Ehe für alle:Sex und eine gemeinsame Steuererklärung

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Feier in der Marienkirche in Berlin: Die Landeskirche hat schon 2016 zwei Männer getraut (Foto: dpa)

Nun dürfen auch homosexuelle Paare ganz spießig heiraten. Aber was ist das heute überhaupt noch - eine Ehe?

Von Johan Schloemann

Zur Öffnung der Ehe, die der Bundestag am Freitag beschlossen hat, hört man manche sagen: Was ist denn das bitte für ein Fortschritt? Hat man Jahrzehnte für alternative Lebensformen und gegen bürgerliche Zwänge gekämpft, um sich jetzt dem überholten und repressiven Bund fürs Leben unterzuordnen? Auf der Satire-Website Der Postillon heißt es: "Auch Homosexuelle wollen endlich die Vorzüge offener Partnerschaften zugunsten der zermürbenden, lebenslangen Hölle einer durchschnittlichen deutschen Ehe aufgeben dürfen."

Dieses Argument ist falsch und bevormundend. Denn auch schwule und lesbische Paare haben ein Recht auf Spießigkeit. Wenn Millionen deutscher Eheleute sich an Vorgärten, Küchenkauf und komplizierten steuerlichen Vorteilen erfreuen, warum nicht auch gleichgeschlechtliche Paare? Was die einen als Segnungen der Subkultur empfinden - Clubs, Bars, Paraden und so weiter -, sehen die anderen eben nur als Notlösung, die man brauchte, um zeitweise in eigenen gesellschaftlichen Räumen der Diskriminierung zu entgehen.

Homosexuelle in Deutschland
:Von den Sittengesetzen bis zur Ehe für alle

Der Umgang mit Homosexualität hat atemberaubende Fortschritte gemacht. Noch 1957 fällte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil, an das es sich heute mit Scham erinnert. Eine Zeitreise.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Viele Homosexuelle wollen gar nicht mehr subversiver, exaltierter, revolutionärer sein als alle anderen, sondern schlicht rechtliche Gleichstellung erlangen. Wer das verspottet, gerät von der liberalen Identitätspolitik in die Illiberalität. Der Staat soll eine dauerhafte Zweisamkeit schützen, die niemandem aufgezwungen, aber eben auch niemandem verwehrt wird. Darum geht es bei dem Beschluss des Bundestages zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches, der jetzt die zwei Seelen in der konservativen Brust, politisch zumindest, auseinandergerissen hat.

Und diese rechtliche Gleichstellung wird auch mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit vom Bundesverfassungsgericht nicht mehr gekippt werden. Weil "gemeinsame Veranlagung" im Deutschen ja nicht bloß eine sexuelle Orientierung, sondern auch ein steuerlicher Begriff ist - wir sind hier eben im Steuerrechtsparadies Deutschland -, hat sich Karlsruhe vor vier Jahren in seinem Urteil zum Ehegattensplitting für eingetragene Lebenspartner mit beidem beschäftigt, und das Gericht hat in seiner Begründung dazu schon sehr große Schritte in Richtung "Ehe für alle" gemacht. Da findet sich dieser lange, aber wichtige Juristensatz:

"Der besondere Schutz, unter den Art. 6 Abs. 1 GG die Ehe als besondere Verantwortungsbeziehung stellt, rechtfertigt Besserstellungen der Ehe im Verhältnis zu ungebundenen Partnerbeziehungen (...), nicht aber ohne Weiteres auch im Verhältnis zu einer rechtlich geordneten Lebensgemeinschaft, die sich von der Ehe durch die Gleichgeschlechtlichkeit der Partner unterscheidet, wegen dieses Unterschiedes mit der Ehe nicht konkurriert und dem Institut der Ehe daher auch nicht abträglich sein kann, sondern es gerade auch Personen, die wegen ihres gleichen Geschlechts eine Ehe nicht eingehen können, ermöglichen soll, eine im Wesentlichen gleichartige institutionell stabilisierte Verantwortungsbeziehung einzugehen."

Das ist - nach dem ehernen Gesetz, dass auch Revolutionen in diesem Land ordentlich vonstattengehen müssen - eine sehr weit gehende Anerkennung. Nun muss Karlsruhe an dieser Stelle "nur" noch den grundgesetzlichen Begriff der Ehe, der zufällig nicht geschlechtsspezifisch formuliert ist, im neuen Sinne des Gesetzgebers auf die Homosexuellen ausweiten. Das ist historisch zwar keine Kleinigkeit, aber das Gericht dürfte sich kaum dagegen sperren. Setzt man, um die Dimensionen zu veranschaulichen, einmal voraus, dass alle heutigen "eingetragenen Lebenspartnerschaften" sich in die neue Ehe umwandeln ließen - es sind 43 000 an der Zahl -, und nimmt man sie mit den bisherigen knapp 17,5 Millionen heterosexuellen Ehen zusammen, dann werden diese Paare im Ganzen 0,24 Prozent aller Ehen ausmachen. Und wer Angst vor Adoptionen durch bürgerlich lebende Homosexuelle hat, die gar nicht massenhaft erfolgen werden, kann sich noch eine weitere Zahl vor Augen führen: Von allen Ehen in Deutschland sind aktuell 7,7 Millionen mit Kindern, aber 9,7 Millionen kinderlos.

Trotz alledem darf man nicht verkennen, dass "Ehe für alle" natürlich auch ein rhetorischer Trick ist. Um konservative Zweifler in die Pflicht zu nehmen, tut man im Meinungskampf so, als wäre die Ehe heute allgemein unverbrüchlich, ein unangefochtenes Super-Erfolgsmodell mit Gelingensgarantie. Dass es nicht so ist, weiß jeder. Man erfährt es, wenn man Gustave Flaubert oder Charlotte Roche liest, oder wenn man sich einfach umguckt.

Ehe und Kirche - vorbei. Ehe und Mitgift - veraltet. Ehe und Sex - war mal

"Im allgemeinen gesehen ist die Ehe heute ein Rest überlebter Sitten", schrieb Simone de Beauvoir 1958 in "Das andere Geschlecht". Sie hat zwar nicht ganz recht behalten, wie man in diesen Tagen sieht. Denn zuvor schon hat sich die Ehe, indem patriarchalische Rechtsbestimmungen abgeschafft wurden, als modernisierbar erwiesen, bei aller real bestehenden Benachteiligung vieler Frauen. Aber man muss die "Ehe für alle" im Licht der gewaltigen Veränderungen sehen, denen die Institution historisch insgesamt ausgesetzt ist. Und insofern berührt die erwähnte Kritik der Anpassung an ihre sozialen und moralischen Konventionen dann doch einen gewissen Punkt. Denn diese Konventionen sind, was den Status der Verheirateten im Leben angeht, in vieler Hinsicht nur noch eine Hülle, wenn auch keine bedeutungslose. Sie drückt Bindung, Liebe und Verantwortung aus, Leidenschaft, aber auch Geduld und Rücksichtnahme. Das finden viele Menschen erfreulicherweise schön und richtig, es lässt sich heute aber auch unter Entkleidung von jener spezifischen Konvention in und vor der Gesellschaft leben. Ebenso wie es sich auch innerhalb einer Ehe übel missachten lässt.

Die Ehe hat sich nämlich von ihrem existenziellen Sinn, der in den meisten Kulturen verankert war oder ist, im Laufe der Moderne längst gelöst, jedenfalls in den westlichen Gesellschaften. Das zeigt ein Blick auf all die notwendigen Verknüpfungen, von denen sie inzwischen entkoppelt ist: Ehe und Kirche. Ehe und Sex. Ehe und Mitgift. Ehe und wirtschaftliche Selbstversorgung. Ehe und Kinder. Ehe und der Übergangsritus des Erwachsenwerdens. Ehe und lebenslange Monogamie. Ehe und Vorrechte des Mannes. Jetzt wird noch eine weitere Verbindung entkoppelt: Ehe und verschiedenes Geschlecht.

In der ZDF-Talkshow von Maybrit Illner saß am Abend vor der Bundestagsentscheidung die konservative Aktivistin Hedwig Freifrau von Beverfoerde. Sie versuchte die Gründe für den Widerstand gegen das Eherecht für Homosexuelle zu formulieren, also für das, was die Bundeskanzlerin ihr "ungutes Gefühl" genannt hat. Sie sprach von der "Grundlage unserer Kultur", ja vom "Urgrund unserer Zivilisation", sie stellte die Ehe dar als etwas Überzeitliches und Unveränderliches, das es "vor jedem Staat gegeben hat".

Die Familie hat andere Probleme, die Bindungskrise zum Beispiel

Hedwig von Beverfoerde hätte bloß kurz in ihre eigene Familiengeschichte schauen müssen, um zu sehen, dass das nicht stimmt. Sowohl für das Geschlecht, in das sie geheiratet hat, als auch für dasjenige, aus dem sie als geborene Freiin von Lüninck stammt, gilt: Solchen Adeligen war es einst in der Regel verwehrt, Bürgerliche zu heiraten. Und das Gesinde auf ihrem Hof durfte auch nicht heiraten und hatte auch gar nicht die Mittel dazu. Weil der Besitztransfer zur nächsten Generation nicht nur übers Erben lief wie heute, sondern über Mitgift und Aussteuer der Brautfamilie, konnten sich viele die Heirat nicht leisten. Auch durften Katholiken und Protestanten ebenso wenig zusammenkommen wie Juden und Christen. Noch nie gab es - wenn nicht in emotionaler, so doch in formaler und sozialer Hinsicht - so wenige Hindernisse der Ehe wie heute.

Sehr lange waren es, wie heute noch in traditionelleren Kulturen in aller Welt, eher Häuser, Familien, Sippen als zwei autonome Personen, die die Ehe eingingen. Der Ehemann übernahm die Aufgaben des Vaters, das lateinische Wort "Emanzipation" heißt im ursprünglichen, wenig gleichberechtigten Sinn, dass die junge Frau aus der Hand des einen in die Hand des anderen Mannes gegeben wird. Erst viel später verband die Idee der Liebesheirat die soziale Notwendigkeit intensiver mit dem romantischen Vergnügen, mit all den bekannten emotionalen Aufladungen und Enttäuschungen. Und die bürgerliche Ordnung seit dem 19. Jahrhundert beruhte vor der Frauenbewegung sogar auf mehr Ungleichheit der Geschlechter als zuvor, weil die Teilnahme der Frauen an der Ökonomie rigider ausgeschlossen wurde - ausgenommen das Führen des Haushaltsbuches. Als Hölle wurde das alles im Alltag keineswegs immer empfunden, es gab mal Zwang und Gewalt, mal auch persönliche und kulturelle Entfaltung, Gottvertrauen, Zuneigung, Respekt, bescheidenes Glück - aber eben auch keine lineare Entwicklung vom einen zum anderen.

Eine ewige Institution? Nein. Auch die Entstehung der Ehe liegt eher im Dunkeln. Die Monogamie kam wahrscheinlich mit Sesshaftigkeit, Ackerbau, Viehzucht und Kriegertum auf. Jedenfalls gab es unter Jägern und Sammlern keine Steinzeit-Ehe mit männlichem Alleinversorger - die Überlebenschancen wären gering gewesen. Die Vermutung der Anthropologen ist: Es zirkulierten eher die Männer als die Frauen. Teils forderte die Religion rechtschaffenes Verhalten, teils sanktionierte sie nur, was sich als Praxis herausbildete.

Gewiss sitzt das Gedächtnis an das, was im Rahmen strenger kultureller Regeln als natürlich galt, noch tief. Rational lässt sich das "ungute" Gefühl einer Bedrohung der Ehe durch heiratende Homosexuelle nicht begründen. Ein Unterschied bleibt zwar bestehen: dass die neuen Eheleute aus sich heraus kein Kind hervorbringen können. Aber wenn sie auf Technisierung oder Umwege der Reproduktion angewiesen sind - und natürlich gibt es da kein "Recht" auf Kinder -, so gilt dies heute auch erst recht für viele in der großen Mehrheit der Hetero-Paare. Jedenfalls nimmt es den zu zweit Kinder zeugenden Paaren nichts weg.

Die großen Probleme der Familie liegen heute woanders: in der Bindungskrise, im konsumförmigen Paarungsmarkt, in dem, was man den "emotionalen Kapitalismus" genannt hat, in der Erziehung zwischen Vernachlässigung und Überbehütung. Hieran ändert die "Ehe für alle" nichts: Man muss etwas tun für das Glück einer dauerhaften Beziehung, es bleibt aber auch eine Gnade.

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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