Ein Lagebericht:Das dunkle Tal der fetten Puppen

Verwöhnte Prinzessinnen, qualmende Indianer und drei Pelze übereinander. Eine kleine Einführung in ein Gesellschaftsphänomen namens Kitzbühel.

Christian Mayer

Kitzbühel im Januar, das ist ziemlich viel Alarm für einen kleinen Ort in Tirol. Karneval auf hohem Niveau. Ein von Gondeln beförderter Narrenzug. Eine fünf Monate währende Dauerparty, die beim Hahnenkamm-Rennen ihren Gipfel erreicht, bis dann im Mai die Schneeschmelze kommt, die die Skifahrer wegspült, die Wiesen freilegt und die Golfer empfängt.

Ein Lagebericht: Im berühmtesten Dorf von Tirol gibt es keine Peta-Kontrolle, und so hüllen die Kitzbüheler Damen sich in Tierfelle, die man wohl sonst nur noch in St. Moritz und Moskau zu Gesicht bekommt. Marijana Matthäus, jüngste Ehefrau von National-Lothar, kommt als Chinchilla, andere Gattinnen als Waschbär, Nerz oder Blaufuchs.

Im berühmtesten Dorf von Tirol gibt es keine Peta-Kontrolle, und so hüllen die Kitzbüheler Damen sich in Tierfelle, die man wohl sonst nur noch in St. Moritz und Moskau zu Gesicht bekommt. Marijana Matthäus, jüngste Ehefrau von National-Lothar, kommt als Chinchilla, andere Gattinnen als Waschbär, Nerz oder Blaufuchs.

Zwei Dinge eint die Besucher: Sie lassen sich gern verwöhnen. Gerade erst hat das Fünf-Sterne-Hotel A-Rosa eröffnet, das als Burganlage mit 50 Suiten, drei Restaurants, Wellness-Grotte und hawaiianischen Lomi-Lomi-Nui-Massagen wirbt. Und wenn die Kitzbühel-Besucher sich treffen und umarmen, in der Altstadt, in den Hotelhallen oder auf den Skipisten, so tun sie dies gerne verkleidet. Sie tragen exklusive Mode, die man an keinem anderen Ort, zu keiner anderen Zeit im Jahr sieht. Es ist, als würden die Designer Jahr für Jahr eigene Kitzbühel-Linien produzieren, die nur hier vorgeführt werden.

Werner Baldessarini zählt hier zu den Anführern, was das Verwöhnen und das Verkleiden betrifft. Der ehemalige Boss-Chef, der mit seiner früheren Firma gerade wegen der Einstellung seiner Herrenkollektion im Clinch liegt, hält gerne Hof. In Kitzbühel gilt der 60-jährige Kufsteiner als bester Gastgeber zwischen Hahnenkamm und Horn. Vor kurzem war Baldessarini als Indianer unterwegs, als Häuptling einer Wildwest-Party beim Stanglwirt an der viel befahrenen Hauptstraße in Going. Um den Marterpfahl versammelten sich einschlägig bekannte Medienmenschen: Verona Pooth, die trotz weißem Westernhut und Federschmuck noch immer wie Verona Pooth aussieht. Wladimir Klitschko im Habit eines Apachenchefs. Veronica Ferres als Cowgirl mit umgeschnalltem Plastikcolt. Mariella Ahrens als laszive Bardame an der Seite eines Bleistift-Barons, der zur Abwechslung mal echt ist.

Wie verläuft so ein Abend in Kitzbühel? Die Ohovens, die Ochsenknechts, Arabella Kiesbauer, Thomas Haffa und Dana Schweiger, sie alle spielen mit Feuereifer Bonanza, und die Band spielt Countryklassiker. Österreichs Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der als Alpen-Scharping auf Society-Partys immer einen knallharten Job macht, küsst und tätschelt seine Ehefrau Fiona Swarovski, in der Knallpresse bekannt als Kristallerbin. Nach Mitternacht tanzt die Münchner Produzenten-Tochter Giulia Siegel einen "wilden" Cancan, an dem sich die verblasste Eurodance-Größe Haddaway beteiligt. Hier in Kitzbühel ist Haddaway, der an diesem Abend ein Frauenkostüm trägt, nämlich gar nicht verblasst, sondern der heimliche Karnevalsprinz.

Auf der Wildwest-Party hat man ein bisschen das Gefühl, in der Kulisse des neuen TV-Gaga-Formats "Die Ranch" zu stehen. Gastgeber Baldessarini wirkt an diesem Abend jedenfalls so glücklich und ausgelassen wie ein Schuljunge, der gerade eine Ladung Platzpatronen abgefeuert hat.

Beim Schnee-Polo-Turnier am folgenden Tag, ebenfalls von Baldessarini organisiert, geht der Karneval weiter. Auf der Tribüne an der Münichauer Wiese in Reith sonnen sich vor herrlicher Kulisse die ewig braun gebrannten Mittvierziger; der Kater vom Vorabend beim Stanglwirt wird mit Champagner weggespült. Blondinen mit pinkfarbenen Nerztaschen von Chanel, weißen Cazar-Stretchhosen und passenden Moonboots von Dior verstecken sich hinter gesichtsbedeckenden Sonnenbrillen, die Begleiter haben sich in ihren Steppjacken mit Coyotenkapuze zu doppelter Breite aufgeblasen und pusten Zigarrenrauch ins Gewimmel auf dem planierten Platz. Genauso stellen sich Fernsehzuschauer reiche Leute vor, und damit dieses Bild sich auch einprägt, rauchen die Männer ihre Zigarren, nesteln die Frauen an ihren Nerztaschen und spielt Heino Ferch den Poloprofi; die Kamerateams sind nie weit und filmen und fotografieren alles mit.

Beim Hahnenkamm-Rennen schließlich verwandelt sich der 8500-Einwohner-Ort in einen Prominentenkindergarten. Bernie Ecclestone fährt mit Niki Lauda im Spielmobil über die vereiste Piste, Thomas Gottschalk pflügt mit Rot-Kreuz-Binde um den Kopf die Streif herunter, Uschi Glas und Chris de Burgh sitzen auf der Tribüne, Veronica Ferres sowieso. Der FC Bayern schickt seine Profis am Abend in Clubsakkos zur Sponsorengala. Die Swarovski und der Finanzminister knutschen vor der Streif schon wieder für die Fotografen, was allmählich penetrant wirkt.

Die weiblichen Besucher scheinen dagegen aufrichtig befreit zu sein, wie nach einer langen Phase der Unterdrückung: Endlich wieder im Porsche Cayenne von der Münchner Schotterebene über die Autobahn in die Berge rasen! Und endlich mal drei Pelze übereinander tragen, ohne gleich einen dummen Spruch zu kassieren! Im berühmtesten Dorf von Tirol gibt es keine Peta-Kontrolle, und so hüllen die Kitzbüheler Damen sich in Tierfelle, die man wohl sonst nur noch in St. Moritz und Moskau zu Gesicht bekommt. Marijana Matthäus, jüngste Ehefrau von National-Lothar, kommt als Chinchilla, andere Gattinnen als Waschbär, Nerz oder Blaufuchs.

Zugegeben, Kostümierungen sind kein reines Kitzbühel-Phänomen. Auch in Ischgl lassen die Leute die Sau raus. In grotesken Neonjacken und Eisbär-Zottelmützen fahren sie am Nachmittag betrunken dem Vordermann mit den Carvingbrettern in die Haxen. Sieht man in den Bergen ja überall. Dazu ist wohl einfach jeder Skiurlaub da: sich aufplustern und ins Tal rasen.

Außerdem ist die Kitzbühel-Fraktion auch nicht homogen. Man muss bei den Besuchern zwischen zwei Gruppen unterscheiden: Die Tirol-Freunde, die dem Vorbild Franz Beckenbauer nacheifern und sich rechtzeitig ein Haus gekauft haben - am besten eine Landhausvilla für ein paar Millionen Euro in Sonnenlage am Jochberg, an der Bichlalm oder am Römerweg. Sie tragen gedeckte Farben und allenfalls einen Kaschmir-Schal zur schmal geschnittenen Jeans. Woolrich-Parkas, Tommy Hilfiger und Ralph Lauren sind okay, und abends am Kamin dann Tweedsakko.

Die Tirol-Freunde gehen abends beim Hallerwirt in Oberaurach zum Essen und später in die elegante Bar Ecco. Sie lieben auch das Hotel Tenne, weil das Haus so alt ist und rustikalen Landadel-Schick verströmt. Außerdem lädt "der Franz" dort immer seine Freunde zum Karpfen-Essen ein, na also.

Tirol-Freunde rümpfen die Nase über die Outfits der nachrückenden Ausländer, weil die im Zentrum die letzten Parkplätze blockieren. Kürzlich haben die vermögenden Zweitwohnungsbesitzer gemeinsam mit den Einheimischen viel Geld gesammelt für die Renovierung der historischen Liebfrauenkirche - man will es gemütlich haben am Heiligabend, wenn der polyglotte polnische Pfarrer die Messe liest.

Die anderen, das sind die reichen Ausländer, darunter auch die Russen, die trotz gegenteiliger Beteuerungen der Hoteliers nach Kitzbühel drängen. Und die holländischen Pistenschrecks. Die 19-jährigen Oberschichtenkinder aus England, die nachts im Londoner neben dem Stammtisch von Thomas Haffa Cocktails saufen, und die Provinzpromis aus deutschen Bindestrich-Bundesländern.

In Rosi Schipflingers Sonnbergstub'n prallen alle diese Karnevalszüge aufeinander. Einheimische Skilehrer mit Tiroler Sexappeal, Snobs in MonclerJacken und Cayenne-Ladys, die ihre Satin-Stilettos in der Plastiktüte mitführen. Bei der Rosi rückt man eng zusammen. Ein wenig pikiert waren die Rosi-Gäste angeblich nur, als an Silvester Tatjana Gsell bauchfrei auf dem Schoß ihres Hohenzollern-Prinzen herumturnte, was auch im Fachblatt Bunte Entrüstung auslöste. Inzwischen sei Kitzbühel aber wieder "gesellschaftlich keimfrei", meldet das Heft.

Die Frage, was den Charme von Kitzbühel ausmacht, beantwortet Franz Prader mit der jahrzehntelangen Routine eines Hofschneiders. Der 70-jährige Modehändler, der kurz vor der Talstation der Hahnenkammbahn sein Herrengeschäft betreibt, will nichts davon wissen, dass sein Heimatort ein Opfer des eigenen Erfolgs geworden ist. "Kitzbühel ist doch einmalig, so was gibt es auf der ganzen Welt nicht. Die eleganten Leute, die herrliche Landschaft, die Restaurants. Einmalig. Einfach einmalig", schwärmt Prader. An den Wänden hängen Fotos von Helden, die hier maßschneidern ließen: Sean Connery, Jean-Paul Belmondo, Rock Hudson, die Kessler-Zwillinge, Udo Jürgens, ein jugendlicher Roman Polanski, Romy Schneider. Die Vergangenheit ist sehr präsent in Praders Geschäft. Dass die Promis die Bergluft und die Wahnsinnskulisse Wilder Kaiser lieben, ist kein neues Phänomen.

Neu ist nur, dass der Auftrieb ein wenig greller geworden ist. Und dass sogar Dolly Buster beim Weißwurstessen im Stanglwirt erscheint. Aber alles kein Grund zur Besorgnis für die Tirolfreunde, vielleicht ist ja es auch nur ein Dolly Buster-Kostüm.

Ist ja Karneval.

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