Ein Ausflug ins Atomkraftwerk:Unser kleiner Reaktor

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Und den Pudding zahlt Eon: In Zeiten der Erderwärmung will die Atomindustrie Umwelt-Sympathiepunkte gewinnen. Eine Einladung ins AKW soll letzte Skeptiker überzeugen. Nur allzu kritische Fragen, die dürfen sie nicht stellen.

Alex Rühle

Inzwischen machen in der Werbung ja wirklich alle auf Umwelt. Vor allem die einstigen Sünder. Baufirmen, Banken, Fluglinien gebärden sich als Umweltschützer. Die Autobranche feiert ohnehin jedes neue Modell als ökologischen Weltenretter. Nun ist auch die Atomindustrie in die Offensive gegangen. In den vergangenen Wochen lag diversen Magazinen ein Heftchen über "Deutschlands ungeliebte Klimaschützer" bei. Auf dem Titel sieht man Atomkraftwerke in idyllischer Landschaft, zwischen Himmel und Wiesen, hinter weidenden Schafen, am weinbestandenen Neckar.

Sogar der harmlose Wasserdampf aus den Kühltürmen ist auf den meisten Fotos wegretuschiert. Im Text dann der Trumpf: "Die 17 deutschen Kernkraftwerke decken 26 Prozent der Stromerzeugung ab, stoßen kein Kohlendioxid aus und verhindern so jährlich 150 Millionen Tonnen CO2." Parallel zu der Aktion hat sich das deutsche Atomforum die Internetseite klimaschuetzer.de gesichert. Das Heft endet mit der Einladung, sich persönlich ein Bild zu machen "bei einer Führung durch ein Kernkraftwerk in Ihrer Nähe".

Eigenartige Idee - ein Ausflug ins Atomkraftwerk. Dabei ist das in anderen Ländern ganz normal. Die Franzosen lieben ihre AKWs, sind sie doch Symbol der Grande Nation. Viele Franzosen machen Sonntagsausflüge in ihr Kraftwerk, mit Picknick auf dem Werksgelände. Und die Amerikaner haben ein geradezu fetischhaftes Verhältnis zu ihren Kraftwerken, aufgrund der enormen Leistung. "Oh mei", sagt Herr S., "wir waren achtmal Weltmeister, haben in Isar II weltweit den meisten Brutto-Jahresstrom erzeugt. Was die Amis da draus machen würden - bei uns weiß das kein Mensch."

Herr S. ist Leiter der Öffentlichkeitsarbeit im Kernkraftwerk Isar. Vor dem Besuch wollte er die schriftliche Zusicherung, dass man als Journalist während der Gruppenführung keine kritischen Fragen stelle. "Wegen der Sache", wie eine Mitarbeiterin am Telefon raunt. Die Sache ist der Vattenfallsche PR-GAU nach den Notabschaltungen in Krümmel und Brunsbüttel. Hinter vorgehaltener Hand erzählen einem Ohu-Mitarbeiter, Vattenfall habe der Branche einen "Bärendienst" geleistet, denn "die Ideologen, die uns abschalten wollen, deren Mühle kriegt ja jetzt wieder Wasser."

Herr S. und sein Mitarbeiter Herr L., die beide seit mehr als zwanzig Jahren in Ohu arbeiten, können sich noch lebhaft an die Zeit nach Tschernobyl erinnern. Dauernd seien ängstliche Fragen gekommen, überall diese fahle Fall-out-Stimmung. Kein Wunder, dass die Atomenergie damals umbenannt wurde in "Kernenergie", das Wort wurde eher akzeptiert als die "Atomkraft", die mit Strahlen und Bomben assoziiert wurde. Damals wurde auch das "Restrisiko" erfunden, das aus dem riesigen Problem der Endlagerung eine Lappalie machte, über die sich höchstens noch paranoide Panikfreunde aufregen können.

Den Pudding zahlt Eon

Herr L. und Herr S. wirken zufrieden, heute würden die Besucher "vernünftige" Fragen stellen, es gehe um Wirtschaftlichkeit, Arbeitsplätze und ums CO2. "Wenn da ein Lehrer von 68 mit so einem rosa Hemd kommt, den kriegen Sie immer noch nicht", sagt S., aber die meisten seien erfreulich aufgeschlossen. "Früher war's eine Glaubensdiskussion, heute ist es kein Thema mehr. Es waren sogar schon SPDler da", sagt Herr L., und Herr S. ergänzt: "Einmal stand eine Grüne bei mir im Reaktor. Sage ich zu der: Wenn Sie mir sagen, wo ich die Energie herkriege, ich schalte den Reaktor sofort ab. Sofort." Leider seien die Alternativenergien aber keine wirkliche Alternative. "Auch in Zukunft nicht. Weil nachts scheint ja die Sonne nicht."

Heute scheint sie, die Betonkuppel von Isar II steht im weißen Nachmittagslicht. Das Areal gleicht einem Dorf, statt der Kirche gibt es als Orientierungspunkt den Kühlturm, aus dem der Isardampf in Kumulusschwaden aufsteigt. Im März 1988 stürzte in zwei Kilometer Entfernung ein Mirage-Düsenjäger ab. Damals wurde die Gegend oft für Kampfübungen genutzt. Der Kühlturm war beliebte Wendemarke. Auf dem Weg grüßt Herr L. permanent freundlich über die Straße, der Betriebsarzt kommt vorbei, "und das da hinten waren zwei unserer Physiker".

Gerade erst wurde der Betreiberfirma Eon aufgrund des heißen Sommers eine Ausnahmegenehmigung erteilt, sie darf nun die Isar durch die Einleitung von Kühlwasser auch über den erlaubten Grenzwert aufheizen. Das Landratsamt Landshut gab die Erlaubnis gleich bis 2009. Bis dahin will Eon Isar I, das älteste Kraftwerk Bayerns, mit einem neuen Kühlwerk nachgerüstet haben. "Das kostet uns einen zweistelligen Millionenbetrag", sagt Herr L., "aber das ist kein Thema, das machen wir."

Zweierlei ist an diesem Satz interessant: Geld ist kein Thema, wird aber doch thematisiert. Dreimal wird betont, dass der Besucher Kosten verursache, für sieben Besucher brauchen sie drei Begleiter, "kostet alles ein Geld, darf man nicht vergessen", sagt Herr S. Und beim Mittagessen mit Pudding heißt es, dass das natürlich die Firma zahle, kein Thema, aber irgendwo müsse dieses Geld ja erst mal herkommen. 2006 verbuchte Eon einen Gewinn nach Steuern von 4,3 Milliarden Euro.

Noch interessanter an der Nachricht vom Bau des neuen Kühlsystems ist aber, dass Isar I laut Atomausstiegsgesetz eigentlich spätestens 2011 vom Netz müsste. Eine solch teure Nachrüstung für ein bis zwei heiße Sommer ergibt für ein Unternehmen, das jedes Mittagessen genau zu verrechnen scheint, betriebswirtschaftlich keinen Sinn. Die grüne Landtagsabgeordnete Ruth Paulig sieht solche Sätze denn auch als Indiz dafür, "dass der Konzern davon ausgeht, dass das AKW noch länger läuft."

Da hat Eon gute Chancen. Den Umweltminister Sigmar Gabriel muss es momentan schier zerreißen: Der Bundestag hat sich eigentlich schon dafür ausgesprochen, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu verringern; bisher steigen sie noch immer. Die Wirtschaft soll auch weiter wachsen. Und selbst Optimisten, die der Umwelt mit heißem Herzen zugetan sind, schätzen, dass die erneuerbaren Energien bis dahin ein Viertel des deutschen Stroms liefern und damit den Ausstieg aus der Kernenergie "fast vollständig" ausgleichen könnten. Da wäre man dann bei null Prozent. Momentan sind deutschlandweit 40 neue Kohlekraftwerke geplant.

"Die Klimadiskussion bringt Drive in die Debatte", feixte der RWE-Vorstand Jan Zilius kürzlich. "Der Klimawandel lässt uns vieles anders sehen." Vielleicht ist das deutsche Atomforum in seiner Siegesgewissheit mit der Broschüre ein wenig zu eilig vorgeprescht: Bemerkenswert an dem Heft über die "17 Klimaschützer" ist ja, dass hier mit der Angst vor der Klimakatastrophe gespielt wird - von der Branche, die in den vergangenen Jahrzehnten die größten Ängste verursacht hat. Die Kampagne kam nicht so gut an; sie wird gerade eingestellt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie der Autor des Textes ins Heiligste eines AKW, das Reaktorgebäude, eintritt.

"Vereinzelungszelle", was für ein wunderbares, existentialistisch großes Wort. Und was für eine winzige Einrichtung: eine Kabine, in der man nur aufrecht stehen kann, bei geschlossenen Drehtüren. Man schaut in eine Art Fotoautomatenfenster, Gesichtskontrolle. Dann geht die innere Tür auf und man ist im Allerheiligsten, im Reaktorgebäude. Isar II wird gerade gewartet, deshalb geht es durch Isar I. Wachleute, die große Pistolen tragen, suchen einen entschieden mannhafter ab, als das an Flughäfen der Fall ist, ein Schild weist darauf hin, man dürfe im Reaktor nicht essen, trinken, rauchen und keine Waffen bei sich tragen.

In der Vereinzelungszelle

20 000 Besucher kommen pro Jahr, heute sind drei Gruppen da, eine Hauptschule, ein Gymnasium, eine Expertengruppe der FH Landshut, die in ihren Fragen keine Ängste artikuliert, sondern sich kühl nach der "Organisation des Regelstabstickstoffpolsters" erkundigt.

Drinnen erst mal umziehen: Es werden weiße Schutzanzüge getragen, Überschuhe mit roten Noppen und ein Helm. Man läuft durch fensterlose Gänge und steigt in olivgraue, klackernde Apparate, die an Tati-Filme erinnern. Am Ende leuchtet stets schnarrend ein Lämpchen auf: "keine Kontamination". Vieles wirkt fahl, nach siebziger Jahre, Betonbau in Cremeweiß. Damit liegt Isar I im Trend: 327 der weltweit 435 AKWs sind seit mehr als 20 Jahren, 114 seit mehr als 30 Jahren in Betrieb. Wenn man als Laufzeit eines AKWs 40 Jahre veranschlagt, müssten bis 2025 drei Viertel der Anlagen stillgelegt und in zwanzig Jahren 300 neue AKWs gebaut werden, nur um den Status quo aufrechtzuerhalten. Schon heute aber werden laut Münchner Umweltinstitut weltweit nur drei Prozent des Gesamtenergieverbrauchs nuklear erzeugt. Die AKWs werden das Klima auch nicht retten können.

Man läuft weiter durch heiße, brummende Gänge, sieht ab und an in der Ferne orangefarbene oder grüne Männchen umherlaufen und steht dann über dem Abklingbecken: kristallblau flirrendes Wasser, darin liegen in mehreren Metern Tiefe die verbrauchten hochradioaktiven Brennelemente, die hier einige Jahre abkühlen. Hinter dem Becken, unsichtbar, der Gral, der Reaktordruckbehälter, in dem die Uran-Kerne mit Neutronen beschossen werden. Hier, in der klaren Stille, werden 900 Megawatt erzeugt, drüben im Weltmeisterreaktor Isar II, sind es 1400 Megawatt, ungefähr so viel wie München, Augsburg und Regensburg zusammen verbrauchen. Eine blaue Kamera der IAEA filmt den Raum, "da geht's um den Atomwaffensperrvertrag", sagt Herr L., "dass nichts wegkommt". Nach dem Abklingen kommen die Elemente in die roten Castorbehälter, die "absolut sicher" sind, wie Herr L. sagt. Es hat etwas Beruhigendes, wenn einem Menschen zusichern können, dass es ewiggültige Patentlösungen für all den Müll gibt, während man selbst nicht mal weiß, ob man die nächsten zwei Jahre noch dicht hält.

Herr L. macht seinen Job gut, die Leute nicken bei jedem Satz, alles klingt plausibel und beruhigend, wir könnten die Umwelt ja retten, man lässt uns nur nicht. Gut, er erwähnt nicht, dass es vor allem staatliche Subventionen sind, die den niedrigen Preis des Atomstroms ermöglichen; dass es weltweit noch immer kein Endlager für hochradioaktiven Abfall gibt; dass weit mehr als hundert Flugzeuge täglich im Landeanflug auf den Münchner Flughafen über das Kraftwerk schweben. Aber er sagt, man solle am Ende des Rundgangs sorgsam die Hände waschen und über das ruckelnde Schuhsohlenputzband laufen.

Dann steht man wieder draußen, hinter einer Jahr für Jahr heißer werdenden Isar, schaut in den knallblauen Himmel, in dem ein Flugzeug mit gleißenden Kondensstreifen in Richtung Flughafen schwebt, und steigt ratlos in die eigene CO2-Schüssel ein.

© SZ vom 10.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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