Essay:Wenn Dichterinnen Land gewinnen

Essay: Ursula Krechel: Stark und Leise. Pionierinnen. Verlag Jung und Jung, Salzburg und Wien 2015. 344 Seiten, 22 Abbildungen, 25 Euro. E-Book 18,99 Euro.

Ursula Krechel: Stark und Leise. Pionierinnen. Verlag Jung und Jung, Salzburg und Wien 2015. 344 Seiten, 22 Abbildungen, 25 Euro. E-Book 18,99 Euro.

(Foto: Jung und Jung)

Ursula Krechel porträtiert "Pionierinnen" von Christine de Pizan.

Von Jutta Person

"Aus der Dame", schreibt Ursula Krechel über die Geschlechterrollenprosa der Zwanzigerjahre, "ist eine androgyn empfinden wollende Person geworden, die immer noch nicht tut, was eine Dame nicht tut, doch sie täuscht die Souveränität eines Herrn vor. Wenn sie schon kein Gewinner ist, dann eine gute Verliererin. Meiden wird sie die der Frau zugebilligten Ausdrucksformen: Hysterie, öffentliche Gefühlsaufwallungen, katzenhafte Falschheit, hündische, weibliche Sklaveneigenschaften." Mit ihrem Roman "Landgericht" hat Ursula Krechel 2012 den Deutschen Buchpreis gewonnen. Nun erzählt sie die Lebensgeschichten von zwanzig Frauen, Künstlerinnen die einen, Wissenschaftlerinnen die anderen.

"Stark und leise" heißt ihr Essayband; neben Ex-Dame und Girl in den Zwanzigern und frühen Dreißigern treten darin auch all die schreibenden Orientreisenden, Selbstfahrerinnen, Dadaistinnen und Auflagenmillionärinnen in Erscheinung, denen UrsulaKrechel ihre Porträts widmet: Ruth Landshoff-Yorck, Vicki Baum, Irmgard Keun, Hannah Höch, Marieluise Fleißer, Annemarie Schwarzenbach oder die Sexualwissenschaftlerin Charlotte Wolff. Chronologisch eingefasst werden die Essays von einem weit ausholenden Davor - vom Mittelalter und Christine de Pizans "Stadt der Frauen" führt ein Pfad zu den Romantikerinnen - und einem Danach, das die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Ingeborg Bachmann, Friederike Mayröcker oder Elke Erb besetzt.

Der umfangreichste und stärkste Part aber gilt der Zwischenkriegszeit mit ihren glatten Oberflächen und ihren "luftigen, nomadisierenden Lebensformen". Ursula Krechel untersucht die Kältemetaphern, mit deren Hilfe die unsentimentalen "Pionierinnen" (so heißt der Band im Untertitel) eine Weiblichkeitsidee hinter sich lassen wollten, die sie aufs Sentiment verpflichtete. Die neue Schriftstellerin "berichtet, anstatt zu beichten", heißt es bei Erika Mann, "sie hat Humor und Klugheit, und sie hat die Kraft, sich auszuschalten". Sich selbst "auszuschalten", erweist sich als recht zweischneidige Strategie; dass die Pionierinnen-Essays auch die "Rückseite der kühlen Eleganz", den "Antipoden-Kontinent der Verletzbarkeit" aufspüren, ohne zu bewerten oder zu urteilen, macht ihren Reiz aus.

Ursula Krechel beobachtet diese frühen Beobachterinnen beim Beobachten; und sie rekonstruiert den Nimbus der Nüchternheit, der vom Unsentimentalen, Unpathetischen, von der Kühle und Glätte ausging. Im Grunde sind ihre Essays genau jenen Verhaltenslehren der Kälte auf der Spur, die gemeinhin mit Bertolt Brecht, Ernst Jünger, Walter Serner oder Siegfried Kracauer assoziiert werden.

Der Band versammelt Lebensgeschichten einer anderen Idee von Weiblichkeit

In Krechels Essays kann man nachlesen, dass die Kalte Ordnung - "l'ordre froid" hatte man die Neue Sachlichkeit schon früh in Frankreich genannt - in all ihren Paradoxien von Schriftstellerinnen wie Irmgard Keun oder Marieluise Fleißer erfasst wurde. Dass die Autorinnen dieser klug-witzigen Bohemiennes oft genauso zurückgestutzt wurden wie ihre Romanfiguren, zeigt Krechel auch. Irmgard Keun wurde, etwa von ihrem Lektor Hermann Kesten, mit ihren "verliebten kleinen Mädchen" ins humoristische Fach gesperrt; Krechel rekonstruiert, wie die Autorin nach und nach vergessen wurde, "unter einem Epitaph begraben, das sie fahrlässig fälschlich einer niederen Gattung zuordnet". Nicht zuletzt verfolgen die Essays nach, wie das "systematische Vergessen weiblicher Kulturleistungen" funktioniert. Ein anderes System des Vergessens stand im Zentrum des Romans "Landgericht": Ein jüdischer Richter kehrt aus dem Exil zurück und kämpft verzweifelt um Gerechtigkeit in einem Kleinbürgerland, das von der Nazi-Vergangenheit nichts mehr wissen will.

Dass Ursula Krechel vor allem auch Lyrikerin ist, merkt man vielleicht am deutlichsten in ihrem Porträt von Friederike Mayröcker. "Vom Gießen und Fließen" heißt dieser Aufsatz, der wunderbar zu den mäandernden Satzströmen Mayröckers passt und Schreibfluss, Pfingstwunder und Schrift-Ekstase zusammenbringt. Mit den "Magischen Blättern" Mayröckers, den Verzückungen und Erleuchtungen der österreichischen Mystikerin, skizziert Krechel eine Poetologie des Überflusses: "Die pfingstliche Vermehrung der Sprache: eine Art von früher Poetisierung oder auch Romantisierung der Welt, es gibt keine Fremdsprache mehr, alles will durchlässig werden wie im Märchen."

Durchlässigkeit ist überhaupt ein gutes Stichwort: In ihrem Nachwort spricht sich Ursula Krechel für die Form des Essays aus, weil er "Raum bietet für ein weit ausgreifendes Denken" und "keiner Fachdisziplin angehört". Ihre Pionierinnen-Porträts sind auf genau diese Weise durchlässig für die Poetologien der anderen, vor allem sind sie: analytisch und feinfühlig zugleich. Wer das für ein Gegensatzpaar hält, sollte sofort loslesen.

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