Ein Aufsatz:Der Fluch des Ludimoderators

Die Neujahrsgeschenke des Augsburger Barockpublizisten Bartholomäus Wagner bestanden aus schriftlichen Widmungen, die heute arg skurril wirken.

Von Rudolf Neumaier

Nach alter, nach sehr alter Zeitrechnung hätte das neue Jahr schon begonnen. Für die Reichskanzlei und einige Bistümer zum Beispiel war im Mittelalter der 24. Dezember der letzte Tag des alten Jahres und der 25. Dezember schon der erste des folgenden. Am 1. Januar gab es freilich auch etwas zu feiern, denn ein großes Christenfest wie Weihnachten dauerte bis zum achten Tage - zur Oktav. Unbekümmert, wie die Menschen bis weit hinein ins 15. Jahrhundert waren, begingen sie am 1. Januar die circumcisio domini, die Beschneidung des Herrn. Die Kirchen, vor allem die katholische, gehen mit diesem Termin inzwischen ziemlich diskret um. Man redet nicht mehr darüber. In säkularen Zeiten, wo an diesem Tag noch Böller um des Krachens willen krachen, wäre ein religiöses Fest zur Beschneidung der Vorhaut des Gottessohnes schwer zu vermitteln. Ein heikles Thema.

Die Feste und die Bräuche haben sich im Lauf der Jahrhunderte ebenso verschoben, wie sich die Kalender ordneten. Die römische Zählung setzte sich durch: Neujahr war der 1. Januar. Und das war auch der Tag, an dem es Geschenke gab. Der ehemals in Eichstätt lehrende Volkskundler Walter Pötzl sieht mehrere Indizien dafür, "dass Weihnachten im 16. und frühen 17. Jahrhundert noch keinen allgemeinen Geschenktermin begründet hatte". Für einen Beitrag im Bayerischen Jahrbuch für Volkskunde 2015 hat sich Pötzl den Augsburger Barockpublizisten Bartholomäus Wagner vorgenommen und dessen "Predigten und geistliche Schriften als Quellen zu Brauch und Alltagsleben", wie der Titel des Aufsatzes lautet, untersucht. Wagner ist insofern eine interessante Figur, als sich er im bi-konfessionellen Augsburg als überaus selbstbewusster Vertreter der katholischen Minderheit hervortat.

Heute wirken die Schriften Wagners wie so viele Fossile des Katholizismus skurril. Seine "Newe Jar Schankungen", Neujahrsgeschenke, bestanden aus schriftlichen Widmungen "auf die allerseligste Geburt und Beschneidung Christi". Er dedizierte den Adressaten Figuren aus der Bibel, Heilige und andere Legendengestalten. Dabei war Wagner, der sich lange Zeit als Hilfslehrer mit dem Titel Ludimoderator verdingte, keineswegs zimperlich. Manche Widmung liest sich wie ein Fluch: Bösen Eltern kam er im Neujahrsgruß mit der Geschichte einer Mutter im antiken Jerusalem, die in einer Hungersnot ihr eigenes Kind aß. Ungezogenen Kindern wiederum widmete Wagner jenen Buben, von dem es in alten Geschichten hieß, dass ihn "der Teufel leibhaft zur Höllen hab geführt". Wagners wortreiche Geschenke an Protestanten kannten keine Gnade: Er wünschte ihnen die gottlosen Kinder, die einen frommen Mann verspotteten und dafür von Bären zerrissen wurden. Die Fantasie in Glaubensdingen kannte keine Grenzen ins Unterirdische.

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