Endlich Zeit für . . .:Im richtigen Leben

Hanns Christian Müllers neues Buch

Von Oliver Hochkeppel

Fällt einem ein alter Gerhard-Polt-Sketch etwa aus "Fast wia im richtigen Leben" ein - und zumindest bei Menschen der Generationen Ü 40 passiert das wegen ihrer zeitlosen Alltags-Wahrheiten ziemlich oft -, dann denkt man nicht nur an Polt selbst, sondern immer auch an seine geniale Filmpartnerin Gisela Schneeberger und an Hanns Christian Müller (lange Zeit ihr echter Partner), Polts nicht minder wichtigen Co-Autor, Regisseur und Produzenten. Das in einem Holzhäuschen am Ammersee vor sich hinwerkelnde Multitalent - Musiker und Komponist ist er auch noch - war nie ein Star im Rampenlicht, dazu tummelte er sich zu hurtig auf zu vielen "Millieuinseln", wie er selber sagt, und es fehlt ihm auch Präsenz und Stimme für den großen Auftritt.

Aber im Hintergrund gehört er weit über den Polt-Kosmos hinaus immer prägend dazu, zur kreativen Szene Bayerns - ob er nun Songs für die Toten Hosen textet, kurz Intendant des Volkstheaters ist, Filme wie "Willkommen in Kronstadt" dreht, Theaterstücke wie zuletzt "Blind Dates" inszeniert oder sein monty-pythons-artiges Internet-Projekt "Radio Ikebana" pflegt. Im November war er gerade live in der Lach- und Schießgesellschaft zu erleben, mit seinem immer wachen Lausbubenblick. Sein neues Buch "Sonne für alle" (PPV Medien) stellte er da vor, mit viel Bluesmusik von ihm und Ron Evans, und vier ausgewählten Episoden.

Fast zu nett war das in der umtriebigen Vorweihnachtszeit, jetzt aber ist es endlich Zeit für das kleine Buch, das ganz korrekt den Untertitel "Geschichten ganz wia im richtigen Leben" trägt. Denn in den 39 ganz disparaten, weder chronologischen noch zusammenhängenden, dafür komplett selbst erlebten Geschichten trägt Müller eine Art alternative Autobiografie zusammen. Nicht nur sein Leben zwischen Amalienstraße und Ammersee entrollt sich da, von der Nachkriegszeit über die Achtundsechziger- bis in die satten Achtzigerjahre, sogar mit Ausflügen in alte "verschwundene Welten" wie die DDR und mit Verweisen in die Gegenwart. Natürlich mit einiger Prominenz, aber doch vor allem mit einfachen Menschen, die so einfach eben nie sind. Originale wie Heinz aus der Automatenhalle tummeln sich da,der abgedreht-gefährliche Jesus, der Müller einmal als Anhalter in die BMW Isetta schneite, der Vorstadt-Schieber Emilio oder "as Bemmerl", eine gschaftige Ex-Dirne in den frühen Fünfzigern.

Als ganz kleiner Bub begegnete Müller letzterer, und schon da besaß er offensichtlich diese bemerkenswerte Beobachtungsgabe, die ihn und dieses Buch auszeichnet: Nüchtern, aber nie unbeteiligt, neugierig, aber nie aufdringlich sieht Müller das Besondere im Alltäglichen. Macht noch das Unerfreuliche zum fröhlichen Experiment wie etwa seine unverhoffte Begegnung mit dem Gerichtsvollzieher. Seine Begeisterung für das Menschlich-Allzumenschliche ist in jedem Satz spürbar, und so wird noch aus den normalsten Sachen etwas Launiges, ganz wie die Geburtstagsfeier seines Vaters, bei der alle ungewöhnlich ausgelassen sind - weil Müllers Schwester den Geburtstagskuchen mit einer ordentlichen Portion Haschisch gebacken hatte.

Wegen Hanns Christian Müllers Blick auf den Kitt des Lebens kommt einem Vieles in diesem Buch sehr bekannt vor, obwohl man doch nichts davon persönlich miterlebt hat. Diese Entdeckung des Gemeinsamen im Unterschiedlichen, sie fesselt einen sehr schnell, öffnet einem die Augen und macht dem Leser klar, dass es Zeit ist, wieder einmal genauer hinzuschauen.

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