Sexualstrafrecht:Wenn sexuelle Selbstbestimmung nicht gelebt wird

Video Still Meghan Trainor 'NO'

Vielen Dank, ich will nicht tanzen, ich will deine Hände nicht überall haben, singt Meghan Trainor in ihrem jüngsten Lied "No". Ein "Ja" enthält ihrer Ansicht nach ziemlich viele Risiken.

(Foto: Screenshot Youtube)

"Nein heißt nein": Dieser Satz suggeriert eine Eindeutigkeit, die in erotischen Situationen oft nicht gegeben ist. Aus ihm spricht das Patriarchat.

Gastbeitrag von Svenja Flaßpöhler

Das Video des It-Girls Gina-Lisa Lohfink, in dem dieses sich - vergeblich - gegen eine sexuelle Handlung wehrt, ist schwer zu ertragen. Zumindest für die Autorin dieses Textes ist eindeutig, dass hier ein Mann eine Frau zu einer sexuellen Handlung nötigt, die diese ganz ausdrücklich nicht will. Dem Ruf nach einer Verschärfung des Sexualstrafrechts hat der Fall somit größten Nachdruck verliehen. Wenn das "Nein heißt nein", wie von Feministinnen und Frauenverbänden gefordert, ins Strafgesetz einfließen sollte, reicht es künftig, dass Frauen ihren Unwillen zu sexuellen Handlungen bekunden, um Männer, die sich darüber hinwegsetzen, wegen Nötigung vor Gericht zu bringen. Eine Frau, die einen Mann der Vergewaltigung bezichtigt, muss sich also nicht körperlich gewehrt, muss nicht geschrien oder versucht haben zu fliehen, sondern lediglich Nein gesagt haben, bevor der Akt vonstatten geht.

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Selbstverständlich muss eine Frau auch dann durch das Gesetz geschützt werden, wenn sie aussieht wie eine Barbiepuppe. Doch selbst wenn die Gesetzesänderung richtig sein sollte, ist sie verbunden mit Gefahren. Diese Ausweitung des Rechts reicht sehr tief in Intimbeziehungen hinein. So bekunden die Befürworterinnen und Befürworter selber, dass die Verschärfung des Sexualstrafrechts vor allem im sogenannten Nahbereich Anwendung finden wird, wo in der Tat die meisten Übergriffe stattfinden, aber eben leider auch Hass, verletzte Gefühle und Missgunst zu finden sind. Die Gefahr, dass es zu Fehlanklagen kommt, Männer mithin aus Rache oder auch - Stichworte One night stand, Seitensprung, Sex mit dem Ex - aus Reue über den vollzogenen Akt angeklagt werden, ist klarerweise gegeben.

"Der Mund sagt nein und muß es sagen", so pries Rousseau die Zurückhaltung der Frau

Dass, wie Feministinnen an dieser Stelle einwenden, den meisten Klagen nicht stattgegeben wird und die Beweislast immer noch beim Opfer liegt, ist ein schwaches Gegenargument. Es ist bekannt, wie rufschädigend und zerstörerisch bereits eine Anklage wegen Vergewaltigung ist.

Der Satz "Nein heißt nein" suggeriert eine Eindeutigkeit, die in erotischen Situationen oft nicht gegeben ist. Mehr noch: Es liegt im Wesen der Verführung, dass sie sich auf der Grenze zwischen Ja und Nein abspielt. Der erste Kuss, die erste Berührung ist in gewisser Weise immer eine Überschreitung; es kann nie mit hundertprozentiger Sicherheit gesagt werden, dass die andere Person diese Transgression begrüßt.

Nun sehnt sich gewiss kein vernünftiger Mensch in eine Zeit zurück, in der die Vergewaltigung in der Ehe noch nicht strafbar war. Und doch gibt es einen Punkt, an dem sich das Intimleben nur noch mit hohen Einbußen gesetzlich regeln lässt. Der zuverlässigere Schutz vor Gewalt, den der Satz "Nein heißt nein" gewährleisten soll, wird nolens volens mit dem Preis einer paternalistischen Einmischung des Staates ins Privateste, den Sex, erkauft. An dieser Stelle wird die Janusköpfigkeit des "Nein heißt nein" deutlich sichtbar: Es stärkt zwar das Selbstbestimmungsrecht der Frau und also ihre Freiheit, bedeutet aber auch einen Verlust derselben.

Diese Ambivalenz des Nein, sein Schillern zwischen Autonomie und Fremdbestimmung, tritt auch in anderer, nämlich kulturhistorischer Sicht zutage. "Nein heißt nein": Wer diesen Satz in dem Glauben äußert, er sei ausschließlich stolzer Ausdruck weiblicher Autonomie, sollte sich darüber im Klaren sein, dass in Wahrheit auch das Patriarchat aus ihm spricht.

So ist die Koppelung von weiblicher Sexualität und Negativität - sei es in Form eines "Nein" oder "Nichts" - ein Topos, der unsere Kulturgeschichte seit jeher durchzieht. Der Aufklärer und Philosoph Jean-Jacques Rousseau etwa beschreibt in seinem Buch "Emile" sehr fein jene Technik, durch die sich das weibliche Subjekt herausbildet. Zentral für die bürgerliche Frau ist - Obacht, liebe Feministinnen und Feministen - ihre Fähigkeit des Neinsagens, der Widerstand gegen die Lust des Mannes. "Der Mund sagt nein, und muss es sagen", so Rousseau. "Zurückhaltung" und "Scham" der Frau stehen der "Kraft" des Mannes gegenüber, setzen seinem sexuellen Willen Grenzen. Sie "stößt ihn immer zurück und verteidigt sich", um ihn durch Koketterie im rechten Moment herauszufordern und zur Jagd zu animieren.

Die Psychoanalyse sprach der Frau eine eigene sexuelle Position gleich ganz ab

Aber eben natürlich nur im rechten Augenblick, ergo: beim Richtigen. Eine Frau, das wird Rousseau nicht müde zu betonen, die ihren sexuellen Appetit nicht zu zügeln weiß und schamlos Männer verschlingt, untergräbt die Grundfesten der Gesellschaft, "löst die Familie auf und bricht alle Bande der Natur". Was im Tierreich für das Weibchen der Instinkt ist - es lässt sich nur zu bestimmten Zeiten und zum alleinigen Zwecke der Fortpflanzung begatten ("sie nehmen keinen Fahrgast mehr auf, wenn das Schiff beladen ist", so Rousseau) - ist für die Frau die Kunst des Neinsagens.

"Thank you in advance, I don't wanna dance / I don't need your hands all over me" - vielen Dank, ich will nicht tanzen, ich will deine Hände nicht überall -, singt die Amerikanerin Meghan Trainor in ihrem jüngsten Song "No".

Darin offenbart sie auf traurige Weise die Wirkmächtigkeit des Rousseauschen Frauenbildes, das sich allein über das Nein definiert: "My name is no, my sign is no, my number is no" - Name, Zeichen, Nummer sind ein "Nein" - mehr Selbstverneinung geht nicht. Eine an das Ja gekoppelte Weiblichkeit gibt es in der patriarchal geprägten bürgerlichen Kultur entsprechend nur absolut und nur in zwei Varianten: Zum einen als pornografisches Phantasma, das einzig dazu dient, die männliche Macht zu spiegeln. Oder - sofern das Ja mehr und anderes ist als reine Unterwerfung - in pathologischer Ausprägung. "In der Erotik geht es darum, ja zu sagen", erklärt Joe, die selbstzerstörerische Nymphomanin in Lars von Triers Film "Nymphomaniac". Joe, gespielt von Charlotte Gainsburg, geht natürlich jämmerlich zugrunde an ihrer eigenen Lust.

Eine bejahende, begehrende, selbstbewusste, autonome weibliche Sexualität ist, um mit Michel Foucault zu sprechen, das "Unsagbare", "Ausgeschlossene", und zwar aus macht- oder biopolitischen Gründen, auch wenn diese gern ontologisiert werden, sprich, sich aus dem Wesen der Frau zu ergeben scheinen.

Der heutige Feminismus definiert sich noch immer über die Opferrolle

So unmöglich ist die sexuell begehrende Frau gesellschaftlich gesehen, dass ihr von einem kulturgeschichtlich wirkmächtigen Diskurs, der Psychoanalyse, jede eigene sexuelle Position abgesprochen wird. "La femme n'existe pas", behauptete Jacques Lacan: Die Frau gibt es nicht. Das weibliche Geschlecht ist das Abwesende, ein furchterregendes und peinliches Fehl. Die Frau hat ein Nichts zwischen den Beinen, aus dem nichts folgt, weder ein eigenes Begehren noch eine eigene Subjektivität.

Bezugspunkt für die Frau ist somit auf ewig der Phallus. Ihre angestammte Position ist eine rein auf den Phallus bezogene - was auch und insbesondere für Gina-Lisa Lohfink gilt, die bezeichnenderweise gerade zur Heldin der "Nein heißt nein"-Bewegung avanciert. Selbstverständlich bedarf es einer Verschärfung des Sexualstrafrechts, wenn ein Fall wie ihrer nicht vom bestehenden Paragrafen 177 gedeckt sein sollte. Dass sie nun zur feministischen Ikone erhoben wird, offenbart allerdings, wie sehr sich auch der heutige Feminismus noch über die patriarchal zugedachte Opferposition definiert.

Was bitte ist heldinnenhaft an einer Frau, deren oberstes Ziel darin besteht, Männern zu gefallen, wie bereits Rousseau vom Weib forderte? Die eine "Maskerade" der Weiblichkeit aufführt, weil sie glaubt, "gerade um dessentwillen, was sie nicht ist", wie Lacan schreibt, "begehrt und geliebt zu werden"? Im 21. Jahrhundert sollten sich Frauen nicht nur auf die schützende Hand von Vater Staat verlassen, sondern haben, um es mit Kant zu sagen, auch eine Pflicht gegen sich selbst. Auch Frauen sind verpflichtet, sich aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit zu befreien und die ihnen durch jahrhundertelangen Emanzipationskampf bereitgestellte Möglichkeit zu einer selbstbestimmten Existenz willentlich zu ergreifen - oder es zumindest ernsthaft zu versuchen.

Zu einer selbstbestimmten Existenz gehört, gegenüber jener althergebrachten problematischen Verbindung von Weiblichkeit und Negativität eine andere, neue, von Positivität getragene weibliche Position zu stärken. Eine solche Position ist eine, die sich weder darüber definiert, dass sie den Mann in seine Schranken weist, noch sich in blinder Bejahung des männlichen Begehrens selbst aufgibt; beides sind lediglich die zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Es reicht nicht, sexuelle Selbstbestimmung vom Gesetzgeber zu fordern. Autonomie muss auch gelebt werden.

Svenja Flaßpöhler ist Philosophin, Publizistin und stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift "Philosophie Magazin". Zuletzt erschien von ihr das Buch "Verzeihen" (dva).

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