Eröffnungsfilm:Ein improvisiertes Leben

Django

Überleben im besetzten Paris: Django Reinhardt (Reda Kateb).

(Foto: Berlinale)

Der Wettbewerb eröffnet mit "Django", einer seltsam graugetönten Filmbiografie des Jazzgitarristen Django Reinhardt.

Von Susan Vahabzadeh

Wenn jemals ein Film als Gegenentwurf zu "The Sound of Music" inszeniert wurde, dann muss es "Django" sein, der in diesem Jahr die Berlinale eröffnet hat. Beide Male geht es um Musiker, die vor den Nazis fliehen, über die Berge, in die Schweiz - nur ist in "Django" der Himmel immer grau, die Wiesen sind braun, und aus dem See steigt feuchte Kälte auf. Der Unterschied hat natürlich mit der Zeit zu tun, in der die Geschichten erzählt wurden. Für Robert Wise, 1965, war die Flucht der Trapp-Familie ein Aufbruch in bessere Zeiten, in "Django" aber gibt es keinen Silberstreif und keine Hoffnung, obwohl doch völlig klar ist: Sein Held, der legendäre Jazzgitarrist Django Reinhardt, wird den Krieg überleben. Wenn das ganze Weltkino derzeit so apokalyptisch gestimmt ist wie dieser Film, kann der diesjährige Wettbewerb der Berlinale noch, wie man so sagt, heiter werden.

Der Jazz galt den Nazis als "entartete" Kunst, die falschen Leute hatten ihn erfunden, und man spürt beim Zuhören auch, warum: Er ist das Stückchen Freiheit, das sich die Unterdrückten nehmen - und so war es vielleicht ganz naheliegend, dass Reinhardt gleich infiziert war, als er Ende der Zwanzigerjahre seine ersten Jazzplatten hörte. "Django" setzt viel später ein - 1943, Reinhardt (Reda Kateb) lebt in Paris und ist mit seinem Quintett schon der Star im "Hot Club". Nur ist Paris von der Wehrmacht besetzt, und an den Wänden des Saals hängen Schilder: Tanzen verboten. Was aber nichts nützt, wenn Django, sein Bruder Joseph und die anderen auf der Bühne immer schneller, immer energetischer spielen. Bald gibt es Ärger, der Kommandant wünscht sich Django in Ketten.

Der Regisseur Etienne Comar zeichnet seinen Helden tatsächlich als Eingesperrten. Reinhardt war Manusch, französischer Sinto, und wäre er an der Gitarre nicht so brillant, würden er und seine Frau Naguine deportiert werden. Allerdings hält ein deutscher Offizier, den die Musiker hinter seinem Rücken Dr. Jazz nennen, seine schützende Hand über ihn. Dann aber soll Reinhardt nach Deutschland reisen, angeblich, um vor Goebbels zu spielen. Seine Geliebte, die Belgierin Louise de Klerk (Cécile de France), hält das für viel zu gefährlich - also haut Django stattdessen ab in Richtung Schweiz, mit seiner Frau und seiner Mutter, und wartet dort darauf, dass die Familie über die Grenze entkommen kann. Bis im naheliegenden Lager der Roma schon die Wohnwagen brennen.

Etienne Comar ist ein später Regiedebütant, er hat bislang produziert und Drehbücher geschrieben, für den Film "Von Menschen und Göttern" beispielsweise, zusammen mit Xavier Beauvois - da kamen Mönche in Algerien in Bedrängnis. "Django" ist nun, von den Musikszenen einmal abgesehen und dazu im krassen Gegensatz, ein Bekenntnis zur Langsamkeit - es gibt keine Vorgeschichte, und die Tatsache, dass die Flucht nicht gelingt, kommt auch nicht vor, nur das Warten und das Spielen. Das trägt nur leider keinen ganzen Film - die Längen häufen sich, Szenen, in denen nichts passiert, und die auch sonst wenig beizutragen haben. Es gibt kaum Filme, die vom Schicksal der Sinti und Roma während des Holocaust erzählen, aber außer Djangos schrulliger Mutter Negros, die den Jazz mit jeder Faser ihres Körpers zu lieben scheint, bleiben die meisten Figuren Skizzen, selbst die Familie, die in der ersten Szene des Films im Wald erschossen wird. Oder Naguine: Einmal lässt Django sie Holz sammeln, steht daneben und deutet auf die Äste, die sie übersehen hat. Was das über ein Paar sagen soll, in dem sonst sie ansagt, bleibt ein Mysterium.

"Django" ist über weite Teile dennoch ganz schön - immer dann nämlich, wenn die Musik die Erzählung dominiert, sich etwa eine Nazi-Party in eine Orgie verwandet. Oder in der Szene, wo Dr. Jazz Django im Plattenstudio vollquatscht, und hinter ihnen sitzt ein Trompeter mit Unschuldsmiene und erzeugt mit seinem Dämpfer ein wunderbar gedehntes "Waaaahm", das wie Hohngelächter klingt.

Ach, überhaupt: Das ganze Spiel ist Anarchie, und manchmal sind der Django auf der Bühne und der, der zu jedem Auftritt zu spät kommt, ganz im Einklang. Dieser Künstler improvisiert so fantastisch auf der Gitarre, weil er die ganze Zeit improvisiert, sein ganzes Leben, von Augenblick zu Augenblick. Und dann ist die Musik wieder vorbei, und wir sind wieder allein mit der Stille der Schweizer Nacht und mit Django, der sich langsam wirklich zu fürchten beginnt.

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