Erste Favoriten in Venedig:Es-könnte-Liebe-sein-Filme

Kaum hat, nach Woody Allens spektakulärem Eröffnungsauftritt, der Ernst des Wettbewerbs begonnen, schon zeigen sich erste Anwärter auf einen der hübschen goldenen Preis-Löwen in Venedig.

Die ersten Preis-Anwärter sind da: Jacques Doillons "Raja" etwa - ein wunderbar tragikomischer, gefühlsverzwickter und herzzerreißender, in aufblühenden Scope-Bildern unter marokkanischer Sonne gedrehter Es-könnte-Liebe-sein-Film.

Erste Favoriten in Venedig: Das machen wir jetzt einfach noch einmal, obwohl es so aussehen könnte, als wolle sueddeutsche.de das Venedig-Filmfest zu Salma Hayek-Festwochen erklären: Wir zeigen also erneut die Mexikanerin auf dem Catwalk und nicht die Regisseure und Hauptdarsteller der hier besprochenen Filme. Warum wir das tun? Nur so.

Das machen wir jetzt einfach noch einmal, obwohl es so aussehen könnte, als wolle sueddeutsche.de das Venedig-Filmfest zu Salma Hayek-Festwochen erklären: Wir zeigen also erneut die Mexikanerin auf dem Catwalk und nicht die Regisseure und Hauptdarsteller der hier besprochenen Filme. Warum wir das tun? Nur so.

(Foto: Foto: dpa)

Geht's um Geld oder um wahre Gefühle, um Sex oder um Liebe? Diese alte, immer neue Geschichte von den vertrackten, unauflösbaren Verschlingungen der niedersten und der edelsten Motive: ",Geld'", sagt Doillon, "wäre ein guter Titel gewesen, aber es gibt schon Bressons Film." Fred (Pascal Greggory), 50, hat Geld und ein herrliches Anwesen mit Pool und Palmen und zwei alten, drolligen Köchinnen, die ihn wie Mamis umhegen und umsorgen und also vor Raja warnen: "Sie hat es nur auf dein Geld abgesehen." Die herb-schöne Raja ist zwanzig, arm, Prostituierte, die sich ihr Geld nun mit ehrbarer Arbeit als Freds Hausgehilfin verdienen will. Zwischen dem gefühlsverschlossenen Franzosen und der jungen Marokkanerin entfaltet sich ein wildbewegter Reigen von Begehren und Misstrauen, von aufrichtiger Verliebtheit und tragischen Entfremdungen, der vor allem vom Spiel der Raja-Darstellerin Naja Bensallem lebt, von ihren aufbrausenden, kindlich-naiven, dann wieder fremd-verführerischen Gesten.

Für Doillon, der auch das Buch verfasst hat, ist die Interpretation, die Verkörperung der Figuren und Schicksale das Glück des Filmemachens. Er bastelt keine Bilder, er liebkost seine Darsteller mit der Kamera. Ihn interessieren die Augenblicke, in denen Behauptungen in Zweifel gezogen werden, in denen Gefühle, die sonnenklar scheinen, sich verschatten und in ihr Gegenteil wenden.

So entstehen Szenen, die derart reich an Zwischentönen sind, wie man das nur vom französischen Kino in seinen besten Momenten kennt; Szenen, in denen sich Charakter- und Gesellschafts-Bild, Landschaften und Launen des Augenblicks zu spannungsreichen Akkorden fügen. Irgendwann hat man die Figuren derart ins Herz geschlossen, dass man sich wünscht, der Film - der ja Groschenroman-Motive ins Spiel bringt: reicher Mann, die Prostituierte auf der Suche nach Ehrbarkeit - möge mit einer märchenhaften Hochzeit enden. Aber das Kino ist bei Doillon keine Wunscherfüllungsmaschine. Doillon, Jahrgang 1944, ist ein Nachzügler der Nouvelle Vague. Er schuf sein mittlerweile recht umfangreiches Œeuvre von fast 40 Filmen unter den Fittichen Truffauts und Rohmers und radikalisiert mit jeder neuen Arbeit das Nouvelle-Vague-Motto: Unsere Filme müssen so intim und persönlich sein wie ein Bekenntnis oder Tagebuch.

Seit Jahren macht man den Filmfestivals von Cannes und Venedig den Vorwurf, dass da, grob gesagt, eine Clique alter Herren sich versammle, um am Lagerfeuer den großen Zeiten des europäischen Autorenkinos nachzutrauern. Verjüngung wird gefordert, Generationenwechsel. Aber: Wie soll das gehen? Der emphatische Begriff von Jugend ist gerade in Kunstdingen nicht biologisch datierbar. Wenn also der bald sechzigjährige Doillon einen Film macht, der um so viel jünger, das heißt feinfühliger, neugieriger und wagemutiger ist als das, was heutige junge Filmemacher zu bieten haben, dann gebührt ihm ganz zu Recht der Festivalauftritt. Natürlich haben Festivals ihre großen Zeiten, wenn sie zur Bühne für den Aufbruch neuer Filmemacher-Generationen werden. Das war so beim italienischen Neorealismus, bei der Nouvelle Vague, dem Neuen Deutschen Film, den Dogma-Dänen. Aber solche Aufbrüche kann man nicht planen. Der Kern ihrer schöpferischen Potenz bleibt ein Mysterium, das sich in einem bloßen Willensakt nicht herbeizaubern lässt.

Immerhin ist dieses Jahr am Lido, in der "Woche der Kritik", der Erstlingsfilm einer vierzehnjährigen iranischen Regisseurin zu sehen: Hana Makhmalbafs "Joy of Madness". Mit der Videokamera beobachtet Hana ihre 22-jährige Schwester Samira bei deren Dreharbeiten zu "Panj e asr - At Five in the Afternoon", diesem poetisch-satirischen Film, der von einer jungen Frau in Kabul erzählt, die sich entschließt, für das Präsidentschaftsamt zu kandidieren, und der dieses Jahr in Cannes preisgekrönt wurde. Hana beobachtet Motivsuche und Casting für den Film, beginnt mit Beobachtungen, die zuerst banal und beliebig erscheinen, aber schnell zu einer spannenden Reflexion übers Filmemachen werden. Schwester Samira zeigt sich als energische Filmemacherin, die weiß, was sie will, die ihre Darsteller-Kandidaten umschmeichelt, überredet, verführt und hartnäckig ihren Visionen folgt. Eine Dokumentation, die sich unversehens in ein komödiantisch-schillerndes Intrigenspiel verwandelt und zugleich in eine geduldige Suche nach dem, was die neueren iranischen Filmemacher wie Abbas Kiarostami oder Moshen Makhmalbaf (Hanas und Samiras Vater) umtreibt: die Authentizität der Darstellung. "Joy of Madness" ist bedeutend mehr als ein hermetisches familiäres Home Movie: In Hanas unbefangen neugierigem, erfrischend direktem Blick offenbart sich ein neues, vielversprechendes Erzähltalent.

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