Christliche Fundamentalisten:Liebe geht durch den Stock

Schläge müssen weh tun: Kindererziehung mit dem Rohrstock hat in fundamentalchristlichen Kreisen Konjunktur - schließlich steht das so in der Bibel.

Florian Götz und Oliver Das Gupta

Das Schlagen von Kindern ist in Deutschland gesetzlich verboten.

Golden Globe für deutschen Film 'Das weiße Band'

"Wenn Sie sich auf das Kind  setzen müssen, um es zu versohlen, dann zögern Sie nicht": In Michael Hanekes Film "Das weiße Band" sind die Kinder des evangelischen Pfarrers körperlichen Züchtigungen ausgesetzt.

(Foto: dpa)

Seit 1998 steht im Bürgerlichen Gesetzbuch, dass entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Misshandlungen, verboten sind. Im Jahre 2000 wurde darüber hinaus festgelegt, dass Kinder "ein Recht auf gewaltfreie Erziehung" haben. "Körperliche Bestrafung, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig".

Da aber widersprechen sich Gesetz und Glaube, und so gibt es unter strenggläubigen Christen eine heimliche Kultur des Prügelns. Nicht nur mit der Hand, sondern mit der Rute. Denn: "Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn bald" heißt es in der Bibel (Sprüche 13,24). Und "Rute und Strafe gibt Weisheit; aber ein Knabe, sich selbst überlassen, macht seiner Mutter Schande." (Sprüche 29,15). Die Eltern, die diesen Worten folgen, gehören Glaubensgemeinschaften wie den evangelikalen Freikirchen und den Zeugen Jehovas an, welche die Bibel wörtlich nehmen, und in denen Zweifel am Wort Gottes als Einflüsterungen Satans gelten.

Wie viele Kinder regelmäßig mit der Rute geschlagen werden, lässt sich nicht feststellen. Denn anders als bei Misshandlungen durch Erzieher oder Priester sind Kinder selten bereit oder in der Lage, ihre Väter und Mütter anzuklagen.

"Mir fällt es schwer darüber zu schreiben und ich möchte anonym bleiben, da ich meine Eltern nicht in Schwierigkeiten bringen möchte", berichtet zum Beispiel eine ehemalige Zeugin Jehovas, die dann von Narben erzählt, die ein Bambusstab hinterlassen hat, mit dem Vater und Mutter "immer wieder zugehauen" haben. "Ich kann mich noch genau erinnern als ich mit einer Drei nach Hause gekommen bin. Jedenfalls war ich eine Woche Zuhause und konnte nicht auf dem Rücken liegen und nicht sitzen. Da alles blau geschlagen worden ist."

Aussteigern zufolge wurden Jehovas Zeugen in der Vergangenheit sogar ermahnt, ihre Kinder zu schlagen. "Es wurde als biblische Verpflichtung betrachtet. Heute wird das zwar nicht mehr so direkt gesagt, aber das Schlagen von Kindern wird nirgendwo verurteilt", erzählt ein Betroffener. "Stattdessen wird angedeutet, dass es durchaus manchmal notwendig sei." Andere Aussteiger werden direkter: "Jeder schaut zu und keiner unternimmt etwas gegen die sogenannten Züchtigungen. Der Großteil der Zeugen schlagen oder verprügeln ihre Kinder." Aber: "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus."

Ähnlich wie bei den etwa 160000 Zeugen Jehovas in Deutschland kommt das Schlagen unter Berufung auf die Bibel auch in evangelikalen Freikirchen vor. In deren Gemeinden organisieren sich hierzulande deutlich mehr als eine Millionen Menschen. Für diese Glaubensgemeinschaften ist die Bibel die höchste Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung.

Anleitung zur Züchtigung

Natürlich schlagen nicht alle Eltern in diesen Gruppen ihre Kinder. Aber "es ist in den evangelikalen Freikirchen weitgehend akzeptiert", berichtet ein Aussteiger, der selbst Zeuge solcher Misshandlungen wurde. "Es findet sogar immer größeres Interesse, auch wenn das nach außen vertuscht wird. Wenn man Kinder hat, wird man da von den Ältesten richtig eingeführt. Vor allem wenn die Erziehung ,nicht funktioniert'."

Wie man einen Knaben gewöhnt

Sektenbeauftragte und Betreuer von Aussteigern bestätigen die Beobachtung. "Dieses Verhalten ist weiter verbreitet, als man denken mag", erklärt Axel Seegers, Sektenbeauftragter der katholischen Kirche in der Erzdiözese München und Freising. Ihm zufolge gibt es "Hinweise darauf, dass es auch in manchen katholischen Gemeinden vorkommt".

Anleitungen zur Züchtigung des Nachwuchses finden Mitglieder der evangelikalen Freikirchen in zwei "Erziehungsratgebern". Die Autoren sind evangelikale Fundamentalisten in den USA. Und auch wenn keine Zahlen über Kindesmisshandlungen zu bekommen sind - die Verbreitung dieser Werke lässt die Häufigkeit erahnen: Etwa 4000 Exemplare von "Wie man einen Knaben gewöhnt" und dessen Nachfolgebuch von Michael und Debi Pearl hat die Europäische Missionspresse in Heidelberg in den vergangenen drei Jahren verkauft.

Das Buch enthält ausdrückliche Anweisungen, wie Kinder zu schlagen sind: "Wenn es Zeit wird, die Rute anzuwenden, atmen Sie tief ein, entspannen Sie sich, beten Sie: ,Herr, lass das eine wertvolle Lektion werden. . . Reißen Sie Ihr Kind nicht herum. Erheben Sie Ihre Stimme nicht. Das Kind sollte die Rute an Ihrem ganzen ruhigen, überlegten und beherrschten Geist kommen sehen. . . Wenn Sie sich auf das Kind setzen müssen, um es zu versohlen, dann zögern Sie nicht. Und halten Sie es solange in dieser Stellung, bis es aufgegeben hat. . . lassen Sie das Kind sich an einem Sofa oder einem Bett vornüber beugen; und während es in dieser Position steht, geben Sie ihm einige Ermahnungen. . . Ich finde fünf bis zehn Schläge meistens genug. Manchmal bei älteren Kinder, wenn die Schläge nicht kräftig genug sind, ist das Kind noch aufmüpfisch. Wenn das der Fall ist, nehmen Sie sich Zeit zum Erklären und versohlen Sie weiter. Hören Sie mit Ihrer Disziplin nie auf, bevor das Kind sich ergeben hat."

Als "Instrumente der Liebe" bezeichnen die Autoren die Rute, und empfehlen, niemals mit der Hand zu schlagen, denn das sei ein Ausleben elterlicher Frustration. Und "um effektiv die Erziehung zu unterstützen, müssen Schläge Schmerzen verursachen, aber der größte Schmerz wird an der Oberfläche der nackten Haut gespürt, wo sich die Nerven befinden. Ein Oberflächenbrennen wird genug Schmerz vermitteln ohne Verletzung oder blauen Fleck. Wählen Sie Ihr Instrument der Größe des Kindes entsprechend. Für die unter Einjährigen genügt ein kleiner, 20 bis 30 cm langer Ast (von dem alle Knoten entfernt wurden, die in die Haut einschneiden könnten) mit einem halben Zentimeter Durchmesser. Manchmal muss nach Alternativen gesucht werden. Ein 30 cm Lineal wäre eine solche Alternative. Für ein älteres Kind ist ein Gürtel oder ein größerer Ast effektiv." (Schreibfehler aus dem Original übernommen, d.Red.)

Fast zynisch klingt es, wenn die Autoren betonen, Kinder dürften nicht misshandelt werden. Die Rute, so schreiben sie, sollte nicht Ablassventil für den Ärger der Eltern sein. Vielmehr sei sie "das Haupthilfsmittel der Eltern, den Kindern das Gericht Gottes zu verdeutlichen - und später die Gnade Gottes". Durch die Anwendung der Rute würden die Kinder ihre Verantwortlichkeit vor Gott verstehen. Und wenn "nicht jede Übertretung, Aufmüpfigkeit und Gemeinheit behandelt werden wie Gott Sünde behandelt, wird das Weltbild des Kindes falsch sein."

Im zweiten Ratgeber "Eltern - Hirten der Herzen" stellt US-Pastor Tedd Tripp klar: "Wenn dein Kind nicht gehorcht, muss es diszipliniert werden", und meint damit den Einsatz der Rute. Ganz pädagogisch empfiehlt Tripp, nach der "Disziplinierung" sollte man das Kind auf den Schoß nehmen und umarmen. Und "wenn das Disziplinieren nicht die Frucht des Friedens und der Gerechtigkeit hervorgebracht hat", erklärt Tripp dem geprügelten Nachwuchs: "Wenn nötig, müssen wir noch einmal nach oben gehen." Eltern, die Angst haben, angezeigt zu werden, empfiehlt Tripp: "Wenn Großeltern oder andere Verwandte gegen körperliche Züchtigung eingestellt sind, sollte man dafür sorgen, dass sie nicht in ihrem Beisein geschieht."

"Es tat so weh"

Manche Leser des Buches kommentieren seine Empfehlungen im Internet begeistert - und weisen darauf hin, dass der Gebrauch der Rute ja nicht als Gewaltakt zu sehen sei. Schließlich sagt der Autor eindeutig, dass man nicht nach Lust und Laune auf die Kinder eindreschen dürfe - oder aus den falschen Gründen.

Dressur über Schmerz und Angst

Beim Deutschen Kinderschutzbund ist man entsetzt über die christlich-fundamentalistischen Ratgeber. Als "Anleitung zur Kindesmisshandlung und -entwürdigung" bezeichnet Bundesgeschäftsführerin Paula Honkanen-Schoberth das Buch "Wie man einen Knaben gewöhnt". Außerdem verstoße das, was dort empfohlen wird, gegen den Paragraphen 1631 BGB. Mit der Rute würden Kinder kleingemacht und ihr Selbstwertgefühl und -bewusstsein geschädigt. Diese Misshandlungen können auch "zu Isolation, psychischen Störungen und sogar zum Suizid führen."

Auch den Hirnforscher Gerald Hüther von der Universität Göttingen gruselt es bei der Lektüre des Werkes der Eheleute Pearl. "Was in diesem Buch empfohlen wird, ist eine Dressur über Schmerz und Angst. Wenn man so den Willen der Kinder bricht, dann erzeugt man willige Werkzeuge", erklärt der Wissenschaftler. "Auf diese Grundlage stützen sich überhaupt autoritäre Systeme. Auch die Nationalsozialisten konnten auf die Konsequenzen autoritärer Erziehungsstrategien aufbauen."

Vertreter evangelikaler Organisationen und Einrichtungen reagieren zurückhaltend auf Fragen nach der Verbreitung und Legitimität der Bücher. "Einige Eltern rechtfertigen körperliche Züchtigung mit der Bibel, andere schlagen eher aus Hilflosigkeit und noch andere setzen ihren Kindern keine Grenzen, weil sie nicht schlagen wollen und kein anderes Erziehungsmodell kennen", sagt Helmut Wegner, Leiter des Kinderheims Elisabethstift in Berlin, einer Jugendhilfeeinrichtung im Diakonischen Werk. Die private Stiftung steht der evangelikalen Szene in Deutschland nahe. "Ich befürchte, dass einzelne Bibelstellen aus dem biblischen Zusammenhang herausgerissen werden und dadurch eine Fehldeutung erleben." Doch "der ,Geist' des Neuen Testamentes rechtfertigt meines Ermessens nach keinerlei körperliche Züchtigung!"

Wilhelm Faix, Vorsitzender der Konferenz Bibeltreuer Ausbildungsstätten (KBA), ist mit dem Inhalt von "Eltern - Hirten der Herzen" vertraut. Empfehlen würde er es nicht - obwohl sich darin "auch sehr gute Ausführungen" fänden, die man nicht völlig unterschlagen sollte. Vielmehr müsste man sich mit dieser Pädagogik kritisch auseinandersetzen. "Die Berufung auf die Bibel, mit der Rute zu züchtigen, setzt ein bestimmtes hermeneutisches Schriftverständnis voraus, dem ich so nicht zustimmen kann, obwohl ich auch eine evangelikale Theologie vertrete."

Auch wenn angeblich aus Liebe geschlagen wird, sollte sich kein Vater und keine Mutter wünschen, dass ihre Kinder in Aussteigerforen einmal klagen: "Es tat so weh, immer diese ständige Angst vor den Prügelorgien haben zu müssen!"

P.S.: Nach dem Hinweis der Autoren hat der Deutsche Kinderschutzbund die Indizierung des Buches "Wie man einen Knaben gewöhnt" durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien beantragt. Das Buch ist inzwischen indiziert. Entsprechende Schritte werden auch gegen "Eltern - Hirten der Herzen" geprüft.

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