Dystopischer Roman:Die letzte Welt

"California" heißt das Romandebüt der amerikanischen Schriftstellerin Edan Lepucki. Das Buch erzählt von einer gar nicht so unwahrscheinlichen postapokalyptischen Zukunft.

Von Nicolas Freund

In den USA entwickelte sich dieser Roman für kurze Zeit zum Fanal gegen die Übermacht von Amazon am Buchmarkt: Um sich höhere Anteile an den Verkäufen von E-Books zu erkämpfen, drohte der Internethändler, Bücher des amerikanischen Verlags Hachette, in dem "California" erschienen ist, nur mit wochenlanger Verzögerung zu versenden. Der Moderator und Satiriker Stephen Colbert empfahl daraufhin in seiner Sendung Edan Lepuckis Roman und gab gleich noch Hinweise auf ein paar unabhängige Buchhändler. Die Hardcover-Auflage stieg schließlich von geplanten 12 000 auf 60 000 Exemplare, die wenigsten davon wurden über Amazon verkauft. Gewinnerin dieses Kampfes war die junge Autorin, die Creative Writing unterrichtet, Redakteurin bei dem Literaturmagazin The Millions ist und eine Reihe von Kurzgeschichten veröffentlicht hat, unter anderem in der Los Angeles Times. Ihr erstes größeres Werk wollte trotzdem niemand verlegen. Für ihr zweites Buch aber hatte sie nicht nur einen Verlag gefunden, sondern mit dem Roman auch gleich noch einen Bestseller gelandet.

Die deutsche Ausgabe von "California" ist zu einem Zeitpunkt erschienen, da der gleichnamige Bundesstaat an der Westküste die schlimmste Dürre seit Jahren erlebt und trinkbares Wasser bereits als mögliches Spekulationsobjekt am Finanzmarkt gilt. Fast scheint es, als folge die Wirklichkeit der Fiktion: Städte wie Los Angeles und San Francisco sind in Lepuckis Zukunftsvision zu gefährlich, um ein normales Leben zu führen. "Die berühmte Straßenbahn war vermutlich verrostet, ihre Glocke geklaut. Die Wasserspiele, die Touristen und Kinder angezogen hatten, waren vertrocknet oder mit giftigem Schlamm verstopft."

Dystopischer Roman: Edan Lepucki: California. Roman. Aus dem Englischen von Gesine Schröder. Blumenbar Verlag bei Aufbau, Berlin 2015. 416 Seiten, 20 Euro. E-Book 15,99 Euro.

Edan Lepucki: California. Roman. Aus dem Englischen von Gesine Schröder. Blumenbar Verlag bei Aufbau, Berlin 2015. 416 Seiten, 20 Euro. E-Book 15,99 Euro.

Autos, Konsumgüter, Universitäten - all das gibt es noch in "California", aber das meiste davon ist unbezahlbar teuer geworden. Wer es sich leisten kann, ist längst in eine der "Communities" gezogen, kleine Gemeinschaften, die Stadtstaaten ähneln, so streng abgeriegelt sind wie heute die Grenze zu Mexiko und als einzige Orte noch eine Grundversorgung mit Strom, Wasser und Sicherheit garantieren.

Das junge Pärchen Cal und Frida aber hat sich für einen anderen Lebensentwurf entschieden. Vor zwei Jahren haben sie sich die beiden aus L.A. verabschiedet und sind als Selbstversorger in eine abgelegene Hütte in der Wildnis gezogen - ein kleines Idyll inmitten der Katastrophe. Das Verstreichen der Zeit wird am Erscheinen eines fahrenden Händlers namens August gemessen, der auffällig wenig von der Welt da draußen erzählt. Wie die Schiffbrüchigen oder jene Kolonisten der Katastrophen, die das konjunkturelle Genre der Postapokalypse bevölkern, werden Cal und Frida aber von der zunehmenden feindlichen Umwelt bedrängt.

Die Welt reduziert sich erst auf eine Hütte im Wald, dann wird sie zu einem Schrank oder einer Kiste, und selbst die ist eigentlich auch noch zu groß, um zu fassen, was geblieben ist: Artefakte einer untergegangenen Welt, etwa ein Kopfkissen, das inzwischen wie ein kleines Wunder erscheint. Das Wissen darum, was ein Flapper war. Mit der Welt verschwinden auch die Möglichkeiten.

Das Leben in der Wildnis ist hart, die Liebe nutzt sich ab. "Da stand ich also nackt, mit offenem Haar. Und ihm war es egal." Trotzdem wird die junge Frau schwanger, und Lepucki stellt das Paar vor die existenzielle Frage, sich Hilfe zu suchen, oder allein zurechtzukommen; sich auszuliefern oder unabhängig zu bleiben - letztlich die Frage, ob die beiden der Zivilisation noch einmal eine Chance geben wollen. Es ist die Möglichkeit des Neuanfangs, die jeder Katastrophe innewohnt, die in "California" zur Debatte steht. Was lässt sich wirklich ändern? Und was muss man dafür aufgeben? Auch Robinson Crusoe baute sich auf seiner einsamen Insel nur die ihm bekannte Welt nach.

Leseprobe

Einen Auszug aus "California" bietet der Verlag hier an.

Lepucki hat ein beunruhigend glaubwürdiges Kalifornien der nahen Zukunft geschaffen, indem sie aktuelle Krisen zuspitzt oder in die USA verlegt. Die gated communities, die gefährlichen Innenstädte und die verfügbaren, aber unbezahlbaren Luxuswaren sind in weiten Teilen der Welt längst Normalität. "California" könnte überall sein, falls es nicht bereits existiert. In die erste, idyllische Romanhälfte sind noch Szenen aus Grimms Märchen eingeflossen, später lässt Lepucki sich von Kleists Erzählung "Das Erdbeben in Chili" leiten. Ihr Ton ist oft resignativ, aber auch selbstbewusst. Als wisse der Roman um die Möglichkeit des Scheiterns und nehme sie gerne an.

Die Handlung ist auf dem Sprung, ein Stephen-King-Thriller zu werden, als sich das Paar aufmacht und bald auf eine eingeschworene Gemeinschaft trifft. Doch immer wieder nimmt sich die Erzählung zurück, um das Verhältnis zwischen Cal und Frida zu erkunden und den kleinen Dingen, den Alltagsgegenständen, eine neue Bedeutung zu geben. "Sie konnten alles und jeden umbenennen, wenn sie wollten", heißt es einmal.

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