Erzählungen:Erdbeben, Vierteljobs und junge Frauen

Erstmals ist die italienische Autorin Veronica Raimo auf Deutsch zu entdecken. Ihre Erzählungen kreisen um die Beziehung zwischen Vater und Tochter, wobei das Frauenbild verblüfft.

Von Maike Albath

Erzählungen: Veronica Raimo: Eines Tages alles dir. Erzählungen. Aus dem Italienischen von Suse Vetterlein. Verlag Launenweber, Köln 2017. 158 Seiten, 20 Euro

Veronica Raimo: Eines Tages alles dir. Erzählungen. Aus dem Italienischen von Suse Vetterlein. Verlag Launenweber, Köln 2017. 158 Seiten, 20 Euro

In diesen Erzählungen geht es vor allem um drei Dinge: Sex, Alkohol und Väter. Eine etwas bizarre Kombination, könnte man denken, aber sie hängt mit dem postpubertären Zustand der Hauptfiguren zusammen. Es handelt sich um junge Frauen, die gerade erst ihrem Zuhause entwachsen sind, labile Beziehungen und künstlerische Ambitionen pflegen. Unter den sechs Heldinnen der sechs Kurzgeschichten befinden sich eine Ballerina, eine Schriftstellerin, eine Fotografin und eine Filmregisseurin. Während sich die Liebesbeziehungen allesamt durch Instabilität auszeichnen, bleiben die Patriarchen im Hintergrund eine feste Größe. Mütter kommen, wenn überhaupt, nur am Rande als keifende Spielverderberinnen oder nervige Verkörperungen des Realitätsprinzips vor. Alle sechs Geschichten sind nicht zuletzt Erkundungen des Phänomens "junge Frau".

Die Autorin, die Römerin Veronica Raimo, ist aber keine späte Wiedergängerin der jungen Judith Hermann, sondern fast vierzig. Sie hat bereits zwei Romane publiziert, außerdem hier und da Kurzgeschichten und Zeitungsartikel, hat in Berlin studiert, als Übersetzerin und Co-Drehbuchautorin gearbeitet. Auf Deutsch ist Veronica Raimo zum ersten Mal zu entdecken, und zwar mit einem Band, der in Italien gar nicht erschienen ist. Es handelt sich um eine Originalausgabe des kleinen Kölner Verlags Launenweber, der tatsächlich "Launen" vermitteln will und seinen Namen und sein Programm von dem Webervogel und dessen tragfähigen Nestern herleitet. Was eine Spur prätentiös anmutet, hat bei diesem Band in der griffigen Übersetzung von Suse Vetterlein immerhin einige lesenswerte Erzählungen hervorgebracht.

Eine der gelungensten heißt "Hundstage". Sie handelt von einer jungen Fotoreporterin, die noch als Erwachsene wie eine Schutzbefohlene ihres Vaters wirkt, sich von einem Provisorium in Kasachstan zu schlecht bezahlten Aufträgen in Mexiko und einem Vierteljob in Chicago hangelt und jede Art von Festlegung vermeidet. Nun kehrt sie im heißen Monat August nach Rom zurück, um ihren Vater zu beerdigen, und vielleicht lassen sich die merkwürdigen Leerstellen in ihrem Leben jetzt auffüllen. In einer anderen Erzählung sind es ausgerechnet die nervenaufreibenden Aufträge einer alten Nachbarin - Einkaufen, Behördengänge, Arzttermine -, die bei einer Nachwuchsschriftstellerin einen Kreativrausch auslösen.

Das gesamte Personal ist auf Hochprozentiges abonniert, und überhaupt klingt häufig eher Amerika statt Italien als Hallraum an. In einer dritten, auch vom Rhythmus gut strukturierten Geschichte wird ein Erdbeben zu einer reinigenden Kraft. Wieder stellt sich zwischen Vater und Tochter eine enge Komplizenschaft her. Verblüffend ist mitunter das Frauenbild, das mehr mit Lust an der Unterwerfung als mit weiblicher Autonomie zu tun hat.

Im Tonfall erinnern die Geschichten, die an zwei, drei Stellen in der perspektivischen Gestaltung noch ein bisschen haken, an die lapidare erzählerische Tradition von Raymond Carver oder Alice Munro, die in Italien unter Jungschriftstellern wohl auch deshalb viele Nachahmer fanden, weil sich mit ihnen Befreiungsschläge gegen den Zwang der "bella pagina", der eleganten, durchkomponierten Prosa führen ließen. Bei Raimo gibt es Schimpfwörter, schnittige Dialoge und viele Anspielungen auf US-Rock und Pop.

Leider hat der Verlag den Titel des schön aufgemachten Bändchens verhunzt: "Eines Tages alles dir" lautet er in komplett erratischem Deutsch. Übernommen wurde er von einer der Geschichten, die im Original "Un giorno tutto questo sarà tuo" heißt. Warum daraus nicht einfach "Eines Tages wird alles dir gehören" wurde, bleibt ein Geheimnis.

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