"Erbarmen" im Kino:So verblüffend wie einleuchtend

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Nikolaj Lie Kaas (links) als Carl Morck und Fares Fares als Hafez el-Assad in "Erbarmen": Wenn der Partner zeigt, dass Polizeiarbeit auch mit Einfühlungsvermögen erfolgreich gestaltet werden kann. (Foto: Christian Geisnaes/NFP/dpa)

Ein gut entwickelter Plot und zwei formidable Schauspieler: In "Erbarmen" enthüllt Regisseur Mikkel Norgaard nach und nach die Logik hinter einem elaborierten Entführungsfall und demonstriert gleichzeitig, dass Spannung gut aussehen kann.

Von Doris Kuhn

Es gehört zu den Eigenarten des skandinavischen Films, dass seine Protagonisten sich gern als Nervensägen zeigen. Sie erzählen ihren Alltag, jedes Detail, je langweiliger, desto ausführlicher. Das zitiert "Erbarmen" kurzzeitig, in einem Auto, bei einem Polizeieinsatz in Kopenhagen, und einer der darin sitzenden Ermittler bekommt vom pointenlosen Redefluss seines Kollegen so schlechte Laune, dass er eine großen Fehler begeht, den kein Kommissar begehen darf: er steigt aus und stürmt das observierte Haus, ohne auf Verstärkung zu warten. Dafür muss er bezahlen. Es gibt Tote und Schwerverletzte, und keiner davon ist ein Verbrecher.

Nach diesem furiosen Einstieg lässt der Film sich eine Weile Zeit. Ein Partner des Helden bleibt querschnittsgelähmt im Krankenhaus liegen, der Held selbst gesundet, physisch jedenfalls, psychisch befindet er sich inzwischen in einer Liga der schlechter Laune, die er sich vorher nicht mal vorstellen konnte.

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Haben wir die Kraft, dem, was uns Angst macht, in die Augen zu schauen? Mit dieser Frage konfrontieren uns auffällig viele Kino-Starts dieser Woche. Ob in "Erbarmen", "Youth", "Der blinde Fleck" oder "Blick in den Abgrund" - sie alle handeln von dem Bösen, bis es schmerzt.

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Seine Hände zucken unkontrolliert, seine Gedanken sichtlich auch, Schuld und Wut spiegeln sich in seinem Gesicht, das er nur einmal im ganzen Film zu einem Lächeln bewegen kann. Wieder im Dienst, schicken ihn seine Vorgesetzten an einen Schreibtisch im Keller ­- dort soll er, ungeachtet seiner langen Dienstzeit als Kommissar, alte Fälle zu den Akten ablegen, die längst als unlösbar gelten.

Da dieser Film aber vom Durchhaltevermögen erzählt, wird der Kommissar sich damit nicht zufrieden geben. Er wird sich einen der Fälle vornehmen und ihn neu aufrollen, und er wird sich damit sukzessive immer mehr Feinde machen, er wird sogar über die Grenze nach Schweden gehen, bis er dort von einem ganzen Einsatzkommando der Polizei umstellt ist und zurück nach Dänemark geschickt wird.

Durchhaltevermögen bei Opfer und Ermittler

Der Einzige, der ihm freundlich gesonnen bleibt, ist sein neuer Partner: Ein Syrer, sonniges Gemüt, Freund lauter Musik, der sich vom Grimm des Helden nicht abschrecken lässt. Durch ihn bekommt "Erbarmen" Züge eines Buddy-Movies, was immer unterhaltsam ist, obwohl das hier wenig komödiantisch gehandhabt wird. Der Partner zeigt eher, wie viel man ohne die Thriller-Methoden eines blasierten Cops erreichen kann, einfach mit Einfühlungsvermögen. Das funktioniert tatsächlich auch.

Der Fall selbst handelt von einer Politikerin, die eines Tages spurlos verschwand. Nach erfolglosen Ermittlungen wurde sie als Selbstmörderin deklariert, und es ist erstaunlich, wie schnell man dort oben im Norden den Politikern einen Freitod unterstellt - als ob gerade diese Berufsgruppe dafür anfälliger wäre als jede andere.

Der Film aber zeigt nicht nur das Durchhaltevermögen eines degradierten Polizisten, der trotzdem seinen Job weitermacht, sondern auch das einer totgesagten Frau, die trotzdem weiterlebt - ohne sich von den grausigen Bedingungen dieses Überlebens überwältigen zu lassen.

Sie ist, das erfährt man sehr schnell, das Opfer einer Entführung, einer ungewöhnlich elaborierten sogar. Verborgene Netze wurden ausgelegt, um sie zu fangen, Netze, die von den beiden Cops nun eins nach dem anderen eingeholt werden, während das Opfer seiner fürchterlichen Gefangenschaft trotzt.

Figuren mit Profil

Die Sturheit der Frau in ihrer aussichtslosen Lage wirft die Frage auf, wie kräftezehrend, wie sinnlos oder wie heroisch ein solches Verhalten ist, sorgt aber gleichzeitig dafür, dass niemand dem Film gleichgültig gegenüberstehen kann. Dieser rebellischen Gefangenen gerhören alle Sympathien, ohne dass sie an irgendein Mitleid appellieren muss.

"Erbarmen" ist die Verfilmung eines Bestsellers des Dänen Jussi Adler-Olsen, einem der aktuell populären skandinavischen Krimiautoren, inszeniert wurde von Mikkel Norgaard, der zuletzt einige Folgen der formidablen TV-Serie "Gefährliche Seilschaften" gedreht hat.

Da sich hier die Spannung nicht unbedingt unter Zeitdruck aufbaut, hat Norgaard Gelegenheit, seinen Figuren wirklich Profil zu verleihen, und er vertraut dabei auf zwei sehr gute Schauspieler: Nikolaj Lie Kaas und Fares Fares. Hier wird beharrlich und strukturiert erzählt, eben so wie diese Cops arbeiten - und so enthüllt sich allmählich die Logik hinter diesem Entführungsfall, die so verblüffend wie einleuchtend erscheint. Die Bilder, schön in verregnetes Blau getaucht, erinnern zur Abwechslung daran, dass Spannung auch gut aussehen kann.

ERBARMEN, Dänemark 2013 - Regie: Mikkel Norgaard. Buch: Nikolaj Arcel nach dem Roman von Jussi Adler-Olsen. Kamerta: Eric Kress. Mit Nikolaj Lie Kaas, Fares Fares, Sonja Richter. 97 Minuten. NFP.

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