Erich Wolfgang Skwara: Im freien Fall:Vom ungeschickten Altern

Die Leiden des alten Griesgrams: Der Roman "Im freien Fall" erzählt von einem selbstverliebten Mann, der an einem unheilbaren Leiden krankt - er hat alles falsch gemacht.

Karl-Markus Gauss

Spielmann geht auf die sechzig zu und spürt, dass alles falsch war. Die falsche Frau geheiratet, die falschen Kinder bekommen und sie falsch erzogen, den falschen Beruf ergriffen, auf dem falschen Kontinent gelebt. Linda hat ihm, dem "Dauerehebrecher", seine Liebschaften immer wieder verziehen, das war nicht recht von ihr: "Vielleicht würde er ihr nie verzeihen, dass sie ihm vergeben hatte, dass alles auf die alte Weise weiterging." Die Kinder haben es vorgezogen, sich zum Studium möglichst weit vom Elternhaus zu entfernen und melden sich offenbar nur mehr alle paar Jahre.

Erich Wolfgang Skwara: Im freien Fall

Spielmann geht auf die sechzig zu und spürt, dass alles falsch war. Schuld ist seine Frau - sie hat ihm seine Liebschaften immer wieder verziehen, das war nicht recht von ihr.

(Foto: Verlag Hoffmann und Campe)

Als "Senior Dreamer", worunter man sich eine Art von Zukunftsträumer vorstellen mag, der von seiner Firma dafür freigestellt ist, sich ein paar interessante marktgängige Dinge auszudenken, wird er zwar gut bezahlt, aber die anderen Leute in der Firma sind doch arg spießig und ungebildet; und viel ist von Träumen auch nicht zu halten, die am Ende der Firma zugutekommen, profitabel werden sollen. Und erst die USA? Warum ist der gebürtige Österreicher nur so dumm gewesen, ausgerechnet in dieses Land zu ziehen!

Unglücklich im Reihenhaus

Der 1948 in Salzburg geborene, an der Universität von San Diego lehrende Erich Wolfgang Skwara hat sich seit Jahren darauf spezialisiert, literarisch die Leiden alternder Männer zu untersuchen. In seinem neuen Roman Im freien Fall bekommen wir es mit einem vermutlich unheilbaren Leiden zu tun, denn Spielmann kränkelt gewissermaßen an allem, sodass es sein Wunsch ist, schlichtweg "ein anderes, neues Leben zu beginnen".

Der unglückliche Mann sitzt in seinem Reihenhaus, sinniert darüber, wie lange er mit seiner Frau, die er im Nebenzimmer hört, schon nicht mehr gesprochen oder gar geschlafen hat, später geht er am Strand des Ozeans spazieren und wundert sich, dass er drei Jahrzehnte hier leben konnte und "den Nachbarn nie begegnet" ist, "weder Freund noch Feind" hat und die Jahre vergingen, ohne dass er sie richtig gelebt hatte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Spielmanns Frau als Protagonistin besser geeignet gewesen wäre.

Schon immer gleich, nur jünger

Skwara hat ein fein gestimmtes Sensorium für die Stimmungen, Obsessionen, Gedankenfluchten seines Probanden. Etwa, wenn dieser einer der wenigen Beschäftigungen frönt, die ihm Spaß machen, der Lektüre der Nachrufe in den Zeitungen: "Flüchtig und gründlich zugleich registrierte er ohne Ausnahme das Alter der Toten und war auf den stets gleichen Schluss im Kopf gefasst: jünger als ich, älter als ich. Er, Spielmann, war die Grenzlinie ... Zeitvergehen erschreckte ihn ...".

In vielen Rückblenden, von denen nicht jede gleichermaßen schlüssig ist, sehen wir Spielmann, wie er früher war, nämlich im Grunde schon immer gleich, nur eben jünger. Bereits als Kind hatte er es nicht gemocht, dass die Zeit verging und die Welt nicht erkannte, was sie in ihm hatte. Am liebsten erinnert er sich an die "Blasse", eine junge Frau, die er bei einem Vortrag, den er in der Firma hielt, kennen lernte; mit ihr ist er nach Europa gefahren, um es noch einmal zu versuchen mit dem Glück, aber sie hat ihn verlassen, sodass ihm wieder nichts blieb als die reizlose Linda und das blöde Amerika.

Was Spielmann sich so vorjammert

Je weiter man liest, umso besser kann man die ungetreue Geliebte verstehen. Spielmann ist ein unangenehmer Kerl, selbstverliebt, griesgrämig, die Welt ist einfach nicht danach, dass er an ihr seinen Gefallen finde, und die Menschen sind zu langweilig, als dass er sich für sie interessierte, und zu dumm, als dass sie sich für ihn interessierten. Dass er gar so unsympathisch auftritt und selbst in seinem Unglück so wenig Anlass bietet, dass man mit ihm fühle, müsste für einen Roman noch kein Nachteil sein.

Es wird aber zum Nachteil, weil es Skwara offenbar weniger darum zu tun war, die seelischen Altersbeschwerden dieses Mannes zu untersuchen, als sie vielmehr zu nobilitieren. Nie wird, was Spielmann sich vorjammert, in ironische Distanz gerückt, seine Vergrämung bleibt unbefragt das Weltereignis, für das er selbst sie hält. So verklärt Skwara den Solipsismus, der seinen missmutigen Helden daran hindert, sich wenigstens versuchsweise mit anderem als sich selbst und seinen Enttäuschungen zu beschäftigen.

Und darum fragt man sich schließlich, ob die langweilige, unattraktive Linda, die einst eifersüchtige, jetzt resignierte Ehefrau nicht womöglich als Hauptfigur interessanter gewesen wäre als der in "sein Leben in der Abwesenheit" verliebte, sich monomanisch um sich selber drehende Spielmann. Von Linda, wie von den Kindern oder der blassen und blass bleibenden Geliebten, hätte man gerne mehr erfahren, aber ihnen schenkt der Autor so wenig Aufmerksamkeit wie sein Held.

ERICH WOLFGANG SKWARA: Im freien Fall. Roman. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2010. 255 S., 20 Euro.

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