Eklat in Bonn:Der Kulturstaatsminister ist offiziell entsetzt

Ein Rauswurf erster Klasse: Massenhaft verschenkte Freikarten, verschwundene Dienstwagen, Verjetten von Bonusmeilen und laxester Umgang mit Steuergeldern. Nach harschen Rügen des Rechnungshofs beugen sich staatliche Kontrollinstanzen endlich über hanebüchene Vorgänge in der Bundeskunsthalle zu Bonn.

Stefan Koldehoff

Man hätte das Problem schon früher erkennen können, vielleicht sogar müssen. 2002 zum Beispiel, als zum zehnjährigen Bestehen der "Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland" (KAH) in Bonn eine aufwändige Festschrift entstand, in der ihr Programmgeschäftsführer Jürgen Wenzel Jacob nicht weniger als dreißigmal abgebildet war - unter anderem mit Umberto Eco, dem Dalai Lama, der Königin von Schweden und mit dem großen Museumsmann Pontus Hultén, von dem Jacob irgendwann auch den Titel des Intendanten übernahm. Dass der Kunsthistoriker, der 1986 mit einer Arbeit über die Pop-Art in England promoviert wurde, Wert auf den großen Auftritt legte, blieb niemandem verborgen. Dass er es dafür mit der Geschäftsführung möglicherweise nicht allzu genau nahm, behauptet nun ein detaillierter Bericht des Bundesrechnungshofes.

Eklat in Bonn: Wer den nun vorliegenden Bericht liest, kann den Eindruck gewinnen, jede Imbissbude unterliege einer sorgfältigeren Kosten- und Leistungsrechnung als das von Bund und Ländern mit jährlich 17 Millionen Euro finanzierte Kulturinstitut.

Wer den nun vorliegenden Bericht liest, kann den Eindruck gewinnen, jede Imbissbude unterliege einer sorgfältigeren Kosten- und Leistungsrechnung als das von Bund und Ländern mit jährlich 17 Millionen Euro finanzierte Kulturinstitut.

Das 50-seitige Papier, das die Mitglieder des Haushaltsausschusses des Bundestags erst Dienstag dieser Woche erhalten hatten, führte bereits am Mittwochabend zu ersten Konsequenzen: Kuratorium und die Gesellschafterversammlung der KAH haben beschlossen, dass der Arbeitsvertrag mit dem kaufmännischen Geschäftsführer Wilfried Gatzweiler aufgehoben wird, weil das Vertrauensverhältnis zerstört sei. Programmgeschäftsführer und Intendant Jürgen Wenzel Jacob hingegen muss seine Tätigkeit als Geschäftsführer bis zur Klärung aller Vorwürfe ruhen lassen und ist bis dahin freigestellt.

Einen ersten Bericht Anfang März hatte man in Bonn noch zu ignorieren versucht. Als der Haushaltsausschuss damals schon der bundeseigenen KAH-Gesellschaft massive Unregelmäßigkeiten bei der Geschäftsführung vorwarf, beschloss man in deren Chefetage, darauf offiziell nicht zu reagieren. Der Haushaltsausschuss bat dennoch den Rechnungshof um detaillierte Prüfung. Wer den nun vorliegenden Bericht liest, kann den Eindruck gewinnen, jede Imbissbude unterliege einer sorgfältigeren Kosten- und Leistungsrechnung als das von Bund und Ländern mit jährlich 17 Millionen Euro finanzierte Kulturinstitut.

Für den Bereich der Freiluftkonzerte attestiert der Bundesrechnungshof der Kunsthalle dilettantisches Vorgehen: Besucherzahlen seien viel zu hoch, Kosten dafür viel zu niedrig kalkuliert und Risiken wie schlechtes Wetter gar nicht einbezogen worden. Bewachungskosten variierten je Konzert um bis zu 290 Prozent, abgeschlossene Versicherungen waren nicht genehmigt. In den Jahren 2002 bis 2006 seien rund 21 000 Freikarten im Nominalwert von 840 000 Euro verteilt worden. Bis 2006 seien im Konzertgeschäft und aus dem Betrieb einer Eislaufbahn mehr als sechs Millionen Euro Verlust aufgelaufen, über die dem Kuratorium trotz Nachfragen nicht berichtet wurde.

Besonders schwer wiegen die Vorwürfe finanzieller Unregelmäßigkeiten: Unterm Strich sei die Bilanz der Bundeskunsthalle zwar durch Verschiebungen in der Regel ausgeglichen gewesen. Im internen Finanzgebaren der KAH aber habe es hinten und vorne nicht gestimmt. Als "Vermittlungsprovision" habe ein bereits zahlungsunfähiger Vertragspartner rund 150 000 Euro erhalten. Dass diese Summe, wie den Kontrollgremien erklärt wurde, aus der Konkursmasse zurückfließen sollte, erwies sich laut Prüfbericht als Fehlinformation: "Der kaufmännische Geschäftsführer hat dazu erklärt, dass er sich damals geirrt habe. Es sei von Anfang an klar gewesen, dass die rd. 150 000 Euro nicht zurückerstattet würden." Was mit dem Geld konkret geschah und wohin es verschwand, ist im Bericht nicht belegt. Der Vorwurf der Veruntreuung wird konkret nicht erhoben, schwingt aber in den Bewertungen durch die Prüfer mit.

Ähnlich lax wie mit dem Geld wurde demnach auch bei Dienstwagen und Dienstreisen verfahren. Zunächst wurde ein aus Bundesmitteln geleaster Mercedes, später dann ein BMW rechtswidrig einem Vertragspartner überlassen. Der Prüfbericht moniert weiter: "Die von den Geschäftsführern jeweils selbst genehmigten, teilweise nicht unterschriebenen Dienstreiseanträge ließen vielfach nicht die Notwendigkeit der Reise erkennen. Beispielsweise wurde bei einer Reise nach Sizilien die Begründung Neues Projekt" angegeben." Ein Teil der entstandenen Kosten ist offenbar mit "fachlichen und persönlichen Konflikten" zwischen Gatzweiler und Jacob zu erklären: "So hatte die Geschäftsleitung im Dezember 2006 beschlossen, dass eine bestimmte Ausstellung in Zusammenarbeit mit einem japanischen Tempel nicht finanzierbar und daher abzusagen sei. Die beiden Geschäftsführer unternahmen dennoch im ersten Quartal 2007 in dieser Angelegenheit Auslandsdienstreisen mit unterschiedlichen Zielsetzungen: Während der kaufmännische Geschäftsführer das Projekt gegenüber dem Direktor des japanischen Nationalmuseums bei einem Treffen in Hongkong absagte, führte der Intendant Gespräche in Tokio mit dem Ziel der Durchführung."

Beide Geschäftsführer haben laut Bundesrechnungshof regelmäßig gegen die Bestimmungen des Bundesreisekostengesetzes verstoßen: "Für Übernachtungen machten die Geschäftsführer regelmäßig ohne Begründung die Aufwendungen für erstklassige Hotels geltend." Geflogen wurde überwiegend Business-Class, gefahren mit Taxis. Bonusmeilen nutzte Wilfried Gatzweiler laut Bericht "für die Flugreise seiner privaten Begleitperson auf einer Dienstreise nach Hongkong".

Kulturstaatsminister Bernd Neumann, so berichtet ein Teilnehmer an der Sondersitzung der Kontrollgremien am Mittwochabend, sei über den Prüfbericht entsetzt gewesen und habe den "eisernen Besen" und einen völligen personellen Neuanfang gefordert. Gegen die sofortige Abberufung auch von Wenzel Jacob hätten sich aber, aus nicht immer nachvollziehbaren Gründen, vor allem die Vertreter der Länder Hamburg, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Bayern ausgesprochen. Welche Mitglieder der Kontrollgremien von der großzügigen Freikartenvergabe der KAH profitierten, erwähnt der Bericht des Bundesrechnungshofes nicht. Er vermerkt dazu allerdings: "Schriftliche Aufzeichnungen, die u.a. zeigten, wer, wann und für wen wie viele Freikarten erbeten und bewilligt hatte, wurden im September 2006 im Sekretariat der Geschäftsleitung auf Weisung des kaufmännischen Geschäftsführers vernichtet." Zu diesem Zeitpunkt waren die Vorwürfe gegen die Geschäftsführer auch in Berlin bereits bekannt.

Wenzel Jacob, der als geschickter Taktiker bekannt ist, hat nun die Gelegenheit, die gegen ihn und seine Amtsführung erhobenen Vorwürfe auszuräumen. Politisch verantwortlich für die Vorgänge zeichnete im überprüften Zeitraum der heutige Staatssekretär im sächsischen Wissenschaftsministerium, Knut Nevermann. Er hatte als Amtschef und Abteilungsleiter der Kulturstaatsminister Michael Naumann, Julian Nida-Rümelin und Christina Weiss bis zum Frühjahr 2006 den Vorsitz des Kunsthallen-Kuratoriums inne. Ihm schreibt der Bundesrechnungshof ins Stammbuch: "Das Kuratorium erfüllte seine Pflichten unvollständig. Das Aufsichtsgremium befasste sich nur vereinzelt mit finanziellen Angelegenheiten (. . .) und verzichtete auf zufriedenstellende Auskünfte."

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