Eine Begegnung mit Mark Ruffalo:Hallo, Gleichgesinnter

In "The Kids Are All Right" spielt Mark Ruffalo einen Samenspender, über Sperma zu sprechen ist aber dann doch recht unangenehm. Wie gut, dass er das auch so sieht. Eine Begegnung in Berlin.

Rebecca Casati

Es gibt da diesen Werbespot; wer häufig ins Kino geht, leidet womöglich längst unter ihm, aber beim ersten, zweiten, dritten Mal war er wirklich ganz lustig. Darin steht ein junger Mann in einer Bar und plänkelt eine junge Frau an mit den Worten: "Hallo. Ich bin Ingo." Sie grinst. Hübsch."Ich liebe dich", sagt Ingo also galant. "Ich möchte ein Kind mit dir." Auch das findet sie noch ganz lustig, wie auch sonst, ernst gemeint kann es ja schlecht sein.

60th Berlin International Film Festival - 'Shutter Island' Photocall

Mark Ruffalo, Schauspieler und Vater dreier Kinder, macht sich seine Gedanken zu der Lage Amerikas und Leistungsdruck schon vor der Vorschule. Von einem Thema hat er dagegen genug: Sperma.

(Foto: Getty Images)

Doch dann werden seine Bewegungen schneller, wie bei diesen zu hastig gekurbelten Dick-und-Doof-Filmen. Auch verfällt Ingo plötzlich in eine Art Schlumpf-Falsett, fragt die Frau, ob sie ihn heiratet, so als Mutter seiner Kinder, er trinkt im Zeitraffer sein Bier aus, macht einen Abstecher auf die Toilette, hält dann eine "So geht's mit uns nicht weiter"-Ansprache, um die Frau dann mit den Worten: "Zwischen uns ist einfach zu viel kaputtgegangen" zu verlassen. Alles binnen weniger als einer Minute. Weil Ingo schon viel zu viel Zeit verloren hat im Leben.

Das Level der Bekanntschaft

Auch in der Realität muss man manchmal Unterhaltungen führen oder mitverfolgen, die dem Level einer Bekanntschaft kein bisschen entsprechen. Dank jahrzehntelangem Vormittagstalkshowgestammel ist das eigene Gefühl für Takt oder Höflichkeit in Gesprächen ja auch ein bisschen elastischer geworden.

Und doch ist es nicht so leicht wie angenommen, einem wildfremden Mann gegenüber das Thema Samenspende anzuschneiden. Einmal, weil man auch nach zwei Dutzend Artikeln und Talkshows immer noch keine siebengescheite Meinung dazu hat. Weil man Singlefrauen, lesbischen Paaren und unfruchtbaren Männern auch ihr Familienglück gönnt. Weil man aber andererseits den Konnex zu Männlichkeitsfanatikern oder Menschen, die unbedingt blonden, blauäugigen Nachwuchs haben wollen, schwierig findet. Und weil man eben auch so gar nicht weiß, ob Kinder, die so entstehen, auf ewig eine Leerstelle fühlen.

Auch sagt man de facto nicht gerne "Samen" respektive Sperma. Weder auf Deutsch noch auf Englisch. Weil es an die weinroten Cordschlaghosen von Frau Hesseloh im Biologieunterricht in der 7. erinnert. Und an eine orientierungslose Zeit.

Nun sind Samenspende und künstliche Befruchtung momentan große Themen in Hollywood. Von allen Filmen, die sich damit beschäftigen, wurde The Kids Are All Right mit größter Spannung erwartet; ein Indie-Drama, angesiedelt in der hippen, wohlhabenden, akademischen Bohème von Los Angeles. Das davon erzählt, wie die beiden Kinder eines lesbischen Pärchens ihren biologischen, oder sollte man lieber sagen: genetischen Vater ausfindig machen.

Das ganze Thema ingo-mäßig

Der Film wurde bereits auf dem Sundance-Festival bejubelt, lief im Sommer sehr erfolgreich in Amerika - schon hat der sogenannte Oscar-Buzz eingesetzt - und startet jetzt hier. Mark Ruffalo, der die Hauptrolle spielt, einen Ökorestaurantbesitzer und eben Samenspender, sitzt nun gewissermaßen als Botschafter dieses Trends im Hotel Adlon in Berlin.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Mark Ruffalo vor allem die Art von Schauspieler ist, der andere an seiner Seite glänzen lässt.

"In Amerika wird's grad echt verrückt"

Für das Interview mit ihm sind 30 Minuten angesetzt, und am besten, dachte man kurz vorher, wäre es wohl, das ganze Thema Ingo-mäßig anzugehen, zackzack, damit der unangenehme, intimsphäreverletzende Effekt sich von selbst neutralisiert, sozusagen durch rasche Abnutzung. Also 1. "Hi, Mister Ruffalo." 2. "Wie geht es Ihnen?" 3. "Haben Sie denn auch schon einmal Samen gespendet?"

Ein wahnsinnig netter Kerl

Ruffalo, der in Filmen ein Teddybärgesicht mit glänzenden Knopfaugen hat, wirkt im wahren Leben komplett unauffällig: ein etwas gedrungener Mann mit einer Baseballkappe an einem Hotelkonferenztisch. Nicht schüchtern, aber ohne Pomp, Koketterie oder Attitüde. Einer, der in Filmen glaubhaft wirkt und integer, der andere gut aussehen, wenn nicht sogar strahlen lässt; Sarah Polley in Mein Leben ohne mich, Tom Cruise in Collateral, Kate Winslet in Eternal Sunshine of the Spotless Mind. Oder, wie jetzt in The Kids Are All Right, Julianne Moore und Annette Bening. Ruffalo hat Ärzte, Anwälte oder Ermittler gespielt, war aber vor allem immer eines: ein wahnsinnig netter Kerl.

Er selbst sei übrigens, "nein, nein", nie Samenspender gewesen. Er hätte viel zu viel Angst vor der unberechenbaren Verantwortung. Kennt er die Geschichte über jenen amerikanischen Samenspender, der 300 Kinder gezeugt hat? Nein, sagt er wieder, kennt er nicht, er habe drei Kinder, die sich manchmal wie 30 anfühlen, "aber 300? Wahnsinn." Und er schüttelt fassungslos den Kopf, als könne er selbst nicht glauben, wie er in diese Welt hineingeraten konnte.

Bitte nicht mehr Sperma sagen

Ruffalo wurde vor fast auf den Tag genau 43 Jahren in dem kleinen Industriestädtchen Kenosha in Wisconsin geboren, in eine, wie er sagt, sehr liebevolle Familie italienischer Einwanderer. Nach einer idyllischen Kindheit und ersten Erfolgen als Schauspieler musste er dann ziemlich viel einstecken. 2001 wurde bei ihm ein Gehirntumor entdeckt, der sein Gesicht zeitweise lähmte. 2008 wurde sein Bruder, zu Hause in Los Angeles, im Stil einer Hinrichtung in den Hinterkopf geschossen, das Motiv ist unklar, der Mörder ist immer noch auf freiem Fuß. Die Gewalt, die Sozialsysteme, die Macht der Unternehmen: "In Amerika wird's gerade echt verrückt", sagt Ruffalo.

Er ist ein sehr politischer Mensch, setzt sich für demokratische Belange ein. Er erzählt von seinen Kindern, die dauernd krank wurden, bevor die Familie aufs Land zog - "wohl von dem Smog, der in Los Angeles herrscht". Kinder hätten es heute sehr schwer: "Sie müssen Tests bestehen, um überhaupt in der Vorschule angenommen zu werden." Viele seien dem Druck nicht gewachsen. Wieder anders seien die übrigens sehr begabten Kinder aus The Kids Are All Right: "Sie wollen um jeden Preis erfolgreich sein, sprechen von ihren ,Karrieren', irre. In ihrem Alter habe ich die meiste Zeit am Strand verbracht." Aber zu seiner Zeit hätte man sich sein Kind auch noch nicht auf einer Samenbank besorgt.

Sicherlich haben damals noch nicht so viele Erwachsene ihre Jugend ausgedehnt. Und vielleicht sind Kinder heutzutage wirklich ernster als ihre Eltern, so wie die im Film, die jedes Mal zusammenzucken, wenn es um Sex geht. "Aber", sagt Ruffalo, "auch mir wird gleich anders, wenn ich heute noch einmal ,Sperma' sagen muss." Wie schön. Hallo, Gleichgesinnter.

Deshalb mag man übrigens diesen Film so: Die Menschen sind erwachsen, überinformiert, hochsensibilisiert - und trotzdem so ratlos. 30 Minuten mit Mark Ruffalo sind nicht annähernd so befremdlich wie befürchtet. Jedenfalls haben sie sich genau so angefühlt - wie Echtzeit.

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