " und Niall Ferguson mit "Civilization. The West and the Rest" das Feld. In dieser Woche haben sich auch die acht in der Union der Akademien der Wissenschaften zusammengeschlossenen Gelehrtengesellschaften des Themas angenommen und es auf ihrem Akademientag behandelt.

Für den Historiker Wolfgang Reinhard ist die europäische Weltherrschaft bereits 1945 in den Flammen Berlins untergegangen. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann auch der unaufhaltsame Untergang der Kolonialreiche.

Der vorhergehende "Riesenerfolg der europäischen Expansion" beruhte auf innereuropäischen Rivalitäten, welche die Ausdehnung beschleunigten, und auf dem gewaltigen Bevölkerungswachstum des 19. Jahrhunderts.

Die wirkungsvollste Organisationsform von Macht

Die vorübergehende welthistorische Überlegenheit wäre undenkbar gewesen ohne die Gründung neo-europäischer Staaten wie der USA. Sie beruhte wesentlich auf dem "Renommierstück der europäischen Geschichte", dem modernen Staat als der bis heute wirkungsvollsten Organisationsform von Macht.

Neben der Erinnerung an Unrecht und Verbrechen hinterließ die europäische Vorherrschaft das Christentum, die säkularen Traditionen der Aufklärung einschließlich sozialistischer Programme und die naturwissenschaftlich-technische Kultur.

Nachdem die politische Dekolonisation abgeschlossen und die ökonomische auf gutem Wege sei, werde dieses Erbe nun angeeignet. Hybridformen entstehen, etwa in den zahlreichen Varianten des Englischen.

Dass die Welt dennoch weiterhin europäisch denken möge, war die Hoffnung und Vermutung des Politikwissenschaftlers Peter Graf Kielmannsegg. Er erinnerte an drei Schlüsseltexte politischen Denkens, die - spezifisch europäisch - an alle Menschen appellieren: die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776, die Erklärung der Menschenrechte von 1789 und das Kommunistische Manifest. Wo immer in globalen politischen Diskursen normativ argumentiert werde, dominiere dieses Erbe der europäischen Aufklärung.

Besitzen wir ein Copyright?

Das "Glaubensbekenntnis" verweigerte der Historiker Jürgens Osterhammel souverän, er historisierte die Frage, indem er sie umformulierte: "Was war und ist der Westen'?" Ein ziemlich junges, ideologisch aufgeladenes und erstaunlich elastisches Konzept.

Europa findet man auf der Landkarte, dem "Westen" muss man sich ideengeschichtlich nähern. Er ist größer und zugleich kleiner als Europa und benötigt ein Gegenbild, meist sind es die Feinde der "offenen Gesellschaft".

Das waren etwa der internationale Faschismus und die Sowjetunion. Politisch neutral, "nur" kulturelle Überlegenheit behauptend, blieb lange die Formel vom "Westen" als dem "Nicht-Orient".

Osterhammel plädierte dafür, die Politik der "selektiven Selbstverwestlichung", die bereits im 19. Jahrhundert begann, überall in der Welt genau anzuschauen. Europa hat viel erfunden, was andernorts Verbreitung fand. Was folgt daraus? Besitzen wir ein Copyright? Erwarten wir Dankbarkeit? Und hat China wirklich die Absicht, die Welt zu regieren?

Vielleicht verrät die Idee, dass immer einer die Hegemonie besitzen müsse, mehr über Ängste als über die Wirklichkeit. Das europäische Zeitalter endete, als Europa nicht mehr verhindern konnte, was ihm missfiel. Das westliche könnte nun in Afghanistan an sein Ende kommen. Es bleibe aber gewiss die Konsumgesellschaft. Unter den verschiedensten Gewändern, so Wolfgang Reinhard knapp, finde man Unterhosen und Büstenhalter wie überall.

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