E-Gitarren-Ausstellung in Wien:Wamma, wamma, wam.

In Wien kümmert sich die Ausstellung "Go Johnny Go" um Kunst, Mythos und Sex der E-Gitarre.

WILLI WINKLER

Stadionkrach, Maschinenrock, ein Echo wie aus der Folterkammer. "Genga'S do de Stiag'n nauf", sagt die Kartenverkäuferin, als wiese sie dem zugeknöpften Kunden den Weg zu den diskreten Videokabinen. Sie zeigt aber in einen reinbetonenen Schacht, durch den treppab wieder und wieder das Leitmotiv des Rock'n'Roll dröhnt.

E-Gitarren-Ausstellung in Wien: Fender "Stratocaster"

Fender "Stratocaster"

Chuck Berry hat es in die bonbonbunten Fünfziger gehämmert, so dass die Welt von ihm nun träumen muss fort und fort: "Johnny B. Goode". Es ist der klassische Bildungsroman vom Landei, das mit seiner Musik groß rauskommt. Zugleich wird beschrieben, dass der ganze Fun an der Gitarre (aber was denn sonst, Theo?) reinstes Stahlbad ist: An den Gleisen sitzt Johnny und schlägt seinen Takt nach dem der vorbeidonnernden Eisenbahn.

Auf einem der Bilder, die der Projektor in diesem Treppenhaus an die Wand wirft, ist auch der Sänger und Gitarrist nur mehr Maschine, eine einzige nach vorn gerichtete Bewegung, phallisch wie seine Musik und die, tut mir furchtbar Leid, ist nun wirklich nichts für Frauen.

Oder nur für sie.

Es mag ja sein, dass in einigen johannesheestersverkleisterten Hirnen noch immer der Mann am Klavier Glück bei den Frauen hat, die wahre erotische Maschine ist trotzdem die elektrische Gitarre.

In verschiedenen Vorläuferformen als Laute, als spanische Guitarre, selbst als unförmige Bassgeige mag sie die eine oder andre weibliche Saite zum Klingen gebracht haben, direkt auf den Unterleib zielte erst das stromverstärkte und obszön deutlich dem männlichen Geschlechtswerkzeug nachempfundene Holz.

Auf einem Foto von Ernest Withers aus dem Jahr 1962 steht Ike Turner mit erigierter Gitarre hinter seiner Frau Tina, die sich vorn am Mikro die Seele aus dem Leib schreit - was sonst zeigt denn das Bild, als den Zuhälter, der seinem Mädchen und dem zahlenden Publikum vorführt, wo der Hammer hängt?

Die E-Gitarre erlaubte Musikern endlich, Sex auf die Bühne zu bringen. Wenn sich Alvin Lee an der Gitarre vergeht, wenn Pete Townshend über seine Saiten holzhackert, wenn George Harrison seine Gibson zärtlich kost und Jimi Hendrix - es war in Woodstock, und die ganze Welt schaute dabei zu - sein Werkzeug in Brand steckt und den Splittersound über Max Yasgars Maisfelder jagt, durfte sich auf der Bühne mehr exhibitioniert werden als bei allen histrionischen Verwandlungskünstlern davor.

Und selbst wer nicht einmal den Elvis-Grundgriff beherrschte, spielte voll Stoff Gitarre. Joe Cocker, der nichts weiter als seine früh zerschlissene Bluesstimme vorzeigen konnte, zitterte und bebte mit den Händen um ein imaginäres Griffbrett, zupfte Akkorde, die nur er hörte, und brachte mit seinen Obertönen die Herzen der stolzesten Frauen zum Schmelzen.

Wie geht das zu? fragt die Wiener Ausstellung "Go Johnny Go" und kann es doch nicht erklären, sondern allenfalls an Fallbeispielen zeigen. Pamela Anderson liegt mit Stacheldraht-Tatoo ganz in Blond und rotem Frotteetuch auf dem Bett, dann zeigt die pinkfarbene Kindergitarre neben ihr, dass es auch ihr um das eine geht. Die schwarzen Bluessänger emanzipierten sich mit der mehrfach verstärkten Gitarre aus der Band, in der bis dahin der Gospelero und der Bass dominiert hatten. Begeistert übernahmen weiße Musiker den Aufmerksamkeitsheischer, schnallten sich die Gitarre um und gebrauchten sie wie ein liturgisches Werkzeug. Es sind erstaunlich viele Brillenträger unter den gitarrespielenden Männern - Bo Diddley, Buddy Holly, Roy Orbison, später John Lennon, Bob Dylan und Eric Clapton -, aber schließlich ist Musik nicht bloß Krach, sondern Macht. Wenn Frauen Gitarre spielen, sieht es oft nur dildoesk aus. Bo Diddley holte seine "The Duchess" genannte Schwester auf die Bühne, aber sie spielte nicht, sondern hatte bloß dekorativ herumzustehen.

Und was ist denn daran Kunst? "Es ist bewiesen, dass Malerei klingen kann", behauptet ohne Beweis das kunstwerkende Duo Maike Abetz und Oliver Dreschner, aber leider sind die Farben dafür noch nicht erfunden worden. Alle liebevoll zusammengetragenen Leuchtreklamen, alle Zeitschriftentitel, alle Plattencover, die eine Gitarre im Schild führen, bleiben doch stumm ohne die Musik dazu, ohne den reinen, infernalischen Lärm, der auf die Nerven um den Bauchnabel zielt und alles drunter meint.

Musik ist in der Abteilung Kunst keine zu hören. Es ist das alte Elend, aus dem die Ausstellungsmacher Thomas Mießgang und Wolfgang Kos auch nicht fortkommen: dass man eine jugendliche Leidenschaft meint nur damit rechtfertigen zu können, dass man sie als Kunst ins Museum bringt. Deshalb hängt da ein sich selber porträtierender David Hockney, aber die Gitarre, die er sich zeichnet, ist nicht E, sondern von Picasso und hängt auch nur da, weil der Weg von der Sammlung Ludwig nebenan weniger als fünfzig Meter betrug. Der unvermeidliche George Segal hat natürlich auch irgendwann eine "Rock and Roll Combo" zusammengegipst, Steven Shearer eine ganze Wand aus gitarrespielenden Dilettanten zusammengeklebt (nach dem selben Prinzip wirbt in Wien grade ein SPÖ-Kandidat als Gesamt-Österreicher) und Rainer Fetting lässt einen Gitarristen mit vorgehaltenem Instrument nach vorne stracksen.

Das soll Kunst sein?

Ja, aber es hat keine Musik. Nur der Belgrader Uroö Djuri'c entgeht in seinen naiven Ölbildchen dem billigen Bedürfnis, von der durchschlagenden Kraft der Musik zu kapitalisieren: er malt sich mit all den Gitarren, die er nicht spielen kann.

Musik ist Lug & Trug. Der Fotograf, den David Hemmings in Michelangelo Antonionis "Blow Up" (1966) spielt, gerät in ein Konzert der Yardbirds und erlebt die fiebrige, frühelektrische Atmosphäre der ersten psychedelischen Zeit in London. Sinnlos hämmert die Musik, so laaauuutt. Das Publikum dumpft mit im rhythmischen Krach und giert nach den Krawallern auf der Bühne.

Der Gitarrist Jeff Beck willfährt den Gläubigen drunten schließlich und zerschlägt seine Gitarre am Verstärker: Wamma, wamma, wam. Die Trümmer fliegen ins Publikum, die Fans prügeln sich um die Fetzen, und David Hemmings kann mit dem besten Stück, dem Gitarrenhals, fliehen. Er rennt wie um sein Leben. Draußen im Licht der Einkaufsstraße, wo ihm niemand mehr nachläuft, sieht die Reliquie schon nach nichts mehr aus. Ein Stück Holz, Wirbel, gesprungene, abstehende Saiten; Material. Achtlos schmeißt er das nur mehr irdische Stück fort.

Und die Musik? Die Musik kommt von den CD-Playern, die man an verschiedenen Stationen anstellen kann, um Bo Diddley auf seinem Kindersarg gretschen zu hören oder Eddie Cochrans Sommerzeit-Klage über Boss, Vater und das fehlende Geld. Achtzig Gitarren zeigt die Ausstellung an einer langen, langen Wand aufgereiht. Die Klassiker von Les Paul und Fender sind dabei, der Stratocaster, die Gibson ES-150, der Höfner, den Jeff Beck in "Blow Up" statt seiner geliebten Les Paul verwendete, weil man "mit der sowieso nichts anderes machen konnte, als sie zu zertrümmern".

Eine ist dabei, der Körper als Umriss der festländischen USA geformt und ordnungsgemäß in Blau und Weiß und Rot gefärbt, auf der könnte man so manchen Leitartikel zusammenschrammeln.

Eine Installation zeigt eine verlassene Bühne mit Gitarren, Verstärkern, Textblättern, Kabeln, Mikrofonen und dem üblichen Bühnenchaos, zusammengestellt aus dem Repertoire der Gruppe Sonic Youth. Gelegentlich flammt elektrischer Lärm auf, versackt, kommt wieder. Danach, soviel Sex muss noch sein, ist jeder Fan traurig.

Die Ausstellung endet wieder im betonenen Treppenhaus. Immer noch spielt das Endlosband den archaischen Riff von "Johnny B. Goode". Weil das Lied von einem Hinterwäldler handelt, der ganz groß rauskommt, verpflichtete man Chuck Berry vor vierzig Jahren auf ein Konzert irgendwo im Süden. Als er dort ankam, wurde ihm die Tür gewiesen; Neger hatten keinen Zutritt.

Wenn die Musik vorbei ist, geht das Licht aus, und wir Armen, wir müssen doch nach Haus.

In der Wiener Kunsthalle noch bis zum 7. März 2004; der Katalog kostet 22 Euro.

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