Eklat bei Fernsehgala:Der alte Mann und der Blödsinn

Literaturpapst Reich-Ranicki will sich vom Fernsehen nicht ehren lassen. Dabei hätte er wissen müssen, worauf er sich einlässt.

Hans Hoff

Um 21.20 Uhr hatte der große alte Mann genug. Vielleicht konnte er nicht mehr, auf jeden Fall wollte er nicht mehr. Zwei Stunden hatte er sich im Kölner Coloneum die Verleihung des Deutschen Fernsehpreises angeschaut, weil er doch zum Schluss der auf über drei Stunden angesetzten Show den Ehrenpreis der Stifter entgegennehmen sollte.

Eklat bei Fernsehgala: Ein Hauch von großem Drama: Thomas Gottschalk und Marcel Reich-Ranicki bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises.

Ein Hauch von großem Drama: Thomas Gottschalk und Marcel Reich-Ranicki bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises.

(Foto: Foto: AP)

Aber daraus wurde nichts, denn für den ungeduldigen Marcel Reich-Ranicki unterbrach Thomas Gottschalk die Aufzeichnung - und erklärte dem größtenteils aus Medienmenschen bestehenden Publikum, nun werde so getan, als sei bereits das Ende der Show erreicht und nach 24 Preisübergaben die letzte, die ganz große an der Reihe. Für die ZDF-Ausstrahlung am Sonntag Abend, kündigte Gottschalk an, werde die TV-Aufzeichnung dann entsprechend zurechtgeschnippelt.

Was folgte, aber war durch keinen Schnitt mehr zu retten. Denn der zu Ehrende machte den Ausrichtern einen dicken Strich durch die Rechnung - und gleichzeitig ein großes Geschenk. "Heute bin ich in einer ganz schlimmen Situation", begann der 88-Jährige das, was als Dankesrede geplant war. Und fuhr fort: "Ich nehme den Preis nicht an."

Natürlich schaue er auch ab und an mal Fernsehen, Programm von "Arte" zum Beispiel, "aber nicht den Blödsinn, den wir hier zu sehen bekommen haben", polterte Reich-Ranicki. So richtig widersprechen mochte ihm da kaum einer, schließlich hatten bereits Ingolf Lück und Atze Schröder ihren oft als Komik missverstandenen Flachsinn versprüht. Und der Preis für die beste Unterhaltungssendung war allen Ernstes an die Trällershow "Deutschland sucht den Superstar" gegangen.

Echte Empörung und eine Einmann-Friedenstruppe

Sie wirkte sehr echt, die Empörung des großen alten Mannes, auch wenn manch einer im Saal anfangs glaubte, einer perfekten Inszenierung beizuwohnen. Nicht einmal die Tatsache, dass Gottschalk in seiner Laudatio Reich-Ranickis insgesamt 77 Literatur-Sendungen erwähnt hatte, vermochte den Zorn zu mildern. Der Beifall zahlreicher Fernsehschaffender, die das Medium, das sie ernährt, mindestens genauso verachten wie der Preisverweigerer, trieb diesen zusätzlich an.

Nicht alle aber waren begeistert. Empört zeigte sich besonders die WDR-Fernsehdirektorin Verena Kulenkampff nach der Veranstaltung. Diskutiert wurde zudem, ob ein Profi wie Reich-Ranicki, der seine Berühmtheit durchaus auch dem Fernsehen zu verdanken hat, nicht hätte wissen müssen, auf was er sich da einließ. Profitiert hat der Fernsehpreis - der von ARD, ZDF, RTL und Sat1 gemeinsam vergeben wird - trotzdem von dem Eklat, denn im zehnten Jahr seiner Existenz lag erstmals ein Hauch von großem Drama in der Kölner Luft.

Das ist vor allem Thomas Gottschalk zu verdanken, der eine Eruptionspause Reich-Ranickis nutzte und sich als Einmann-Friedenstruppe ins Spiel brachte. Er bot dem Empörten spontan eine Sendung an. In der will er mit Reich-Ranicki übers Fernsehen diskutieren und irgendwie auch die Intendanten einbeziehen. Prompt wurde der eben noch quengelige Altmeister handzahm und später sogar mit der ungeliebten Trophäe gesichtet.

Ob er den Plexiglas-Obelisken nun wirklich angenommen hat, spielte da schon keine Rolle mehr. Schließlich hatte sich durch seinen beherzten Einsatz längst Thomas Gottschalk als Preisträger der Herzen etabliert, als Sieger in der noch zu erfindenden Kategorie "Bester deutscher Krisen-Entertainer und Reich-Ranicki-Besänftiger".

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