Edward de Bono:"Wir brauchen ein Ministerium fürs Denken"

Nicht die Wirtschaftskrise, sondern unsere Art zu denken ist das Problem, behauptet Kreativitätsforscher Edward de Bono.

Varinia Bernau

Nicht Klimawandel oder Wirtschaftskrise, sondern unsere Art zu denken ist das größte Problem unserer Gesellschaft, behauptet der Psychologe Edward de Bono. Im Interview mit sueddeutsche.de erläutert er, warum uns Aristoteles und Platon verdorben haben und sich eine Regierung ein Ministerium fürs Nachdenken leisten sollte.

sueddeutsche.de: Herr de Bono, es heißt, Sie haben Humor. Würden Sie uns einen Ihrer Lieblingswitze erzählen?

Edward de Bono: Gern. Ein Mann, so um die 90, landet nach seinem Tod in der Hölle. Er läuft herum - und sieht plötzlich einen seiner Kumpanen, ebenfalls schon 90 Jahre alt, mit einer wunderschönen Blondine auf dem Knie. "Das kann doch nicht die Hölle sein. Du scheinst es hier doch ziemlich gut zu haben.", sagt er zu seinem Freund. "Doch, doch", entgegnet der. "Das hier ist die Hölle. Ich bin ihre Strafe."

sueddeutsche.de: Logisch.

de Bono: Absolut logisch. Ein Witz veranschaulicht am besten, was in unserem Gehirn passiert: Es gibt den üblichen Pfad. Und dann gibt es noch einen anderen, etwas versteckter. Aber sobald man auf den erst einmal hinüber gesprungen bist, erscheint auch der absolut logisch. Auf diese veränderte Wahrnehmung kommt es an. Das ist Kreativität: nützlich und logisch. Zu viele Leute, vor allem in der Kunst, glauben, Kreativität bedeute, anders zu sein, nur der Andersartigkeit wegen.

sueddeutsche.de: Das heißt: Wer witzig ist, der ist auch kreativ?

de Bono: Schwer zu sagen. Ich wäre zumindest überrascht, wenn ein kreativer Mensch nicht auch Humor hätte.

sueddeutsche.de: Sie gelten weltweit als einer der wichtigsten Streiter für kreatives Denken. Vom Handy-Fabrikanten Nokia bis zur Nasa haben Sie Entwicklern beigebracht, um die Ecke zu denken. Wenn es Humor allein nicht ist, was muss man dann mitbringen, um kreativer zu werden?

de Bono: Grundsätzlich kann jeder Kreativität erlernen. Aber man muss den Willen dazu haben. Unsere fest verankerten Denkstrukturen setzen auf Argumente und Analyse. Das aber wird uns nicht zu neuen Ideen führen. Unsere kulturell vermittelten Denkmethoden sind exzellent, aber sie sind eben begrenzt.

sueddeutsche.de: Wieso?

de Bono: Unsere Denk-Software, wenn Sie so wollen, wurde von Aristoteles, Platon und Sokrates festgelegt. Und die arbeiten mit Kategorien und Urteilen. Als die griechische Philosophie in Europa ihre Blüte in der Renaissance erlebte, da waren Schulen und Universitäten in der Hand der Kirche. Die Kirche aber brauchte kein kreatives Denken. Die Dinge waren eine Frage des Glaubens, keine Frage der Wahrnehmung. Was die Kirche benötigte, waren Wahrheit, Argumente und Analyse, um vermeintliche Ketzer zu widerlegen. Was wir kulturell nicht entwickelt haben, das ist eine Art zu denken, um einen Wert an sich zu schaffen. Natürlich gibt es einzelne Erfinder, Künstler oder Designer, die das geschafft haben - aber es ist nicht Teil unserer Erziehung, unserer Kultur.

sueddeutsche.de: Was ist so schlimm daran, dass Kreativität kein Massenphänomen ist?

de Bono: Unsere Art zu denken ist ineffizient. Wir sind so selbstgefällig: Wir können auf den Mond fliegen, wir können ein Herz transplantieren. Alles wunderbar. Was vielen nicht klar ist: Das ist nur eine Art zu denken. Nehmen Sie eine klassische Konfliktsituation, etwa im Nahen Osten. Wir blicken nur zurück, um sie zu bewerten. Jemand hat einen Fehler gemacht und wird dafür verurteilt und bestraft. Wir sind es nicht gewohnt, nach vorn zu schauen und den Konflikt zu lösen. Schon die Schulbildung setzt in den meisten Ländern nur auf Analyse, nicht auf Entwicklung. Das ist eine riesige Lücke in unserer Erziehung.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum ungern nach Lösungen gesucht wird.

"Banker haben ein Interesse daran, alles beim Alten zu lassen"

sueddeutsche.de: Dabei sind Kinder neugierig und probieren vieles aus.

de Bono: Ich habe mal einige Kreativitätsübungen mit Kindern gemacht. Die sollten eine Maschine entwerfen, um Hunde zu trainieren. Die meisten Menschen denken dabei an diese Laufräder, in denen ein Knochen hängt und den Hund zum Laufen antreibt. Und dann kam da dieser kleine Knirps, vier, fünf Jahre alt vielleicht. Der hatte eine komplett andere Idee: Der hat den Hund vor einen batteriebetriebenen Wagen gespannt. Wenn der Hund angehalten hätte, wäre ihm der Wagen gegen die Hacken geschleudert.

sueddeutsche.de: Sie haben mehr als 70 Bücher geschrieben, die in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurden. Ist die Menschheit etwas kreativer geworden?

de Bono: Lassen Sie es mich so ausdrücken: Es tut sich was. Die chinesische Regierung hat in sechs Provinzen meine Denkmethode auf den Lehrplan gesetzt. In Venezuela oder Malaysia gibt es ähnliche Entwicklungen. Aber das braucht Zeit. In vierzig Jahren kann die Menschheit nicht nachholen, was sie in 2400 Jahren versäumt hat.

sueddeutsche.de: Interessant, dass Sie kein Land in der westlichen Welt genannt haben. Sind wir Europäer zu konservativ für die Kreativität?

de Bono: Die Entwicklungsländer sind definitiv wissensdurstiger als der Westen. Die sagen sich, dass sie etwas dazu lernen müssen. Der Westen bildet sich ein, dass er bereits alles weiß.

sueddeutsche.de: Dem liegt wohl ein ähnlicher Gedanke zugrunde, wie ihn viele Künstler immer wieder äußern: Krisen fördern die Kreativität. Wem es schlecht geht, der strengt sich an, damit es ihm besser geht.

de Bono: Das ist so - und lässt sich mit Sicherheit auch auf ganze Gesellschaften übertragen.

sueddeutsche.de: Ein Jahr nach dem Zusammenbruch der weltweiten Finanzmärkte ist allerdings nur wenig zu spüren von jener Suche nach neuen Lösungsansätzen.

de Bono: Die Banker haben natürlich ein Interesse daran, alles beim Alten zu belassen. Und die Politiker sagen, dass wir dieses Bankensystem brauchen. Ich glaube, ein Weg aus der Krise, der niemandem so recht gefällt, wäre eine komplett verstaatlichte Bank, die nur Sparkonten anlegt und Kredite vergibt. Keine Spielereien, keine riskanten Wertpapiere. Nur: Geld nehmen und es gegen Zinsen an die verteilen, die es gerade brauchen.

sueddeutsche.de: Das klingt zu einfach für die Lösung eines äußerst komplizierten Problems.

de Bono: Alles ist einfach, wenn man erst einmal die Lösung gefunden hat. Wie in dem Witz aus der Hölle. Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel: Ein Bürgermeister einer australischen Kleinstadt kam einmal mit seinen Sorgen zu mir. Die Pendler hatten dort sämtliche Parkplätze in der Innenstadt blockiert, die eigentlich für Leute gedacht waren, die kurz ein paar Einkäufe erledigen. Also haben sie überlegt, Parkautomaten aufzustellen, aber das wäre eine ziemlich teure Investition gewesen. Und so habe ich dem Bürgermeister gesagt: Wir müssen einen bereits vorhandenen und somit kostenlosen Mechanismus finden, der auf demselben Konzept basiert wie ein Parkautomat. Anders gesagt: Wie können wir die Leute dazu bringen, von sich aus ihre Parkzeiten zu verkürzen? Wir stellen Schilder auf: Nur mit Licht parken! Die Leute werden also keine Minute länger als unbedingt nötig dort stehen bleiben, weil sonst die Batterien leer sind. Man geht nur schnell in den Laden und fährt dann wieder weg.

sueddeutsche.de: Wenn Sie allein die Welt verändern könnten, ohne an den Bequemlichkeiten und Befindlichkeiten all der anderen zu scheitern, wie würde diese Welt dann aussehen?

de Bono: Es gibt eine Sache, die ich bereits dem britischen Premierminister, Gordon Brown, empfohlen habe: Jede Regierung braucht ein Ministerium fürs Nachdenken. Das ist nur dazu da, Ideen zu entwickeln, sie zu erproben, Umfragen durchzuführen, um herauszufinden, ob diese Ideen von der Bevölkerung akzeptiert werden.

sueddeutsche.de: Bislang hat der britische Premier Brown sein Kabinett noch nicht umgebildet.

de Bono: Demokratien haben eine Schwäche: Gewisse Berufsgruppen sind nicht im Parlament vertreten - Architekten, Wissenschaftler, Ingenieure... Warum? Wenn die bei der nächsten Wahl nicht genug Stimmen bekommen, dann können die nicht einfach in ihre Berufe zurückkehren. Also gehen jene ins Parlament, die aufs Reden, nicht auf kreatives Denken getrimmt sind: Gewerkschafter, Lehrer, Anwälte.

sueddeutsche.de: Politiker brauchen doch Visionen, um die Menschen zu begeistern - und werden bei einer Wahl auch daran gemessen, was sie erreicht haben. Ist die Politik wirklich so unkreativ?

de Bono: Schon als ich mein erstes Buch über Denkmethoden veröffentlicht habe, weckte es am meisten Interesse bei Wirtschaftsvertretern. Die Wirtschaft ist offener für neue Denkmethoden als jeder andere gesellschaftliche Bereich.

sueddeutsche.de: Woran liegt das?

de Bono: In der Wirtschaft gibt es eine ständige Bewährungsprobe. Man muss gute Ideen haben, um im Geschäft zu bleiben. In anderen Bereichen gibt es diese Bewährungsprobe nicht. Da geht es nur darum zu reden. Wenn in der Politik ein Problem auftaucht, sagt man: "Ach, daran sind die anderen schuld." Politiker können das einfach behaupten, die müssen keine Rechenschaft ablegen. Aber die Wirtschaft kann sich nicht auf Behauptungen ausruhen.

sueddeutsche.de: Es gibt durchaus unkreative Wirtschaftssektoren, etwa die deutsche Automobilindustrie. Viele Manager dort haben sich keine Gedanken darüber gemacht, wie alternative Antriebe aussehen könnten.

de Bono: Das stimmt. Ich habe mich neulich mit Vertretern der Autoindustrie unterhalten, die mir gesagt haben: "Die Zukunft ist das Elektroauto, aber das wird es nicht von heute auf morgen geben." Warum entwirft die Industrie also keine Modelle, in denen sie die herkömmlichen benzinbetriebenen Motoren einfach mit einem Elektromotor austauschen könnten?

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