Ein Ex-Paparazzo prangert seine Zunft an:Motiv: Privatsphäre

Ein Auto rammen, um ein Foto von Lindsay Lohan zu ergattern? Paparazzi waren noch nie zimperlich. Doch die Methoden, mit denen sie ihre Opfer heute zur Strecke bringen, sind neu.

Von Jörg Häntzschel

Lindsay Lohan fuhr in ihrem Mercedes durch Beverly Hills, als sie plötzlich von hinten ein Minivan rammte. Kaum war sie ausgestiegen, um zu sehen, was passiert war, blitzten vier Canons in ihr entsetztes Gesicht. Cameron Diaz lief mit Justin Timberlake und einem Freund eine Straße entlang. Ein Wagen brachte den Freund gezielt zu Fall, das damalige A-List-Pärchen beugte sich erschrocken hinab. Das Bild wurde überall gedruckt.

Fast täglich lieferten die Paparazzi sich eine Verfolgungsjagd mit Britney Spears. Das Ritual hörte erst auf, als sie ihr Vater entmündigen ließ und zu Hause festsetzte. Doch die Männer mit den Kameras hängen noch immer vor der Einfahrt zu ihrer Villa an der Ecke Mulholland Drive und Coldwater Canyon herum. Was auch immer passieren mag - die Bilder werden Tausende wert sein.

Paparazzi waren nie zimperlich, und auch wenn ihnen die Schuld am Tod von Lady Di nie nachgewiesen wurde - das Drama festigte den miesen Ruf der Branche. Doch die Methoden, mit denen sie ihre Opfer heute zur Strecke bringen, sind neu.

"Unter ihnen sind einige der miesesten Leute auf dieser Erde", sagt Brad Elterman, ein netter 50-Jähriger mit Haaren wie Bob Dylan. Er muss es wissen, er ist Besitzer der Paparazzi-Agentur Buzz Foto und lief bis vor 20 Jahren selber den Stars mit der Kamera nach. "Früher ging es um Charme, Cleverness, Humor. Diese Typen haben keinen Charme und keinen Humor. Früher ging es darum, ein ikonisches Bild zu machen. - Ikonisches Bild? Die wissen nicht, wovon du sprichst. "

Elterman versucht, dem Star-Schuss wieder zu seinem Recht zu verhelfen: Rihanna mit sehr vielen Eierschachteln im Einkaufswagen, Paris Hilton, die in Highheels mit einem pinkfarbenen Surfboard kämpft, das einfach nicht in den Bentley passen will, oder Robert Plant in knappen Höschen auf einem Sportplatz.

Es ist nicht Cartier-Bresson, den er als Vorbild nennt, aber immerhin ein Versuch, dem Promifoto ironische Distanz zu verleihen. So zeigte er kürzlich in der Ausstellung "Paparazzi As An Art Form" in der Maryam Seyhoun Gallery in West Hollywood eigene Werke aus den Siebzigern und Neues von seinem Business-Partner Henry Flores und anderen.

Ruhm gab es immer. Neu ist die fast obsessive Beschäftigung mit den Berühmten - und der Hohn, der über sie vergossen wird. Sie waren unerreichbare Idole, heute sind sie hochgezüchtete, aber unglaublich anfällige Wesen, deren öffentliches Auseinanderfliegen oft mehr Unterhaltungswert hat als alle Platten, alle Filme, die sie je machten. Dokumentiert wird es von den Paparazzi.

Seit sich Spears im Februar 2007 den Kopf rasieren ließ und damit für das berühmteste Promi-Bild der letzten Jahre sorgte, ist die Gier nach diesen Aufnahmen noch einmal gewachsen. Der Markt explodiert. Allein in den USA bringen People, In Touch, Us Weekly, Star und der National Enquirer nichts als Paparazzi-Bilder. Hinzu kommen etliche Klatsch-Sendungen im Vorabendprogramm - und unzählige Websites. Von vergleichsweise höflichen wie Gawker über TMZ, X17, Perez Hilton mit seinem boshaften Camp-Humor bis hin zu widerwärtigen Pöbel-Foren wie Dlisted oder Idontlikeyouinthatway, wo die Stars als "Nutten" und "Arschlöcher" apostrophiert werden.

Wesen, nicht von dieser Welt

Die heutige Figur der "Celebrity" entstand aus dem Zerfall des Studiosystems. Bis Anfang der Fünfziger kontrollierten die Hollywood-Majors außer der Karriere auch das Image ihrer Stars. Sie waren Wesen wie nicht von dieser Welt, anzubeten in den tempelartigen Kinopalästen. "Privat" bekam man sie nicht zu sehen. Ein Zauberer, so die Logik, bittet sein Publikum auch nicht hinter die Bühne.

Sobald sich die Schauspieler jedoch von den Fesseln der Studios lösten, konnte sie niemand mehr daran hindern, gelegentlich sie selbst zu sein. Das Fernsehen, das die Bilder der Filmstars auf Miniaturformat schrumpfen ließ, ihre Zahl vervielfachte und sie in die banale Umgebung der heimischen Wohnzimmer transportierte, tat ein Übriges, um aus Ikonen Menschen zu machen.

Die Paparazzi waren die Chronisten dieser Vermenschlichung, oft mit dem augenzwinkernden Einverständnis der Abgelichteten. Paparazzo, das ist bekanntlich eine Figur aus Fellinis "La Dolce Vita" von 1960, ein Typ nach dem Vorbild des Fotografen Tazio Secciaroli, der mit der Vespa die Lokale in der Via Veneto nach saftigen Szenen des dekadenten römischen Nachtlebens abklapperte. Er wurde später Sophia Lorens persönlicher Fotograf.

Die neue Imagepolitik der Stars kultivierte nach den Regeln der fachgerechten Verführung ein oszillierendes Doppelbild: Hier die Distanz auf der Leinwand, dort scheinbare Nähe durch kleine Proben aus einem nicht minder farbigen Privatleben. Die Filmschauspielerin musste Göttin und Mädchen von nebenan gleichermaßen sein, hier in Cannes über den roten Teppich schweben, dann wieder mit verdreckten Caprifischern flirten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite weiter, wie "Citizen Paparazzi" die Arbeit der Fotografen beeinflussen.

Motiv: Privatsphäre

Jenseits der Leinwand hieß das Ideal "Natürlichkeit". Inszeniert oder nicht, das wollte man nicht so genau wissen, so packend und verführerisch waren die Bilder von den Kennedys im Urlaub; von James Dean in den Pfützen des Times Square; oder später von John und Yoko im Bett. Auch der Alltag der Stars war Kino! Und die Fotografen erzählten davon. Bilder wie diese waren die Vorlagen für Paparazzi wie Brad Elterman.

Er war kein ganz großer wie Ron Galella, doch er lebte bestens. Er fotografierte Bob Dylan und Robert DeNiro. Er ging für Bravo mit Boney M. auf Tour. Leif Garrett, das Teenidol, lud ihn nach Hause ein. Und Duran Duran zeigte er in seinem alten Mercedes den Sunset Strip, bevor er sie auf dem Hoteldach ablichtete. "Heute wäre das alles nicht möglich", sagt er traurig. Ohne "Glam Squad", ein etwa zehnköpfiges Team von Leuten für Makeup, Haare und vieles andere, ohne einen Scheck unter dem Tisch, geht nichts. Und selbst wer bereit ist, das alles aufzubieten, bekommt keinen Termin.

Das verhindert der "Publicist", der Pressemensch, der das Image des Stars überwacht, jedes Aus-der Rolle-Fallen verhindert und die Verbreitung seines Gesichts, seiner Statements, seiner Geschichte kontrolliert. In einer Zeit, in der jedes Lebenszeichen des Stars mit bulimischem Appetit verschlungen wird, schließt der Publicist den Kühlschrank, bevor das Kotzen losgeht. Und hofft, so zu retten, was zu retten ist von der einstigen Entrücktheit.

Doch die Gier bleibt, und sie wird leichter gestillt denn je. "Wir fotografierten nachts, am nächsten Morgen entwickelten wir die Bilder, dann riefen wir den Korrespondenten vom Bauer Verlag an", erinnert sich Elterman. "Am Ende waren zwei Tage vergangen, bis das Bild überhaupt in den Redaktionen ankam." Wenn Britney heute zu McDonald's geht, ist das Bild Minuten später in 100 Ländern.

Die Promi-Websites wiederum haben die Nachfrage explodieren lassen. Und dank Handys, Digitalkameras und Camcorder, mit denen jeder passable Bilder oder Filmchen machen kann, liefern nicht mehr nur die Profis. Bild rief während der Fußball-WM die Leser auf, Promis zu knipsen. Bei Mr. Paparazzi erhalten die Amateure sogar eine Einführung in die Marktlage: "Wenn Du David Beckham in der Unterhose siehst, schick uns das Bild sofort rüber und mach echte Kohle." Aber: "Craig von ,Big Brother' ist nicht mehr so aufregend. Solange Du nur Z-Listen-Personal ablichtest, wird es dauern mit der Yacht."

Die Profis hassen die "Citizen Paparazzi". Sie ruinieren die Preise, ruinieren die Schüsse und machen die "Celebs" noch gereizter. Doch ihre Bilder entsprechen den Wünschen des Publikums. Die technische und künstlerische Qualität des Fotos interessiert ebensowenig wie jene Sorte Obsession, die Ron Galellas Bilder der von ihm jahrelang verfolgten Jackie Kennedy so gut macht. Gefragt sind Berühmte in banalen Situationen.

Röntgenbild der Wahrheit

"Stars - sie sind wie WIR" lautete die Seite in Us Weekly, ein Titel, der unser neues Verhältnis zu den Berühmten am besten auf den Punkt bringt: Gwen Stefani füttert ihr Kind, Martin Sheen holt Hemden von der Reinigung, und Kurt Russell gähnt. "Die meisten Leute, die diese Magazine lesen, leben nicht in New York und nicht in LA, sondern irgendwo dazwischen. Die Kinder schreien, der Mann ist ein Idiot, das Wetter ist scheiße. Da ist es erholsam, ein paar harmlose Bilder aus einer schöneren Welt zu sehen, mit Stars, die Shopping machen wie sie selbst", sagt Elterman.

Doch die neuerdings so flachen Hierarchien sind auch die Konsequenz aus Reality-Fernsehen und Youtube-Ruhm, die Warhols Diktum mit den 15 Minuten täglich neu bestätigen. Wenn jeder "American Idol" oder Deutschlands "Superstar" sein kann, warum dann noch echte Stars anbeten? Der Glamour kommt den kleinen Angestellten zu, die es in den "Big Brother"-Container geschafft haben, während das Leben der echten Stars immer mehr einer Reality-Show ähnelt.

Umso lieber sehen wir diesen aber beim Stolpern und Fallen zu, als wollten wir diesen kulturellen Klimawechsel immer wieder neu vorgeführt sehen. Angesichts ihrer Katastrophen fühlt sich die Banalität des eigenen kleinen Lebens gleich viel besser an. Solange die Stars aussahen wie solche und sich so benahmen, drückte sich die Schadenfreude noch hinter respektvoll vorgehaltener Hand aus.

Doch seit sie im Spiegel der Paparazzi-Fotos als hässlich, irr und öde erscheinen, sind alle Hemmungen vergessen. Die Fotos sind zu Einladungen geworden für aggressive Hasstiraden, so als seien die Abgelichteten Schuld an all unserer mit ihnen verlorenen Lebenszeit. Je besser sie von ihren Image-Wächtern abgeschottet werden, desto blutrünstiger fällt das Publikum in jedem unaufmerksamen Augenblick über sie her.

Nicht ihre schlechten Filme oder ihr exzessiver Reichtum werden ihnen zum Vorwurf gemacht, auch nicht Dummheit oder schlechter Geschmack. Stattdessen werden ihre Körper abgesucht. Nach Anzeichen der Schwangerschaft, nach Spuren frischer Operationen, am liebsten aber - in geheuchelter Fürsorge oder offen schadenfroh - nach Symptomen des Pathologischen. "Breaking News: Amy Winehouse hat immer noch geschwollenes Gesicht!", ließ eine Website vor wenigen Tagen über den Bildschirm laufen, als sei ein Krieg ausgebrochen.

Hier sind die Paparazzi in ihrem Element. Ob Michael Jacksons Nase oder Nicole Richies Hungerarme: Der Schnappschuss, wenn er nur hart und direkt genug ist, zeigt wie ein Röntgenbild die Wahrheit, die die Stars mit ihrem falschen Lächeln gern verbergen würden. Zu dünn, da stimmt was nicht. Zu dick, der Kummer! Und Britneys Augen: Sind es Prozac-Augen? Sind es Provigil-Augen?

Die endlose Serie von Anfuttern, Runterfasten, Zudröhnen, betrunken Autofahren, Rehab, Durchdrehen, Scheidung, Riesenkrach und Versöhnung, kurz: Leiden, Schönsein, Kranksein - alles für uns - ist unter dem Kamera-Blitzlicht die Achse der Star-Karriere geworden. Die Zeiten, als James Dean fröstelnd und dekorativ über den Times Square ging, sind lange vorbei. Und später, als er im Porsche starb, hatte er nicht mal getrunken.

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