Eröffnung der Salzburger Festspiele:Doppelter Todesboden

Mit Bernhards "Ein Fest für Boris" und "Jedermann" sind die Salzburger Festspiele eröffnet worden. Inszenatorisch konnte nur der größere Klassiker überzeugen - und Marie Bäumer begeisterte als kesse, frische Buhlschaft.

Christopher Schmidt

Glockengeläut, spooky ,,Jeedermaaaann''-Rufe und Süßsaures vom Blech gehören rituell zur Festspiel-Folklore, die Sargnägel dagegen hat erst Regisseur Christian Stückl ins ,,Jedermann''-Getriebe gestreut, als er das fromme ,,Spiel vom Sterben des reichen Mannes'' 2002 umbettete, um es neu zu beleben. Der Tenor seiner Überarbeitung - das ist das harte, metallische Stakkato der Schläge, mit denen Jedermanns Sarg zugenagelt wird. Ein Weckruf für das von Weihrauch und Schalmeien eingelullte Stück.

Bäumer Buhlschaft Salzburger Festspiele Jedermann dpa

Pflückt sich die Männer wie überhängendes Obst: Marie Bäumer ist eine neue, frische Buhlschaft.

(Foto: Foto: dpa)

Dabei hat Stückl das altertümelnde Mysterienspiel Hugo von Hofmannsthals durchaus nicht mit dem Hammer auf Schmerzstellen und neuralgische Punkte hin abgeklopft. Im Gegenteil: Gerade in diesem Jahr, in dem er seine Inszenierung gründlich durchgeputzt hat, ist sie konsequenter, ausgefeilter, auch puristischer geworden, weil Stückl auf umstandskrämerisches Requisitengefuchtel weitgehend verzichtet und die wuselnden Reihen der Komparserie situationsbezogener ordnet.

Alter Sargnagel

Es beginnt wie bereits in den Vorjahren mit der Moritat vom ,,Jedermann'' als naives Stück im Stück, bevor die wimmelnden Kinder von Gott selbst von der Bühne gescheucht werden. Peter Fitz spielt ihn mit Kippa und Nickelbrille als gütigen jüdischen Sandler.

Stückls stärkster Regie-Eingriff ist, dass er als sein eigener Reformer die allegorische Figur des Glaubens nun ganz gestrichen und ihre Texte auf Gott, Teufel und Gute Werke verteilt hat. Der Schluss gewinnt dadurch an Schärfe, zumal es jetzt der Teufel selbst ist, der Jedermann die Gretchen-Frage stellt: ,,Glaubst du an Jesu Christ, / Der von dem Vater kommen ist?'' Inszenatorisch ist dieser der wohl beste ,,Jedermann'', den Salzburg gesehen hat.

Was man leider von den zum Teil neu besetzten Schauspielern nicht sagen kann: Seit fünf Jahren wird Peter Simonischek in den Sarg genagelt, um im nächsten Sommer bestens erholt wieder den Deckel aufzuklappen. Gut, ,,Jedermann'' ist kein Stück der nuancierten Charakterkunst, aber die schwartige Selbstzufriedenheit des Domplatzhirschen Simionischek ist auf die Dauer auch eine Art Frevel. Er spielt einen feisten Mittelständler, dem nicht Tod und Teufel, sondern nur die Steuerfahnder im Nacken zu sitzen scheinen. An so viel ungebrochener Saturiertheit geht die feine Ironie zuschanden, mit der Elisabeth Trissenaar Jedermanns Mutter ausstattet. Statt der besorgten Glucke spielt sie eine gealterte Reprise der Buhlschaft, die sie hier Ende der achtziger Jahre war und die zurückkehrt, um dem Schwerenöter mit subtilen Sticheleien seine Lächerlichkeit vor Augen zu führen.

Naturkind voller Sinnlichkeit

Während Clemens Schick, im Zombie-Grau der Halbverwesung, seine Rolle aus dem letzten Bond-Abenteuer ,,Casino Royale'' fortsetzt - ein Croupier des Todes, der dem Jedermann klar macht, dass in seinem Lebensspiel nichts mehr geht -, ist Marie Bäumer als neue Buhlschaft ein kesser Wildfang von größter Natürlichkeit und Schönheit. Radschlagend und die Röcke ihres apricotfarbenen Kleides lüpfend, pflückt sie sich die Männer wie überhängendes Obst.

Kein blondes Gift, sondern ein lebenslustiges Naturkind von einer Sinnlichkeit, die kein Schnürmieder braucht. Selbst zuletzt, wenn sie ihren Jedermann im Stich lässt, klingt es, als würde sie versöhnliche Fernseh-Sätze sagen: ,,Lass mir Zeit'' und ,,Wir wollen Freunde bleiben''. Teufel und Guter Gesell wurden schon in den Vorjahren vom selben Schauspieler dargestellt, jetzt ist man einen Schritt weiter gegangen und macht daraus eine einzige Figur.

Richtig gefährlich wäre das aber nur, wenn nicht nur der Gute Gesell ein Teufel wäre, sondern der Teufel zugleich ein Guter Gesell. Doch Sven-Eric Bechtolf erspielt sich das Zottelfell, auf den sein Kostüm zugunsten der Ledermontur eines Motorradrockers verzichtet, mit satanischer Verve zurück. Mit Kinderschreck-Grimassen gibt er die Höllenknallcharge vom Rummelplatz und wurde für sein Outrage mit dem größten Applaus bedacht. So ist Salzburg.

Lesen Sie auf der folgenden Seite, warum Bernhards "Anti-Jedermann" in Salzburg nicht funktionieren konnte.

Doppelter Todesboden

,,Wenn es eine Hölle gibt, so ist hier das Modell'', und ,,die Festlichkeiten täuschen über diese Hölle weg'', schrieb Thomas Bernhard 1959 über Salzburg. Die Stadt sei ,,von zwei Menschenkategorien bevölkert, von Geschäftemachern und ihren Opfern'', heißt es dann in Bernhards autobiographischer Erzählung ,,Die Ursache'' aus dem Jahr 1975.

Zahnlos statt beinlos

Die Gleichursprünglichkeit seines Hasses auf die Vaterstadt und seiner Zuneigung zu den Verkrüppelten hat Bernhard dort ausführlich ausgebreitet: Salzburg, das ist die ,,perverse Schönheits- als Verlogenheitsmaschine'', ein ,,architektonischerzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischer Todesboden'', wo der Internatszögling Bernhard nur für einen verkrüppelten Mitschüler Zuneigung empfand, weil dessen sichtbares Unglück seinem eigenen unsichtbaren entsprach. Und weil sie beide an Salzburg gefesselt waren.

Als er dies schrieb, hatte er seine Beschimpfungsrhetorik allerdings schon zur automatischen Foltermaschine perfektioniert, anders als in seinem ersten abendfüllenden Stück ,,Ein Fest für Boris'', das er Ende der sechziger Jahre im Auftrag der Festspiele schrieb, von denen es dann aber nicht angenommen wurde. Christiane Pohle versuchte sich nun an der Rehabilitierung dieses ,,Anti-Jedermann'', der eine Festgesellschaft von lauter Beinamputierten versammelt, unter denen Boris unbemerkt verscheidet, obwohl er sich auf der Pauke seinen eigenen Todesmarsch trommelt.

Die Bühnenbildnerin Annette Kurz hat auf der Drehbühne ein Parkett verlegen lassen, das strahlenförmig von einem ausgerückten Mittelpunkt ausgeht und sich jenseits der kreisenden Scheibe fortsetzt. Allerdings gibt es eine Bruchkante, wo die Hölzer lose herumliegen, als habe sich ein Teil der Bühne irgendwann losgerissen wie eine Eisscholle. Darauf zirkuliert im Licht eines tief hängenden Lüsters der verwaiste Thron des Hausherrn, den die ,,Gute'' vor Jahren nebst ihren Beinen verloren hat, als man gemeinsam in einen Lichtschacht stürzte.

Die Drehbühne korrespondiert dem Plattenteller, auf dem die Gute, von ihrem Faktotum Johanna außerhalb geparkt, immer wieder verschiedene LP-Aufnahmen von Wagners Wesendonk-Liedern anspielt, als wären es ihre Botschaften an einen toten Liebesbriefkasten. Das erste Vorspiel des Stücks inszeniert Christiane Pohle als Anamnese der in sich verpanzerten Liebeskranken, die Viviane de Muynck spielt.

Doch die Regisseurin sentimentalisiert diesen Rumpf-Teil des Stücks, dem ihr alleiniges Interesse gilt. Obwohl Nadine Geyersbach die fast stumme Rolle der gedemütigten Johanna aller Liebes-Schlachthöfe aufwertet und zur Herausfordererin ihrer Peinigerin wird, versacken die Hassarien der Guten in den Polstern larmoyanter Gefühligkeit. Da nützen Johannas absatzklappernde Kontrapunkte wenig, um die Kummerkoloraturen zu akzentuieren.

Christiane Pohle findet keinen Zugang zu der sprachzentrierten Groteske; sie sympathisiert mit der Guten, die hier Krawallschachtel, Vettel und Gefühlskrüppel ist, aber keine böse Königin. Nach schleppendem Beginn zieht der Abend an, verliert aber den Faden, auch wenn nun Boris zum Zankapfel wird. Thomas Wodianka spielt ihn hospitalisierend im übergroßen Stahlrohrbett. Das Fest selbst erledigt die Regisseurin kurz und schmerzlos als Freakshow dreckig kichernder Zigarrenraucher im Sitzkreis zwischen Tischfeuerwerk und Balkan-Combo und hüpft nur noch durch den Text wie ein ungeduldiger DJ.

Boris' Tod wird groß ausgestellt als Suizid eines Verzweifelten, der sich aus seinem Sessel heraus zu Tode stürzt. So überinszeniert, bleibt der Schrecken klein. Bei Christiane Pohle haben zwar die Krüppel noch ihre Beine, dafür sind sie zahnlos. Kein Wunder, dass statt dreizehn nur sechs von ihnen den Weg in diese so elegisch leer drehende Inszenierung gefunden haben.

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