Englischsprachige Literatur:Das Unheimliche rückt näher

lit. Cologne - Margaret Atwood

Zeigt keinen Anflug von Altersmilde: die kanadische Autorin Margaret Atwood.

(Foto: picture alliance / dpa)

Margaret Atwoods neuer Erzählband "Die steinerne Matratze" handelt von einer höchst konkreten Horrorvision: Alter, Gebrechlichkeit und Tod.

Von Karin Janker

Das Alter ist kein Kampf, das Alter ist ein Massaker", heißt es in Philip Roths Roman "Jedermann". Simone de Beauvoir wiederum schrieb, der Greis flöße nicht nur Achtung ein, sondern auch Angst, weil man ihm die gleichen Kräfte zutraut wie dem Gespenst, das er bald sein wird. Als Zwischenwesen scheine er halb im Diesseits, halb im Jenseits zu stehen. Dieser Limbus markiert den Ort für Margaret Atwoods neue Storys.

Ihr Erzählungsband "Die steinerne Matratze", von Monika Baark virtuos ins Deutsche übersetzt, versammelt neun Geschichten, die alle um die Beschwerden des Alters und den bevorstehenden Tod kreisen. Diese Themenwahl mag damit zusammenhängen, dass Atwood selbst inzwischen ein Alter von 77 Jahren erreicht hat, was aber nicht bedeutet, dass ihre Figuren deshalb zur Altersmilde neigten. Vielmehr scheint "jedwede Reife, Erfahrung und Weisheit, die sie über ihre mittleren Jahre wie Flugmeilen gesammelt haben", dahin zu sein, schreibt sie. Das Altern mag unaufhaltsam sein, es ist aber auch unterhaltsam. Zumindest in Atwoods anarchischer Version.

Seit Trumps Wahlsieg gilt Atwood als Kassandra

Ihre Literatur sei keine Science-Fiction, sondern spekulative Fiktion, sagt die kanadische Schriftstellerin immer wieder in Interviews. Und meint damit, dass ihre Zukunftsvisionen sich im Bereich des tatsächlich Möglichen bewegen. So wie ihr größter Erfolg, der Roman "Der Report der Magd", in dem ein totalitär regierender Präsident die USA übernommen und zu einem fundamental-christlichen Staat umgebaut hat, in dem Frauen keine Rechte haben und nichts besitzen dürfen. Sie habe in diese Dystopie nichts hineingepackt, was Menschen nicht irgendwann schon einmal getan haben, sagt Atwood.

Immer wieder musste sie in den vergangenen Wochen erklären, dass sie Trump nicht vorhergesehen habe. Zwar ist die engagierte Umweltschützerin nicht begeistert vom neuen US-Präsidenten. Sie weiß aber sehr genau, dass es zu einfach wäre, die Dystopie, die sie im Jahr 1985 geschaffen hat, jetzt einfach auf die kommenden vier Jahre anzuwenden. Atwood trennt scharf zwischen Realität und Fiktion.

Auch "Die steinerne Matratze" ist eine düstere, aber realistische Zukunftsvision. Geschildert wird die Hinfälligkeit des eigenen Körpers als höchst konkrete Dystopie. Das Unheimliche rückt näher. Da ist zum Beispiel in der letzten Story des Bandes die langsam erblindende Wilma, die in einem Altersheim lebt und sich inzwischen vor allem darauf konzentriert, in der Dusche nicht auszurutschen: "Sie packt die Griffe und übertreibt es nicht mit dem glibbrigen Duschgel. Das Abtrocknen erfolgt am besten im Sitzen: der Versuch, sich im Stehen die Zehen abzutrocknen, wurde vielen schon zum Verhängnis. Sie nimmt sich vor, die Servicezentrale anzurufen und sich einen Termin zum Zehennägelschneiden geben zu lassen, noch so etwas, was sie nicht mehr allein kann."

Oder der alte Schriftsteller, der in der Erzählung "Die tote Hand liebt dich" mit seinem Spiegelbild spricht: "Ach Jack, Jack, sagt er zu sich und beäugt im Spiegel seine Tränensäcke, betastet das lichte Haar am Hinterkopf, zieht den Bauch ein, wobei er das nicht lange durchhält. Du bist ja so ein Wrack. Du bist ja so ein Penner. Du bist so allein. O Jack, du hast mal so viel geile Scheiße gebaut. Du warst mal so gutgläubig. Du warst mal so jung." Nicht Nostalgie, sondern lakonische Verzweiflung spricht aus diesen Zeilen.

Wie immer bei Atwood liegen Horror und Humor nahe beieinander

Atwood lässt ihre Leser in den Abgrund der eigenen Zukunft schauen, aber ohne sie dort im Stich zu lassen. Denn wie immer bei Atwood liegen Horror und Humor nahe beieinander. Zum Beispiel, wenn von dem ungleichgeschlechtlichen Zwillingspaar Jorrie und Tin erzählt wird, die sich beim Frühstück über Toast und Butter hinweg versprechen, dass keiner von beiden vor dem anderen stirbt. "Außer es wird Prostatakrebs", schränkt Tin sein Versprechen gegenüber der Schwester ein.

Immer wieder schlagen die Erzählungen solche Haken. Nie ist zu ahnen, was als Nächstes kommt. Und das, obwohl es am Ende stets auf das Gleiche hinausläuft. Schließlich sind alle ihre Figuren dem Tod näher als dem Leben. Sei es, weil sie sich in Ungeheuer mit rosa Zähnen und einer Stimme, die zunehmend zum Knurren wird, verwandeln, wie die Erzählerin in "Lusus Naturae". Sei es, weil sie von ihrer jugendlichen Geliebten immer wieder daran erinnert werden, wie kraftlos sie bereits geworden sind. So ergeht es dem misanthropischen Dichter Gavin, der in seinem Arbeitszimmer "inmitten der Denkmäler seiner eigenen schwindenden Größe" sitzt, von seiner Frau verhätschelt wie ein Genie, das er längst nicht mehr ist.

Gavin hält seine Frau zwar zum Narren, aber sein ganzer Hass gilt sich selbst. Wehmütig erinnert er sich an seine produktive Zeit, als er kein Geld und kein feines Arbeitszimmer hatte. Damals "konnte er überall schreiben - in Bars, in Fast-Food-Läden, in Cafés -, und die Wörter strömten nur so aus ihm heraus und durch den Bleistift oder Kugelschreiber hindurch auf alles, was flach und gerade zur Hand war. Briefumschläge, Papierservietten; ja, ein Klischee, aber es war trotzdem so. Wie findet man wieder dorthin zurück? Wie holt man sich das alles wieder?"

Gegen den Verfall behaupten sich die Frauen besser als die Männer

In Selbstmitleid badende Männer treffen auf agile, mitunter auch skrupellose Frauen - so viel lässt Atwood durchscheinen in ihren Erzählungen: Sie traut den Frauen mehr Selbstbehauptung gegenüber dem Altwerden zu als den Männern. Während diese sich zunehmend lethargisch in ihr Schicksal ergeben, versuchen die Frauen, den Verfall aufzuhalten. Ihr Aberglaube richtet sich auf das, was auf den Etiketten teurer Kosmetika steht: "Auffüllen, Straffen, Entknittern, die Rückkehr der jugendlich taufrischen Wangen, der Hauch von Unsterblichkeit".

Dabei geht Atwood mit Frauen nicht zimperlicher um als mit Männern, und so schlägt die Geschäftigkeit beim Austricksen des Alterns nicht selten ins Lächerliche um. Jorries Frisur etwa, purer Geronto-Punk: "Das Gesamtbild ist das eines aufgeschreckten Stinktiers im Scheinwerferlicht nach der Begegnung mit einer Flasche Ketchup."

Herausragend sind besonders die ersten drei Geschichten, die zusammenhängen. In diesem Reigen ehemaliger Geliebter tritt neben dem gealterten Dichter Gavin und dem Zwillingspaar Jorrie und Tin auch Constance auf, ebenfalls Schriftstellerin, die allerdings nur "unterkomplexe Prosa" produziert. Darf man in ihr ein Alter Ego Atwoods sehen? Porträtiert die Autorin von mehr als fünfzig Büchern sich selbst in dieser verhutzelten Alten, die mit ihrem Mann spricht, obwohl dieser sich bereits seit einiger Zeit "in nicht mehr konkret lebendem Zustand" befindet?

Margaret Atwood musste sich immer wieder dagegen wehren, in Schubladen wie Science-Fiction oder Trivialliteratur abgelegt zu werden. Dabei stecken in all ihren Büchern stets Einsichten, die etwas über die Gesellschaft erzählen: Im Fall der "Steinernen Matratze" ist es die Erkenntnis, dass nichts fremder und unheimlicher ist als das Alter, vor allem das eigene.

Margaret Atwood: Die steinerne Matratze. Erzählungen. Aus dem Englisch von Monika Baark. Berlin-Verlag, Berlin 2016. 304 Seiten, 20 Euro. E-Book 17,99 Euro.

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