Ermittlungen im Krisengebiet:Der kaltherzige Ernährer, die liebende Verlassene

Vater, Mutter, Kind - herrlich als Familie. Aber wehe den Männern, wenn es zur Trennung kommt.

IJOMA MANGOLD

Feminismus war gestern, Patriarchat vorgestern. Heute begegnen sich Männer und Frauen auf Augenhöhe. Oder etwa nicht? In der Politik, im Job und in den Medien kehrt der Geschlechterkampf unter neuen Vorzeichen zurück. Eine Artikelreihe erkundet das aktuelle Krisengebiet. Dieser Beitrag rehabilitiert den alleinerziehenden Vater.

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Als es noch das FAZ-Magazin und damit jenen Fragebogen gab, den Marcel Proust "gleich zweimal in seinem Leben" ausfüllte, gab es zwei Fragen, die - egal ob von jung oder alt, Mann oder Frau, rechts oder links - zu achtzig Prozent in der selben Weise beantwortet wurden. Die erste lautete: Was ist ihr größter Fehler? Von fünf Befragten antworteten vier mit: Ungeduld. Die Erbärmlichkeit, nur das als Fehler einzugestehen, was die Leistungsgesellschaft in Wahrheit am höchsten prämiert - die immerwährende Produktivität, die schöpferische Rastlosigkeit, bei der die mittelmäßigeren Naturen einfach nicht mitkommen und so ins Visier der Ungeduld geraten -, diese Erbärmlichkeit schien den meisten überhaupt nicht bewusst zu sein.

Die zweite Frage lautete: Wer sind ihre Heldinnen in der Wirklichkeit? Da bekam man regelmäßig zu lesen: Alleinerziehende Mütter. Waren die, die so antworteten, vom soziologischen Typus her dieselben, die vor lauter beruflicher Ungeduld das traute Heim samt Kinderzimmer geflohen hatten und nun noch einmal aus der Ferne den Hut zogen vor denen, die sie alleinerziehend zurückgelassen hatten? So einfach ist es nicht. Denn diese Antwort wurde von Männern so selbstverständlich gegeben wie von Frauen. So viel Konsens sollte immer ein Anlass zu gesteigertem Misstrauen sein.

Alleinerziehende Mütter. Man muss das laut aussprechen, um das moralisch Trompetenhafte dieser Antwort zu erfassen. Und wenn man dann genau Acht gibt, hört man auch das Verblasene, ja Verlogene darin heraus. Wer so spricht, möchte die besondere Tiefenschärfe seiner Sensibilität ausstellen. Er möchte sich als progressiver Zeitgenosse empfehlen, der sich vom äußerlichen Ruhm der Manager-Etagen und Politbüros nicht beeindrucken lässt, sondern tiefer blickt, dahin, wo das unscheinbare, aber wahre Heldentum der Selbstaufopferung ohne große Worte zu finden ist. Der jene Anerkennung, die die Gesellschaft als ganze der alleinerziehenden Mutter schuldig geblieben ist, durch seinen individuellen Akt des Respekts wiedergutmacht.

So fortschrittlich und zeitkritisch sich diese Antwort dünkt, sie ist nicht nur von einer klebrigen Pastorenhaftigkeit, sie zementiert in Wahrheit die traditionellen Geschlechterrollen. Fast wie eine Pieta wird die Mutter hier imaginiert. Sie beweist Stärke und Beständigkeit im Verlassensein. Es ist die ins moderne Kostüm gekleidete Kriegerwitwe, die noch einmal aufscheint.

Sie ist die Verlassene, ja, die Sitzengelassene, die nicht verzagt und auch nicht den Kopf hängen lässt, sondern alles dafür tut, damit in dieser schwierigen Situation das Kind trotzdem pünktlich zum Klavierunterricht kommt. Dass Frauen möglicherweise alleinerziehende Mütter sind, weil sie es so und nicht anders wollen, kommt in diesem Denkhorizont nicht vor. Noch viel weniger, dass sie es möglicherweise sind, weil sie sich im Kampf ums Sorgerecht gerichtlich durchgesetzt haben. Ganz zu schweigen von der zugegeben zünftig-konservativen Überlegung, dass der Verbleib in der Institution Familie vielleicht die heroischere Leistung wäre. . .

Der kaltherzige Ernährer, die liebende Verlassene

Der französische Schriftsteller Charles Péguy sprach 1910 davon, der wahre Abenteurer der Zukunft sei der Familienvater. Nur er allein, heißt es in hochgemutem Ton, engagiere sich buchstäblich mit seiner ganzen Existenz. Verglichen mit ihm seien die anderen klassischen Vertreter des Abenteurertums - der Libertin, der Spieler, der Hochstapler - nur, wie soll man sagen, Leichtmatrosen, verantwortungslose Individualisten. Und das, meint Peguy, sei nicht eben viel. Der Familienvater hingegen muss sich in ungeheuren Weiten bewähren. Er gibt sich mit allen Gliedern hin, ja, seine Leidensfähigkeit geht über seinen eigenen Körper hinaus und erstreckt sich über seine Kinder und Kindeskinder in die Zukunft hinein. Indem er über seine Kinder ein Leben in voller Breite führt, bietet er auch mehr Angriffsflächen als der hasardeurhafte Abenteurer.

Nun soll man den Luftikus mit seiner größeren Beweglichkeit und Ungebundenheit nicht schmähen. Es ist auch gar nicht nötig, den einen Abenteurertypus nur auf Kosten des anderen zu profilieren. Worum es geht, ist etwas anderes. Charles Péguy rechnet man zum nouveau catholizisme. Seine Vision des Familienvaters als des wahren Abenteurers ist in einem bestimmten Gesellschaftsbild situiert - seine faszinierende Lebenstiefe aber hat dieser Rollenentwurf unabhängig davon. Natürlich muss man ihn der aktuellen soziologischen Wirklichkeit anpassen.

Und das heißt vor allem: Der Familienvater ist oft nur noch ein Vater. Aber was heißt hier nur? Was Péguy als die existentielle Erweiterung des Familienvaters auf seine Töchter und Söhne beschreibt, dieses sich über die eigene Person hinaus Auf-die-Welt-Einlassen, wird dadurch in nichts geschmälert.

Nur dass dem Vater dieses Abenteuer heute oft juristisch-gesellschaftlich verwehrt wird. Wer also das Geschlechterverhältnis für die Zukunft neu zu denken versucht, der sollte sich nicht mehr ausschließlich am Bild der alleinerziehenden Mutter orientieren, sondern auch den Vater als Abenteurer im Péguyschen Sinne miteinbeziehen. Ja, man könnte sich geradezu eine Männerbewegung vorstellen, die dieses Recht auf das volle Verantwortungs-Abenteuer einklagt.

Die offizielle gesellschaftliche Selbstverständigung führt zu einem Großteil eine Gespensterdebatte. Eine nämlich, deren Referenzgröße immer noch das ist, was man seit den siebziger Jahren - in stets leicht aktualisierter Modifikation - den neuen Mann nannte. Dieser war strukturell ein solcher, den man konditionieren musste, auch mal den Schnuller abzukochen und sich innerlich so locker zu machen, dass er ganz zart eine emotionale Beziehung zu seinem Kind aufbauen kann. Die Gewichte in der Kleinfamilie sollten ein bisschen verschoben werden, während jedoch die grundsätzliche Privilegierung der Mutter im Zugriff auf die Kinder eher noch zementiert wurde (das lässt sich heute wieder bei der Frage der Vaterschaftstests beobachten).

Es ist süß und ehrenvoll, Kinder aufzuziehen. Wenn dies im Rahmen einer intakten, konventionellen Familie geschieht, ist es schön. Dies tut es aber in immer mehr gesellschaftlich längst signifikanten Fällen nicht - und da wird dem Mann dann in kaltherzig-vorgestriger Weise die Teilhabe an dieser Süße und Ehre verweigert. Das Grundgesetz stellt "Familie und Ehe" unter den Schutz des Staates. Es tut dies in einem Atemzug, weil es davon ausgeht, dass des Staates berechtigtes Interesse an Reproduktion und Aufzucht des Nachwuchses mehrheitlich in der Institution Ehe realisiert wird. Dies widerspricht - zumal in urbanen, akademisierten Milieus - schon lange der Norm. Familie und Ehe sind keineswegs die Einheit, als die sie das Grundgesetz auffasst. Gleichwohl schafft der Staat ein Anreizsystem vor allem durch Steuervorteile, das seine Bürger in den Hafen der Ehe lockt. Im Falle des Scheiterns aber, genau dann, wenn es wirklich teuer wird, entzieht er den Beteiligten die finanziellen Vorteile und privilegiert in eklatant einseitiger Weise die Mütter.

Weil die Verbindung von Mutter und Kind als eine einzigartig enge gesehen wird, rutscht der Vater in die Rolle einer eher äußerlichen, nur biologischen Ermöglichungsbedingung. Die Mutter kann sich stets hinter dem Wohl des Kindes verstecken, um ihre Forderungen sowohl der Alimentierung wie der Ausübung des vollen Sorgerechts durchzusetzen. Dass sie damit nur verdientermaßen erhält, was der Vater durch seine angebliche Fixierung auf Beruf und Karriere selbstverschuldet preisgegeben hat, ist an böswilliger Schwarz-Weiß-Malerei kaum zu überbieten und hat mit dem Selbstverständnis "moderner" Frauen und Männer kaum mehr etwas zu tun.

Es lohnt nicht, über die zentrifugalen Kräfte der Individualisierung, unter deren Ansturm die herkömmliche Kleinfamilie zerbröckelt, zu lamentieren. Dies sind gesamtgesellschaftliche Transformationen, die man nicht durch normative Appelle zu mehr Gemeinschaftssinn aufhalten kann. Zumal Individualisierung nicht nur Sicherheitsverluste, sondern auch Komplexitätsgewinne bedeutet. Diese Wirklichkeit sollte man in den Blick nehmen. Dann stellt man auch fest, dass Individualisierung nicht nur die Aufkündigung von Verbindlichkeiten meint. Das Konzept der lebenslangen Ehe als Dachinstitution für die verschiedenen Bedürfnisse nach Nachwuchs, ökonomischer Versorgung, Freundschaftshort und Sexualität dürfte immer seltener der Normalfall sein. In dieser Situation muss die Gesellschaft neue Formen der sozialen Praxis wie der Rechtssprechung finden, um die Ressourcen an Verbindlichkeit jenseits der Ehe fruchtbar und realisierbar zu halten. Und nur ein anderes, etwas hochherziger klingendes Wort für diese Bereitschaft zur Verbindlichkeit wäre die Rede vom Vater als dem wahren Abenteurer der Zukunft.

Es soll keine Utopie sein, keine Vision. Nennen wir es ein Projekt: Das bestünde darin, unter Bedingungen hoher Individualisierung die Verbindlichkeit des Abenteuers, Vater oder Mutter zu sein, zu ermöglichen. Im Moment werden Individualisierung und Elternschaft noch als Gegensätze verstanden, so dass man ständig Verlustrechnungen aufzumachen hat, die strukturell immer zu Ungunsten des Mannes gehen. Nun muss es darum gehen, die Vereinbarkeit von Kind und Karriere auch mit Blick auf den Vater umzusetzen.

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