"Elser" im Kino:Jeder hätte es wissen können

"Elser" im Kino: Im Keller: Christian Friedel (rechts) als Georg Elser beim Verhör.

Im Keller: Christian Friedel (rechts) als Georg Elser beim Verhör.

(Foto: NFP)

Er wäre ein Held gewesen. Im November 1939 plante Georg Elser ein Attentat auf Adolf Hitler, doch die Bombe detonierte zu spät. Regisseur Oliver Hirschbiegel hat das Leben des Widerständlers in "Elser" nun faktentreu verfilmt.

Von Martina Knoben

"Er hätte die Welt verändert" wirbt der Untertitel von Oliver Hirschbiegels Film über den Hitler-Attentäter Georg Elser. Und das ist nicht mal übertrieben: Wenn der Anschlag am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller erfolgreich gewesen wäre, wenn Elsers selbst gebaute Bombe wie geplant Hitler und fast die gesamte NS-Führungsspitze getötet hätte - wäre der Zweite Weltkrieg mit seinen Millionen Toten womöglich gestoppt worden? Hätte es die Gaskammern nie gegeben?

Die Gedankenspiele helfen, sich die Bedeutung Elsers vor Augen zu führen, wenn Oliver Hirschbiegels Film zwischendurch etwas schulbuchhaft wirkt. Hirschbiegel hat keinen Thriller aus den historischen Fakten gemacht, anders als in seinem Kino-Erstling "Das Experiment" (2001), in dem er das (reale) Stanford-Experiment in Genre-Kino verwandelte.

Auch "Elser" beginnt mit Spannungsmomenten, die den Attentäter zeigen, wie er in nächtlicher Fleißarbeit auf blutigen Knien eine Säule aushöhlt, um seine Bombe zu deponieren. So historisch richtig die blutigen Knie sind, wird damit aber auch schon das Bild eines Märtyrers etabliert. Der Verlauf des Attentats wird dann flott und pflichtschuldig referiert: Da ist der Saal voller Braunhemden, die markige Rede; Hitler, der ein Telegramm bekommt, dass er nicht das Flugzeug nehmen kann, weshalb er den Bürgerbräukeller früher verlässt. Elsers Bombe detoniert nach Plan - und doch 13 Minuten zu spät.

Copyright Lucky Bird Pictures, Bernd Schuller

Vorbereitung zum Attentat: Georg Elser (Christian Friedel) vermisst das Versteck der Bombe.

(Foto: Lucky Bird Pictures)

Der Widerständler als rücksichtsloser Fanatiker

Wie das Attentat ausging, was aus Elser wurde, ist bekannt. Hirschbiegel interessiert sich für die Frage, was für ein Mensch dieser Mann gewesen ist, der die Gefahr durch Hitler früh erkannte und die denkbar radikalste Konsequenz daraus zog. In Interviews hat Hirschbiegel Elser mit Edward Snowden verglichen, tatsächlich war Elsers Tat viel radikaler, indem er tötete. Aber Hitlers Ausnahmestatus als historischer Verbrecher scheint jede Tat zu legitimieren, Hirschbiegel rüttelt nicht daran.

Sein Film zeichnet ein Heldenbild, das durch die egoistische Amouren des jungen Georg kaum getrübt wird. Weil Elser immer noch vergleichsweise unbekannt ist, trotz des Brandauer-Films, Elser über Jahrzehnte nicht einmal als Widerständler galt, ist ein solches Porträt verdienstvoll, die Konturen hätten aber schärfer sein dürfen. Die Rücksichtslosigkeit und der Fanatismus, die nötig sind für eine solche Tat, vermittelt weniger die Erzählung als das glühende Spiel von Christian Friedel, der Elser Charme, aber auch etwas Unheimliches verleiht. Friedel kommt vom Theater, war im Kino zuletzt in "Amour fou" zu sehen, als komisch todessüchtiger, gefährlich egozentrischer Heinrich von Kleist.

Sein Elser ist ein "ladies man", einer, der den Frauen gefällt und das Leben scheinbar leicht nimmt, ein Jedermann vom Dorf. Aus Alltagsbeobachtungen gewinnt er die Überzeugung, dass die Nazis Verbrecher sind und Deutschland in einen verheerenden Krieg führen. Jeder - das ist Hirschbiegels Anklage - hätte das sehen können.

Ein falsches und manipuliertes Bild

Sein Film erzählt Elsers Entwicklung zum Attentäter aus der Haft heraus, in Rückblenden. Damit ist "Elser" trotz vieler bunter Bilder ein Kellerfilm - wie "Das Experiment", wie "Der Untergang" (2004), Hirschbiegels bekanntestes Werk, in dem er den Tätern des Dritten Reichs unangenehm nahe kommt. In "Elser" geht es um die andere Seite - und doch auch wieder grundsätzlich um die Erkundung der zweifelhaften menschlichen Natur.

Mindestens so interessant wie das Heldenbild Elsers sind deshalb die Miniaturen der Mitläufer und kleinen Widerständler in dessen Heimatdorf auf der schwäbischen Alb. Wie sich die große Politik im Kleinen spiegelt, sich die Verhältnisse im Dorf so wandeln, dass Elser weiß, was politisch Sache ist - das haben Hirschbiegel und seine Autoren Fred und Léonie-Claire Breinersdorfer scharf beobachtet. Weniger gelungen sind die Porträts der Nazis; vor allem Burghart Klaußner als Arthur Nebe, der Elser verhört, kommt sehr "menschlich" rüber - als gäbe es auch gute Nazis.

Immer wieder hat Hirschbiegel reale Inszenierungen - den Laborversuch des "Experiments", die letzten Tage des Dritten Reichs im "Untergang" - noch einmal inszeniert, ohne die Ur-Inszenierung zu reflektieren. In "Elser" ist das nun anders, der ganze Film will ein falsches Bild, zunächst das von den Nazis manipulierte Bild richtigstellen. Sehr tief geht das nicht, Hirschbiegel folgt vertrauensvoll den damaligen Verhörprotokollen. Und er verzichtet keineswegs auf Schauwerte. Aber klar wird, dass Bilder gute Komplizen der Nazis waren: In Elsers Heimatdorf wird ein Film über einen örtlichen Sportwettkampf zum Köder für die Jugend.

Elser, D 2014 - Regie: Oliver Hirschbiegel. Buch: Fred Breinersdrofer, Leonie-Claire Breinersdorfer. Mit: Christian Friedel, Katharina Schüttler, Burghart Klaußner, Johann von Bülow. NFP, 110 Min.

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