Eminem-Album "The Marshall Mathers LP 2":"Slim Shady" ist auferstanden

Lesezeit: 2 min

Eminem will mit seinem neuen Album "The Marshall Mathers LP2" an alte Erfolge anknüpfen. (Foto: AFP)

Eminem hat viele Gesichter. Mit "Slim Shady" oder "Marshall Mathers" feierte er seine größten Erfolge, das ist aber bereits 15 Jahre her. Für sein neues Album "The Marshall Mathers LP 2" holt er sich nun Hilfe von den alten Gefährten, um an seine große Zeit anzuknüpfen.

Von Jan Wehn

Es kann passieren, dass Geister wiederkommen. Im Jahr 2000, da hatte er gerade die erste große Weltruhmstufe erklommen, produzierte Eminem das Stück "Stan": Zu einer melancholisch verhauchten Gesangslinie erzählte der Jungstar die tragische Geschichte eines Fans, der sich mit seiner schwangeren Freundin umbringt - aus Verzweiflung, weil Eminem ihm nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt habe.

Der Song geriet in Vergessenheit, aber jetzt ist Stan gewissermaßen wieder da. Eine Kreatur aus dem Textgrab. Ein HipHop-Reim-Untoter. "Bad Guy" heißt dieser Song, mit dem Eminem sein neues, insgesamt siebtes Album eröffnet. Hauptfigur ist nun ein gewisser Matthew Mitchell, der Bruder von Stan, der endlich Rache nehmen will für damals.

Das filmreife Finale findet am Rande eines Freeways bei Detroit statt - der Irre hat den Rapper schon fest verschnürt im Kofferraum, als er von der Polizei angehalten wird. Verfolgungsjagd, Schüsse, dann enttarnt sich der Entführer selbst: Er sei doch nur eine Metapher! Ein Bild für die Unsicherheit, ja Angst des Künstlers Eminem, nach rund 15 Jahren Karriere nichts mehr zu sagen zu haben. Ein überraschendes Bekenntnis des früheren Großmauls. Oder einfach eine Schutzbehauptung.

Ein Schwelgen in Erinnerungen

"The Marshall Mathers LP 2" heißt dieses neue Album, eine Neuausgabe nach der ansonsten identisch betitelten Platte von 2000, die den frühen Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn markierte. Eminem wurde zur globalen Stimme des amerikanischen White Trash, ein weißer Rapper, der sich zwar Sporen und Respekt auf den Open-Mic-Bühnen seiner Heimatstadt Detroit verdient, sich dabei aber all seine Vorstadtpsychosen, Dysfunktionalitäten und familiären Traumata bewahrt hatte.

Auf dem Cover des Albums sah man den Künstler auf den Stufen des Detroiter Hauses sitzen, in dem er aufgewachsen war. Die Neuauflage von 2013 zeigt dasselbe Gebäude, mittlerweile so leer und zerfallen wie viele Straßenzüge in der einst glänzenden Motor City. Ein Spukhaus. Wieso geht er da freiwillig rein?

In der Tat trägt die Musik der neuen Platte über weite Strecken eine nostalgische Note. Das liegt an den zum Großteil vom Studiozauberer und Generalüberholer Rick Rubin produzierten Beats, in denen Classic-Rock-Samples von den Zombies und Joe Walsh auftauchen, die ein für Eminem-Verhältnisse ungewohntes Pathos verbreiten. Zum anderen liegt das daran, dass der Rapper explizit Fährten legt zu alten Songzeilen, er nimmt das schizophrene Wechselspiel zwischen seinen Alter Egos "Marshall Mathers" und "Slim Shady" wieder auf.

Ein seltsames Paradox: Einerseits fällt der Künstler ins Infantile zurück - und klingt an anderen Stellen wie ein alter Rauschebart. Der Versuch des 41-jährigen Eminem, durch Verweisvielfalt und einige fast aufdringlich radiotaugliche Songs noch einmal Relevanz zu zeigen, erscheint seltsam halbgar. Der Selbstzweifel, der ihn im ersten Song in den Plastiksack steckt - man spürt ihn in dem gesamten Album.

Eine jüngere Generation hat übernommen

Denn zweifellos haben Eminems Bedeutung und Einfluss auf die Rapszene in den letzten Jahren abgenommen. Eine jüngere Generation hat übernommen und ihn überholt: Eminems einst so schockierende Splattertexte werden von Tyler, The Creator in noch abstrusere Sphären gesteigert, Machine Gun Kelly ist das neue Aushängeschild des White-Trash-Rap, Danny Brown aus Detroit hält die Fahne für die alte, kranke Heimatstadt in einer Art und Weise hoch, zu welcher der stets auf das Private fokussierte Eminem nie fähig war.

Am auffälligsten wird dieses Dilemma, wenn Mathers sich ins direkte Duell mit einem seiner Nachfolger begibt. Wie in "Love Game", bei dem der 26-jährige Kendrick Lamar aus Compton mitwirkt, der seit dem letzten Jahr als neuer, hungriger Dichterfürst des HipHop gilt.

In dem Stück rechnen die beiden mit ihren imaginären Verflossenen ab, albern und ambitioniert. Während Eminem absurde Hasstiraden spuckt, verkrampft, wie eine Karikatur seiner selbst - zieht Kendrick Lamar locker an ihm vorbei. Mit Taktgefühl und einer richtigen Stimme, aber auch mit Wortwitz und Präsenz. Also mit all dem, was Eminem ausgemacht hat. Früher.

© SZ vom 09.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: